Wie unsere Arbeitswelten morgen und übermorgen aussehen sollen, darüber wird schon seit längerem nachgedacht – neuerdings noch einen Tick intensiver. Die Globalisierung bietet nämlich nicht nur Chancen, sie erzeugt auch Probleme, wo die industrielle Produktion abwandert und dringend durch neue Formen der Kopfarbeit ersetzt werden muss. Wie nur können wir uns kreativer machen, wenn doch auf den Märkten der Zukunft vor allem revolutionäre, kostbare, profitable Ideen und Konzepte gehandelt werden?

Die Zeit scheint reif, einschlägige Erkenntnisse und Hypothesen über die Arbeit in postindustriellen Gesellschaften wieder einmal in neu gebaute Realitäten zu übersetzen. Das Stuttgarter Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) machte gleich sich selbst und seine Belegschaft zum Forschungsgegenstand, indem es ein Haus der Wissensarbeit bauen ließ, ein sogenanntes "Zentrum für virtuelles Engineering". So der offizielle Titel.

Dort können sich die Mitarbeiter bei der täglichen Forschungsarbeit in einem technisch hochgerüsteten Gebäude gegenseitig zusehen und analysieren. Die auffällige Architektur des Hauses ist darauf abgestellt, eine attraktive Umgebung zu schaffen, die den Wissenschaftern zwar konzentriertes Arbeiten ermöglicht, sie aber vor allem zum permanenten Wissens- und Gesprächsaustausch animieren soll. Das Konzept – die Formensprache ist unmissverständlich – stammt von Ben van Berkel vom Amsterdamer Büro UN Studio.

Das neue Gebäude des Fraunhofer-IAO wurde folglich zum "Living Lab", dessen Mitarbeiter sich in die Versuchsanordnungen nicht nur als Beobachter, sondern auch als Versuchspersonen einbringen. Der Clou: Diese Versuchsanordnungen sind im Wesentlichen "virtuell". Sie bilden mithilfe von Hochleistungsrechnern und einer Vielzahl von Softwareprogrammen die Eigenschaften von Gebäuden und Städten nach. Sie simulieren all die Ereignisse, die dort ablaufen – angefangen bei natürlichen Phänomenen wie Klima, Licht und Wetter bis hin zu technischen und gesellschaftlichen Prozessen wie etwa Design, industrielle Produktion, Büroarbeit, Stadtplanung und Infrastruktur.

Was haben Angestellte in den letzten Jahrzehnten nicht alles erdulden müssen: das laute, nervige Großraumbüro der Siebziger- und Achtzigerjahre; in den Neunzigern dann die neuerliche Segmentierung des Großraums mit Computerarbeitsplätzen und hoher Fluktuationsrate, mit akustisch eingefriedeten Besprechungszonen, Teeküchen und anspruchslosen Grünpflanzen; und schließlich um das Jahr 2000 die Erfindung des enorm platzsparenden und medial bejubelten nonterritorialen Büros mit Rollcontainern, ein wenig Lounge-Mobiliar und gläsernen Separées für temporäre Meisterdenker.

Coole Kopfarbeit

Mittlerweile dürfen die Mitarbeiter europäischer Firmen wieder zurück an ihre gewohnten Schreibtische – wenn sie denn bereit sind, statt des üblichen Smalltalks zwischendurch wieder gezielt professionelle Diskurse mit den Kollegen zu führen. Schwarmintelligenz macht Vergnügen. Da stecken drei, vier, fünf Kollegen überm Cappuccino die Köpfe zusammen, und schon ist ein Problem gelöst. Oder sie treffen sich halb zufällig, halb absichtsvoll auf den Bürogängen, setzen sich in eine nette, kleine Lounge oder schwärmen bei schönem Wetter auf eine der Terrassen aus, die den Blick auf das benachbarte Institut freigeben, wo die Forscherkollegen wahrscheinlich über verwandten Fragen brüten.

So funktioniert Forschung! So geht Innovation! Und so ungefähr sieht es aus, dort auf dem Campus in Stuttgart-Vaihingen, am südwestlichen Rand der baden-württembergischen Landeshauptstadt, wo Ben van Berkel in Zusammenarbeit mit ASPlan Architekten aus Kaiserslautern den weißen, bunten, futuristischen Neubau des Fraunhofer-IAO plante. Vor wenigen Wochen wurde das Gebäude eröffnet und seiner Nutzung übergeben.

Diese Arbeitsgemeinschaft aus UN Studio und ASPlan entbehrt nicht einer gewissen Delikatesse: Gewonnen hatten den Architektenwettbewerb nämlich die Pfälzer. Die Niederländer hatten gar nicht erst teilgenommen. Aber das Fraunhofer-Institut holte entschlossen Ben van Berkel mit ins Boot, der sich wenige Jahre zuvor mit dem spektakulären Stuttgarter Mercedes-Benz-Museum für alle Zeiten empfohlen hatte. Und nachdem die Bauherren ihrerseits über entsprechend moderne technische Instrumente verfügen, trafen sich alle Beteiligten regelmäßig vor einer sogenannten Powerwall. Das 3-D-Projektionssystem ermöglicht es, virtuell ins Haus einzutauchen, sich darin zu bewegen und es, falls nötig, mit einem Klick zu verändern. Mit dem Ergebnis ihrer gemeinsamen Anstrengungen sind die Beteiligten zufrieden.

Ein Raum bittet zum Tanz

Denn die Architektur des IAO, deren strahlendes Äußeres schon das große Versprechen eines aufregenden Raumerlebnisses gibt, um es im Inneren auch gleich bravourös einzulösen, fordert sowohl Passanten wie auch die Besucher und erst recht die Nutzer des Gebäudes auf, sich zu "verhalten". Man wird neugierig, will hinein, will den vielen Sichtachsen folgend – weg vom lichten Atrium und wieder dorthin zurück -, die schwingenden Treppen auf und ab laufen und sich gleichsam den Tangorhythmen hingeben, mit denen die Architekten die Räume optisch zum Tanzen brachten. Die glatten, weißen Oberflächen scheinen in Bewegung. Regelmaß herrscht nur an jener zackig abgerundeten Südwestfassade, wo die neueste Sonnenschutztechnik es erlaubt, selbst im vollen Gegenlicht ins Freie zu sehen.

An den Peripherien des neuen Hauses, das ein wenig an Erich Mendelsohns berühmten Einsteinturm in Potsdam erinnert, herrscht eine gespannte Ruhe. Hier wird methodisch-linear nachgedacht, nicht lateral-schweifend wie eben noch rund ums Atrium. Es dominiert die Laborarbeit, doch der Blick hinüber in einen anderen Arbeitsbereich bleibt wach und offen: Was machen die dort gerade? Alles hier wirkt so, als sei gerade eine spannende Ausstellung im Entstehen, und man müsse eben mal rüber zu den Kollegen, um ja nichts zu verpassen.

Es versteht sich von selbst, dass das neue Fraunhofer-IAO auch gebäudetechnisch auf dem neuesten Stand ist: Geothermie, Betonkernaktivierung, Abwärmenutzung und eine ausgefuchste Klimatechnik machen das Haus, dessen Baukosten Fraunhofer streng geheim hält, besonders energieeffizient. Effizient ist übrigens auch das günstige Verhältnis von Gebäudeoberfläche und Glasfassaden, obwohl es dem Haus keineswegs an natürlichem Tageslicht mangelt. Das ruhige Spiel der Schatten auf den hellen, amorphen Flächen erzeugt erst jenen Charme, den dieses Haus in seiner unerhört gelassenen Art ausstrahlt. (Christian Marquart, Album, DER STANDARD, 21./22.7.2012)