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Grafik: APA

Österreich hat derzeit die zweithöchste Ärztedichte der Europäischen Union. Das könnte sich in den nächsten Jahren jedoch ändern. Gesundheitsministerium, Wissenschaftsministerium und Ärztekammer haben in einer Studie (siehe nebenstehendes PDF) erheben lassen, wie sich der Bedarf an Ärzten bis 2030 entwickeln könnte. 

Generell zeichnet die Prognose ein klares Bild: Wird nicht gegengesteuert, so wird es in Österreich im Jahr 2030 einen Ärztemangel von zumindest 2.800 Ärzten geben, im schlechtesten Fall fehlen bis zu 9.900 Mediziner.

Pensionsantrittsalter und Leistungsumfang als Faktoren

Die Studienautoren haben dazu zwei Szenarien durchgerechnet. Das erste geht von einem etwas höheren Pensionsantrittsalter bei Ärzten und einer geringeren Versorgungswirksamkeit von Wahlärzten aus. Bei diesem Szenario gäbe es in den nächsten Jahren keinen Ärztemangel, erst ab 2025 zeichnet sich ein Mangel ab (siehe Grafik). Generell prognostozieren die Studienautoren einen Überhang an Zahnärzten. Laut diesem Szenario gäbe es im Jahr 2030 rund 2.200 Fachärzte und rund 1.100 Allgemeinmediziner zu wenig, jedoch 500 Zahnärzte zu viel.

Weit massiver stellt sich der Ärztemangel bei einem geringeren Pensionsantrittsalter und einer weiteren Versorgungswirksamkeit von Wahlärzten dar. Für dieses zweite Szenario rechnen die Studienautoren schon für 2015 mit einem Ärztemangel. Dann soll es rund 1.200 Fachärzte in Österreich zu wenig geben. Lediglich durch Einbeziehung der Zahnärzte kommt man auf ein leichtes Plus. Auch in den Folgejahren stellt sich ein Mangel an Ärzten ein. Für das Jahr 2030 rechnen die Studienautoren in diesem Szenario mit einer Bedarfslücke von rund 7.400 Medizinern, wobei auch in diesem Fall zu viele Zahnärzte ordinieren.

Die beiden Szenarien sind als Bandbreite zu verstehen, in der sich die Medizinerzahl entwickeln soll.

Moratorium entscheidend

Weitaus dramatischer könnte sich der Ärztemangel entwickeln, wenn die Quoten-Regelung für österreichische Studierende fällt. Derzeit sind 75 Prozent aller Studienplätz an den Medizin-Unis für heimische Studierende reserviert. Fällt die Quote, rechnen die Studienautoren mit zusätzlich 2.500 fehlenden Ärzten. Im schlimmsten Fall fehlen 2030 also 9.900 Ärzte. Die Studie birgt aber einige Unsicherheitsfaktoren: So lassen sich der tatsächliche Leistungsumfang der Ärzte und das Pensionsantrittsalter nur sehr schwer schätzen.

Derzeit sind in Österreich rund 41.000 Ärzte tätig, etwa 7.000 davon noch in Ausbildung. Im Jahr 2030 wird es einen Bedarf von 36.500 bis 38.000 Ärzten geben. In dieser Summe sind aber noch nicht jene inkludiert, die in Ausbildung sind. Insgesamt bedeutet dies einen Mehrbedarf von rund 16 Prozent. Der Anstieg in den verschiedenen Fächern ist aber sehr unterschiedlich: So erwartet man im Bereich der Gynäkologie nur einen Anstieg von drei Prozent, in der Zahnmedizin von acht Prozent, in der Urologie (plus 33 Prozent) und in der Inneren Medizin (plus 28 Prozent) werden aber weit mehr Fachärzte benötigt. Der Bedarf an Allgemeinmedizinern wird bis zum Jahr 2030 um 22 Prozent ansteigen.

Diese Zahl könnte sich noch reduzieren, wenn Optimierungspotenziale durch strukturelle Veränderungen im Gesundheitswesen schlagend werden. Die Studienautoren rechnen hier mit einem Potenzial von zehn bis 20 Prozent.

"Befürchtungen bestätigt"

"Die Studie bringt als Ergebnis, dass wir ausreichend Ärzte ausbilden", sagte Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle. Vor allem nach dem Studium würden Mediziner jedoch das Land oder den Beruf verlassen. "Die Ausbildungsplätze sind eine Schraube, es gibt aber auch eine Fülle von anderen Schrauben. Was die Ausbildung an den Universitäten betrifft, ist schon viel geschehen", so Töchterle.

Das Problem des Ärztemangels lasse sich nicht allein auf die Ausbildung zurückführen, vor allem die nachuniversitäre Ausbildung müsse attraktiver gestaltetet werden, sagte Gesundheitsminister Alois Stöger (SPÖ).

Artur Wechselberger, neuer Präsident der Österreichischen Ärztekammer, erklärte: "Die Studie hat unsere Befürchtungen bestätigt." Die Attraktivität des Arztberufes habe in Österreich abgenommen, Mediziner würden nach ihrer Ausbildung ins Ausland abwandern.

Optimierungspotenzial

Wolle man die Ärzte halten, müsse die Attraktivität des Arztberufs erhöht werden. "Das Kassenarztdasein ist unattraktiv. Das Mittelbaudasein ist ebenfalls unattraktiv", konstatiert Wechselberger. Derzeit würden Ärzte 30 bis 40 Prozent ihrer Arbeitszeit für nichtärztliche Tätigkeiten aufwenden. In diesem Bereich müssten sie entlastet werden: "Ich glaube, wir administrieren unser Gesundheitssystem nicht zu Tode, aber auf ein niedriges Niveau."

Spiele man die Ärzte jedoch frei, so ergebe sich ein großes Optimierungspotenzial. Problem dabei: "Österreich ist sehr schlecht aufgestellt bei den Berufsgruppen, die diese Aufgaben übernehmen könnten. In diesen Bereichen - zum Beispiel in der Pflege - gibt es auch Mängel", so Wechselberger.

Der Ärztekammerpräsident kritisiert auch, dass es keine strukturierte Suche nach Ausbildungsplätzen gebe. "Viele Dinge passieren zufällig", so Wechselberger. Die postpromotionelle Ausbildung müsse verbessert werden, der Ärztekammerchef fordert deswegen ein verpflichtendes Praxisjahr und einen sinnvolleren Einsatz von Turnusärzten, die derzeit allzu oft als "Systemerhalter" der Krankenhäuser herhalten müssten. Vor allem bei der Ausbildung von Allgemeinärzten sei Österreich "zurückgeblieben".

Argumentationshilfe

Stöger will daher auch die Ausbildung nach dem Studium attraktiver gestalten: "Als nächstes Projekt werde ich deshalb eine Verbesserung der praktischen Ausbildung der Allgemeinmediziner umsetzen", so der Gesundheitsminister bei der Pressekonferenz am Freitag.

Töchterle sieht die Studie auch als "wichtiges Ergebnis für die Argumentation gegenüber der EU-Kommission". Derzeit verhandelt der Minister mit der Kommission über eine Verlängerung des Moratoriums, das die Quotenregelung erst ermöglichte. Töchterle hat EU-Bildungskommissarin Androulla Vassiliou bereits über die Ergebnisse der Studie informiert und "positive Signale" für eine Verlängerung des Moratoriums erhalten. "Längerfristig müssen wir schauen, wie wir mit der Quote umgehen. Da haben wir noch eine Atempause für einige Jahre." (seb, derStandard.at, 20.7.2012)