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Terrence Boyd zählt zu jener Sorte von Mittelstürmern, die beim Publikum sehr gut ankommen. Bullig, gefährlich, wuchtig, spektakulär. Und schön jubeln kann er auch.

APA-FOTO: HERBERT NEUBAUER

Wien - Das Leben ist "überragend". Es ist nicht so, dass Terrence Boyd nach Worten ringen musste, der 21-jährige US-Amerikaner ist durchaus eloquent. Sprachbarrieren sind keine vorhanden, Boyd wurde in Bremen geboren, ist dort aufgewachsen, da ist Deutsch selbstverständlich. Ans Wienerische wird er sich auch noch gewöhnen. Er hat am Samstagabend binnen fünf Minuten ungefähr 22-mal "überragend" gesagt. "Einfach geil" wurde deutlich abgehängt. "Gänsehaut pur" war ebenso chancenlos wie "unglaublich".

Die "überragende", "einfach geile" Vorgeschichte: Boyd wechselte im Juni von Borussia Dortmunds zweiter Mannschaft zu Rapid. Die Ablöse betrug lachhafte 200.000 Euro, er unterschrieb für drei Jahre. Der Fußball hat doch noch Schnäppchen zu bieten, das ist beruhigend. Boyd stürmte in der vierten deutschen Liga vor "durchschnittlich 800 Zuschauern". Einmal pro Monat durfte er bei den Großen mittrainieren, er lernte Jürgen Klopp kennen. "Eine andere Welt." Jene des deutschen Meisters, die irgendwie nahe, aber im Endeffekt viel weiter weg als Wien-Hütteldorf war.

"Überragend" war sein Einstand, das spektakuläre Fallrückziehertor beim 1:2 gegen Roma. Es hatte weitreichende Folgen. Für Trainer Peter Schöttel. Er musste Boyd zum Meisterschaftsstart gegen Wacker Innsbruck aufstellen. "Eigentlich wollte ich ihn zunächst auf der Bank lassen, er hat mich gezwungen umzudenken."

Der Rest war "einfach geil". Boyd machte schon in der vierten Minute das 1:0, das 3:0 hat er Christopher Drazan vorbereitet, das 4:0 wieder selbst erledigt. Ein Fallrückzieher verfehlte knapp das Ziel, Flugeinlagen dürfen eine Spezialität des bulligen Boyd sein. Nach 73 Minuten durfte er gehen. 15.000 Fans paschten. "Überragend", sagte er. "Die haben Pyrotechnik gezündet, sah geil aus. Gänsehaut pur." Weitere Eindrücke: "Überragend die Flanken von Drazan." "Hofmann ist ein überragender Spielgestalter." "Der Trainer ist ein überragender Fachmann, detailverliebt."

Rochaden

"Boyd schwebt eben auf Wolke sieben", sagte Schöttel. Rapid schwebte mit. Der Trainer hatte eine "offensive, attraktive Spielweise" angekündigt, und die Theorie wurde zur Wirklichkeit. Es war, von einigen Pausen abgesehen, Unterhaltung pur. Christopher Trimmel wurde als rechter Verteidiger aufgestellt, er hielt sich trotzdem meist in der gegnerischen Hälfte auf. Die Spieler rochierten, wechselten in der Offensive die Positionen, es herrschte quasi ein geordnetes, gewolltes, systematisches Chaos. Die Innsbrucker kamen da überhaupt nicht mit. Weder geistig noch körperlich. Trainer Walter Kogler sagte: "Wir waren in allen Belangen unterlegen und überfordert."

Dass Stefan Kulovits (29) nach zehn Jahren in seiner 180. Bundesligapartie endlich ein Tor im Hanappi-Stadion erzielt hat (Weitschuss in die Kreuzecke), stand nicht im Drehbuch. "Ein Kindheitstraum ist in Erfüllung gegangen. Ich durfte vor der Block West jubeln." Abräumer Kulovits war gar nicht für die Startformation vorgesehen. Er war ein zweiter Fall Boyd. Beim dritten Wackelkandidaten handelte es sich um Drazan. Schöttel: "Ich habe es mir eben dreimal anders überlegt." Drazan war in dieser Partie auffälliger als in der gesamten Vorsaison. Schöttel: "Keine Ahnung, warum. Denn gut trainiert hat er immer."

Freilich ist ein Sieg keine Meisterschaft. Zumal Wacker Innsbruck maximal ein Prüfsteinchen war. Ob Rapids Innenverteidigung mit Gerson und Mario Sonnleitner standhaft ist, blieb zum Beispiel offen. Boyd wollte sich über das Niveau der Liga nicht äußern. "Ich kenne weder Salzburg noch die Austria noch Sturm."

"Überragend" war, dass seine Familie, die Mutter, der Vater, die kleine Schwester samt Hund, aus Bremen angereist kam. "Sie durften das miterleben." Der Hund durfte natürlich nicht mit ins Stadion. Irgendwie ungeil. Vielleicht erhält er den Status eines Polizeihundes. Boyd sagte noch: "Ich muss schneller werden. Geistig und körperlich. Ich bin erst bei 80 Prozent." Schöttel: "Momentan schwebt er auf Wolke sieben." Boyd: "Überragend." (Christian Hackl, DER STANDARD, 23.7.2012)