Wie kam es dazu, dass sich die Bundesregierung auf neue Anti-Korruptions-Bestimmungen einigte? Kritik von internationalen Organisationen, aber auch eine innerösterreichische "Betroffenheit über den Fall Strasser" hätten einen Stimmungswandel bewirkt, meint Christian Manquet, Abteilungsleiter im Justizministerium und Vizepräsident der Europarats-Staatengruppe gegen Korruption (GRECO), im Interview mit derStandard.at.
derStandard.at: Das Transparenzpaket bringt strengere Regeln für Politikerkorruption. Ist das wirklich so ein großer Wurf wie behauptet?
Manquet: Ja, das würde ich auf jeden Fall sagen.
derStandard.at: Bereits einmal, im Jahr 2008, wurden die Gesetze verschärft, aber im Jahr 2009 wurden sie schon wieder entschärft. Was war der Anlass?
Manquet: Verschiedene Protagonisten aus Wirtschaft, Kultur und Sport haben sich beschwert, dass das Gesetz ein Anschlag auf die österreichische Gastfreundschaft sei - und die Beschwerden haben sich in einem Ausmaß verdichtet, dass dann die Politik dem gefolgt ist.
derStandard.at: Ist es da ganz konkret um VIP-Einladungen zur Fußball-EM gegangen?
Manquet: Dieses zeitliche Zusammentreffen zwischen EM und Strafrechtsänderungsgesetz war sicher von Anfang an ein Thema. Dazu ist gekommen, dass der einzige prominente Fall in Deutschland, der bis zum Höchstgericht gekommen ist, auch einer war, wo es um das Herschenken von Gratis-WM-Tickets an Minister gegangen ist.
derStandard.at: Hat die Politik diesen Stimmen zu viel Gehör geschenkt?
Manquet: Das kann ich schwer beurteilen. Man hat gesagt: Jetzt sind wir in die andere Richtung zu weit gegangen. Wenn Sie mich persönlich fragen: Ich habe die Bestimmungen nie als zu unbestimmt empfunden. Aber es ging deutlich weiter als die Gesetzeslage bis 2007, und da war man halt der Meinung, das gehe zu weit.
derStandard.at: Waren diese Stimmen aus Wirtschaft, Sport und Kultur bei der aktuellen Beschlussfassung des Transparenzpakets genauso laut wie damals?
Manquet: Nein, in dieser Form hat es das nicht mehr gegeben.
derStandard.at: Warum damals und jetzt nicht?
Manquet: Es ist einiges passiert in der Zwischenzeit: Es hat prominente Fälle gegeben, die Betroffenheit ausgelöst haben - die Geschichte mit dem Abgeordneten Ernst Strasser zum Beispiel. Zweitens haben diverse Evaluierungen durch internationale Organisationen dazu beigetragen, dass sich etwas ändert. Österreich musste 2010 einen OECD-Prüfbericht einstecken, in dem eine dringende Gesetzesänderung empfohlen wurde, und zuletzt den GRECO-Bericht im Dezember 2011.
derStandard.at: Welcher Druck hat mehr bewirkt - jener der internationalen "Beobachter" oder jener der öffentlichen Meinung im Zuge der Strasser-Affäre?
Manquet: Das ist schwer zu sagen, aber ich glaube, es ist eine Mischung aus beidem. Ich kann nur aus einem anderen Bereich, der Geldwäscherei, sagen, dass wir da auch unter internationaler Beobachtung stehen - und da reicht allein diese Beobachtung aus, um etwas zu bewirken. Einfach weil sich aus der Nichtumsetzung der OECD-Empfehlungen negative politische Konsequenzen ergeben können.
derStandard.at: Die Verschärfung im Jahr 2008 ist auch ohne Strasser-Affäre passiert.
Manquet: Ja, und zwar ebenfalls vor dem Hintergrund der internationalen Empfehlungen. Dass das 2009 zurückgenommen worden ist, war wiederum eine innerösterreichische Befindlichkeit - ohne Rücksicht auf internationale Beobachtung. Wobei man gleichzeitig die Strafen verschärft hat. Das heißt, man hat schon drauf geschaut, dass man nicht quasi dasteht als jemand, der die internationalen Empfehlungen ignoriert.
derStandard.at: War es absehbar, dass der Fall Strasser so viel auslöst? Die Politik hätte ja auch sagen können, Strasser sei nur ein "schwarzes Schaf", ein Negativ-Ausreißer, und es bestehe kein Bedarf, die Gesetze drastisch zu verschärfen.
Manquet: Ich glaube, die Betroffenheit über den Fall Strasser war ehrlich. Die Bilder im Video waren sehr eindrücklich. Und man hat gesehen, dass die Strafbarkeit bei EU-Parlamentariern weiter geht als bei nationalen Parlamentariern. Man hat gesagt: "Aber Moment - unsere Abgeordneten dürfen das alles?" Dieser Gedanke lag einfach auf der Hand, da konnte man nicht mehr drumherum reden.
Und es war ja nicht irgendein Abgeordneter, sondern ein namhafter ÖVP-Politiker, der jahrelang Innenminister war. Jemanden wie Strasser als schwarzes Schaf abzutun, da tut man sich einfach schwer, weil er so eine Bedeutung in der ÖVP hatte.
derStandard.at: Haben die politischen Akteure in Österreich denn nicht gewusst, dass bestimmte Dinge hierzulande viel lascher geregelt waren als etwa auf EU-Ebene?
Manquet: Das glaube ich nicht, dass sie das nicht gewusst haben. Und außerdem hat jeder Mensch das natürliche Bewusstsein, dass so etwas auf jeden Fall nicht okay ist. Ein Kollege von mir bringt immer den Vergleich: Immer, wenn man Bedenken hat, von dem, was einem da gerade offeriert wird, einem Kollegen zu erzählen, sollte man stutzig werden. Und ich denke, das trifft es ganz gut. Da muss man gar nicht die strafrechtlichen Details kennen, aber man sollte auf jeden Fall die Finger davon lassen. Für einen Beamten im dienstrechtlichen Sinn kommt ja eh dann unterhalb der Schwelle des Strafrechts das Disziplinarrecht dazu. Und da ist bis auf einige Ausnahmen sowieso alles verboten - da brauche ich gar keinen Zusammenhang zu einem Geschäft. Da reicht es, wenn ich kassiere.
derStandard.at: Wo ist der Übergang von einer reinen Sachspende zu einem strafrechtlich relevanten Geschenk?
Manquet: Wenn ich einen Amtsträger einlade, um ihn mit dieser Einladung in seiner Amtsführung zu beeinflussen, dann wäre das vom Strafgesetz erfasst. Bedenklich können Fallkonstellationen sein, wo ein Dritter die Einladungen macht. Wenn der Veranstalter selbst einlädt und sagt, diese Veranstaltung ist so wichtig, dass da auch ein Minister, ein Bischof und ein Fernsehredakteur kommen müssen, und danach schaut er noch, dass ein Bericht darüber erscheint - dann ist das egal. Bedenklich wird es, wenn es einen Dritteinladenden gibt - weil man sich immer fragt: Warum tut der das?
derStandard.at: Sponsoring ist ja klar definiert - Leistung ohne Gegenleistung, außer einer Werbemöglichkeit.
Manquet: Ja. Es ist verbunden mit einer Werbemöglichkeit. Wobei eine Prominente das Thema Sponsoring einmal mit Vertraulichkeit in Verbindung gebracht hat - sie hat gemeint, Diskretion sei beim Sponsoring das Wichtigste. Das Gegenteil ist der Fall! Sponsoring sollte vom Prinzip her ziemlich transparent sein. Und vor allem werbewirksam - so verstehe ich Sponsoring. Ich biete eine Leistung und bekomme als Gegenleistung eine Werbemöglichkeit, und damit ist Schluss. Die Werbemöglichkeit sollte aber gerade nicht darin bestehen, dass ich auf Freikarten bestehe oder Karten kaufe, und die schenke ich dann an Amtsträger her.
derStandard.at: Diskretion scheint auch beim Transparenzpaket ein großes Thema gewesen zu sein: Die Parteienförderung wurde erhöht, weil sich angeblich private Spender nicht trauen, ihre Zuwendungen an Parteien offenzulegen.
Manquet: Ja, und diese Logik wurde bereits öffentlich kritisiert und hinterfragt. Ich denke: Je mehr Transparenz, desto besser.
derStandard.at: Die Industriellenvereinigung hat Karl-Heinz Grasser 238.000 Euro für seine Homepage gezahlt. Nach den neuen Transparenzregeln: Was wären heute die Konsequenzen?
Manquet: Das müsste man sich im Einzelfall anschauen. Könnte man nachweisen, dass das Geld mit dem Vorsatz gegeben wurde, ihn in seiner Amtsführung zu beeinflussen, dann könnte das nach der neuen Regelung strafbar sein. Nach der alten Regelung, vor 2008, hätte man einen Zusammenhang mit einem konkreten Amtsgeschäft beweisen müssen. Jetzt, nach der künftigen Rechtslage, würde reichen, dass man nachweist, dass der Amtsträger in seiner Amtsführung beeinflusst wurde - also muss man den konkreten Zusammenhang zu einem Geschäft nicht mehr herstellen.
derStandard.at: Im Korruptions-Untersuchungsausschuss kreist alles darum, Zusammenhänge zwischen Geldflüssen und Gegenleistungen der Politik herzustellen. Wie kann dieser Nachweis gelingen?
Manquet: Das liegt in der Natur der Korruption, dass das immer schwierig ist - weil beide Beteiligten ein Interesse daran haben, dass es nicht publik wird. Das unterscheidet die Korruption von anderen Kriminalitätsformen. Wenn ich Opfer eine Körperverletzung werde, dann sieht man das erstens, und zweitens gehe ich zur Polizei und zeige das an, damit mit den Tätern irgendetwas passiert. Wenn ich als Amtsträger Geld nehme und mich bestechen lasse, dann habe ich höchstes Interesse daran, dass es nicht publik wird. (Maria Sterkl, derStandard.at, 24.7.2012)