Peter Klotsche (71) und Ingrid Pilz (76) passen auf "ihren" Berliner Seniorentreff auf. Freiwillig wollen sie und viele andere Mitstreiter nicht weichen, das zeigt auch ein Transparent am Eingang.

Foto: Baumann

Grüne Haare? Schlabberlook? Piercing in der Nase? Alles Fehlanzeige. Wie ein Mitglied der Berliner Hausbesetzer-Szene sieht Ingrid Pilz wahrlich nicht aus. Die schwarze Bügelfaltenhose sitzt ebenso tadellos wie die Frisur, die beigen Gesundheitsschuhe sind blitzblank geputzt.

Dabei sind die Umstände gerade etwas mühsam. Die 76-Jährige nächtigt auf einem Feldbett, und zwar dort, wo im Seniorentreff Berlin-Pankow ansonsten Schach gespielt wird. Nebenan, im Bridge-Zimmer, steht die nächste Campingliege, aus der Waschtasche auf dem Tisch lugt ein blaues Zahnbürstl.

"Zu Hause im eigenen Bett ist es natürlich bequemer", sagt Pilz, "aber ich muss jetzt hier die Stellung halten." Hier, das ist eine schöne alte Villa in einer ruhigen Straße im Ostberliner Stadtteil Pankow, die auch noch Stille Straße heißt. Doch still ist hier im Moment gar nichts. Die Rentner rebellieren. 15 Jahre lang haben sie sich in ihrem Seniorenklub getroffen, zur Gymnastikstunde, zum Gedächtnistraining, zum Canastaspielen und Malen oder einfach nur zum Plaudern.

Was die Jungen können

Jetzt ist Bezirksstadträtin Lioba Zürn-Kasztantowicz (SPD) der Betrieb zu teuer geworden. Für die Renovierung der alten, verwinkelten Villa, die ein wenig wie Pippi Langstrumpfs Villa Kunterbunt aussieht, sei kein Geld da, sagt sie. Die rund 300 Senioren, die einander dort regelmäßig treffen, sollen auf andere Quartiere des Bezirks ausweichen - und damit aber auseinandergerissen werden.

"Dann wäre unsere Gemeinschaft gestorben", sagt Peter Klotsche (71) und fügt hinzu: "Viele haben ja sonst niemanden mehr." Immer wieder haben die Senioren das dem Bezirk mitgeteilt. Beschieden wurde ihnen nur eines: Am 30. Juni müsst ihr raus. Dann kam den Alten die Idee mit Occupy Seniorenklub. Ein Novum in Deutschland, noch nie haben Pensionisten ein Haus besetzt. "Was die Jungen können, können wir auch", meint Klotsche.

Ein harter Kern von 40 Aktivisten wechselt sich ab. Sechs von ihnen verbringen auch die Nächte im der Stillen Straße, kochen und essen gemeinsam dort. Ingrid Pilz weiß, dass sie gegen Gesetze verstößt. Sie nennt es "Zivilcourage" und erklärt: "Man zwingt uns doch dazu. Was sollen wir denn sonst machen? Jeden sozialen Kahlschlag akzeptieren?"

Mega-Flughafen und Riesenbibliothek

Mitkämpfer Klotsche sieht es genauso: "Für marode EU-Länder gibt es Milliarden. Aber uns wollen sie rausschmeißen." Es sind nicht nur die Euro-Spritzen, die ihn aufregen. Vom neuen, nicht funktionsfähigen Berliner Mega-Flughafen bis zur geplanten Riesenbibliothek, für alles habe die Politik Geld. Nur für die Alten sei dann eben nichts mehr übrig.

Er redet sich in Rage, will aber eigentlich seine Kräfte einteilen. Denn Klotsche hat im Camp eine verantwortungsvolle Aufgabe: Jeden Abend schließt er sich und die anderen ein, kontrolliert, ob auch kein Fenster offen geblieben ist.

Da die Fronten zwischen Politik und Pensionisten völlig verhärtet sind, müssen Letztere täglich mit der Räumung rechnen. Für diesen Fall spricht man sich schon Mut zu. "Ich setzte mich ruhig auf den Boden. Wenn sie mich raushaben wollen, müssen mich die Polizisten schon raustragen", sagt die mehrfache Oma Pilz, deren Enkel das Engagement der Großmutter "voll cool" finden.

Sie sind nicht die Einzigen. Die Widerstands-WG in Berlin erfährt große Solidarität. Nachbarn bringen Essen, ein Arzt bietet kostenlos Betreuung an, eine Physiotherapeutin spendiert Massagen.

Warmes Wasser abgestellt

Und als den Rebellen das Warmwasser abgedreht wurde, dauerte es nicht lange, bis ein Installateur nicht ganz legal, aber unkompliziert irgendwie wieder für warmes Nass sorgte. Danach wurde gleich die Badewanne geputzt.

Sie sind inzwischen Medienstars, und das, so hoffen sie, wird sie schützen. Im Falle einer Räumung sind binnen Minuten dutzende Kamerateams und Fotografen da. Bilder von Polizisten, die alte Leute wegtragen - das wäre keine gute Presse für die SPD.

Dennoch ahnen die Pensionisten, dass es so nicht ewig weitergehen kann. "Nachts lausche ich schon, ob Geräusche an der Tür sind", räumt Klotsche ein. "Ich nicht", erwidert Pilz ungerührt, "ich bin sowieso schwerhörig." (Birgit Baumann, DER STANDARD, 23.7.2012)