Innsbruck - Der Innsbrucker Quantenforscher Hans J. Briegel betrachtet eine alte Frage der Philisophie aus physikalischer Sicht - nämlich die nach dem freien Willen. In seinem neuen Modell der Informationsverarbeitung ist es der Zufall, der Freiheit möglich macht. "Er kann dieses Räderwerk aufbrechen", so Briegel. "Und schafft den Raum, in dem freies Verhalten entstehen kann."

"Episodisch-kompositorisches Gedächtnis" und "Projektive Simulation"

In seinem in der Fachzeitschrift "Nature Scientific Reports" veröffentlichten Modell stellt Briegel, Wissenschaftlicher Direktor am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) in Innsbruck und Professor an der Universität Innsbruck, das Konzept eines "episodisch-kompositorischen Gedächtnisses" vor: Ein "Agent", also ein natürliches oder künstliches handelndes System, verfügt "in seinem Gedächtnis über einen Pool von Erfahrungsfragmenten, die ständig neu durchgemischt werden. In einer Zufallsbewegung werden diese Clips abgerufen, wenn bestimmte Ereignisse auftreten." Welche Erinnerungen auftauchen, hängt dabei mit bestimmten Wahrscheinlichkeiten zusammen, die ständig neu modifiziert werden.

Diese zufallsartige Verarbeitung von Erfahrungsfragmenten nennt Briegel "Projektive Simulation". Anders als ein Computer, der einem festgelegten Programm folgt, ist der Agent bei seinem Spiel mit den Gedächtnisschnipseln frei - neue Elemente werden generiert, variiert und schließlich als "fiktive" Erfahrungsinhalte abgespeichert. Wie bei einem Fantasiespiel können Szenarien und Ideen "entworfen" und dem Reservoir an möglichen Verhaltensweisen hinzugefügt werden. "Der Agent ist in gewisser Weise ständig damit beschäftigt, sich selbst und seine Handlungsoptionen zu simulieren", so Briegel. Dabei muss es sich bei diesem Agenten nicht um einen Menschen handeln - aus demselben Prinzip hat Briegel bereits neue Möglichkeiten für autonome künstliche Intelligenz abgeleitet.

Naturgesetze lassen Raum für Freiheit

Der Hirnforschung möchte er mit seinem Beitrag zur Willensfreiheit-Diskussion nicht in die Quere kommen. "Sie haben ihre Ergebnisse, die sie interpretieren", erklärt er. "Mir geht es darum, zur Klärung des Missverständnisses beizutragen, die Naturwissenschaft lasse durch ihre Gesetze überhaupt keinen Raum für Freiheit." Aus seiner Sicht ist Freiheit durchaus möglich, auch wenn jedes biologische Wesen "auf allen Skalen seines Körpers den Naturgesetzen unterliegt". Doch als Teil dieser Gesetze kennt die Quantenphysik eben auch den Zufall als essenzielles Phänomen - "das sehr nützlich sein kann, um den Spielraum für Freiheit zu öffnen". (APA/red, derStandard.at, 20. 7. 2012)