Markus Narath: Es ist alles sehr komplex.

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Was ist das größte Problem des Gesundheitswesens? Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Sie verursachen die meisten Todesfälle. Richtig.

Der Krebs. Er stiehlt die meisten Lebensjahre. Richtig.

Die psychischen Erkrankungen. Sie verursachen großes Leid und bedingen die meisten Frühpensionierungen. Richtig.

Was ist das Wichtigste im Gesundheitswesen? Die Kinder. Da werden die Weichen für ein gesundes Leben gestellt. Richtig.

Die alten Menschen. Sie tragen die größte Krankheitslast. Richtig.

Die Gesundheitsausgaben und deren Kontrolle. Sonst fressen sie Bildung, Kultur, Soziales und Polizei auf. Richtig.

Die kontinuierliche Betreuung der Kranken, die Patientensicherheit, der faire Zugang für alle, die Qualität ... Richtig, richtig, richtig.

Die finanziellen Anreize für die Dienstleister, sie beeinflussen vieles. Qualifizierte Ärzte, Krankenschwestern und sonstiges Personal. Richtig, richtig.

Das ist ein Charakteristikum des Gesundheitswesens: voller "größter Probleme", voller "Wichtigste". So sind denn auch die Ziele nicht eindeutig, sondern vielschichtig und voller Kompromisse. Oft sind sie widersprüchlich. Natürlich spießen sich Sparen und Qualität wie auch Ausgaben für das eine versus Ausgaben für das andere.

Das modisch Oberwichtigste fehlt noch: die Effizienz. Richtig.

Aber Effizienz ist ein technischer, wertneutraler Begriff. Der Gesundheitsökonom Uwe Reinhardt aus Princeton betont seit Jahren, dass der Begriff nur im Zusammenhang mit dem Zweck seinen Sinn erhält. Der schnellste Weg von Graz nach Wien geht über die Autobahn. Aber für den, der die Gegend genießen will, in den Buschenschenken rund um Ilz essen und trinken und in schönen Dorfkirchen meditativ innehalten will, für den ist der Weg über die Autobahn höchst ineffizient.

Im Juli veranstaltete die Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) einen Tag zur Effizienzanalyse im Gesundheitswesen. Hier präsentierte etwa Johannes Zsifkovits erste vorläufige Ergebnisse einer Effizienzanalyse österreichische Spitäler. Und siehe da - wie schwierig das ist, von den methodischen Problemen bis zur Interpretation der Rechenergebnisse. Die folgende Diskussion zählt zu den Sternstunden in Österreich: Ob denn die gängige Betrachtung des Gesundheitswesens dem adäquat sei, ob denn vielleicht systemtheoretische Ansätze sich nicht eher zur Analyse eigneten, ob denn, ob denn ...

Es gibt auch einfache Aufgabenstellungen im Gesundheitswesen, aber die meisten sind doch sehr komplex und erfordern andere Zugänge als die des vorherrschenden mechanistischen Bildes. Das Gesundheitswesen ist keine Maschine, kranke Menschen sind keine reparaturbedürftigen Apparate und Ärzte keine Automaten. Der GÖG hat die Debatte angestoßen. Möge sie weitergeführt werden. (Markus Narath, DER STANDARD, 22.7.2012)