Ideenreichtum, Selbstbewusstsein und ein tadelloses Image: Das war Opel. Vom Ausbruch der Wirtschaftswunderjahre bis in die 1970er gehörten die Luxusmodelle der Marke zu den ersten Botschaftern distinguierter Bürgerlichkeit.

Mit großer Geläufigkeit verstand man sich in Rüsselsheim zudem auf die schrilleren Töne: die Westentaschen-Corvette GT 1900, den Commodore und ein von einer hämischen Motorjournalisten-Generation zu Unrecht heruntergeschriebenes Universal-Coupé – den Manta.

Räudig, sexy, dynamisch: So war er, der Manta. So war Opel.
Foto: Opel

Bis Anfang der 90er schien es für Opel dank der Bestseller Kadett E und Vectra kein Limit zu geben. Zwei Dekaden später ist Schluss mit Partystimmung, Opel ein Sanierungsfall. Wieder einmal. Das aktuelle Drama im Schnelldurchlauf: fluchtartiger Abgang von Chef Karl-Friedrich Stracke, tausende Mitarbeiter in den vergangenen Jahren entlassen, dennoch 570 Millionen Euro Verlust 2011, allein im ersten Quartal 209 Millionen Euro Miese, minus 12,2 Prozent beim europaweiten Absatz. Die hässlichste Zahl leuchtet hingegen in Detroit bei General Motors auf: 14 Milliarden Euro. So viel versenkte die Opel-Mutter seit 2002 im Europa-Geschäft.

Doch wie konnte es so weit kommen? Warum büßte ein Traditionsunternehmen, das aktuell ein "Auto des Jahres" (Opel Insignia), kreative Mini-Vans (Zafira, Meriva), einen grundsoliden Kompakten (Astra) und einen Pacemaker der Elektromobilität (Ampera, ebenfalls "Auto des Jahres") im Portfolio hat, alle Begehrlichkeit ein? Die Geschichte eines Niedergangs in sechs Kapiteln:

Die Aufgabe der Oberklasse

Hier wird traditionell richtig Geld verdient, die Gewinnspannen pro verkauftem Wagen liegen deutlich höher als in der Kleinwagen-Liga. Die gesamte Produktpalette zehrt vom Imagegewinn einer satisfaktionsfähigen Oberklasse, der Technologietransfer Richtung untere Fahrzeugklassen ist verbürgt. Und was machte Opel? Katapultierte sich ohne Not aus dem Olymp des Automobilbaus.

Ein 1964er Diplomat. Audi? BMW? Bemühte Marktteilnehmer, bestenfalls.
Foto: Opel

Noch in den 1960ern war man mit den Modellen Kapitän, Admiral und Diplomat erster Konkurrent von Mercedes. Während Volkswagen seine Existenz mehr oder weniger mit einem buckligen One-Trick-Pony bestritt, BMW um seine Existenz rang und Audi sich gerade daranmachte, mit biederen Blechschachteln Fahrt aufzunehmen, stand Rüsselsheim für edle – und leistbare – Ware.

Das Missverständnis in Sachen Oberklasse begann Ende der 70er mit dem Senator. Der war nichts anderes als ein aufgedönerter Rekord E mit weißen Blinkergläsern und Chrom-Epauletten. Für seinen Nachfolger, den Senator B, wurde ab 1987 der Omega zwangsbeledert. Der Wagen frommte bestenfalls einem SPD-Kreisvorsitzenden – und lief ohne Nachfolger aus.

Weiße Blinkergläser machen noch keine Oberklasse: Der Senator A (und ein Monza).
Foto: Opel

Als Bestätigung für Opels Orientierungslosigkeit konnte ab 2003 der Signum verstanden werden. Der Wagen war gut, richtig gut sogar. Doch der Versuch, einer traditionell konservativen Limousinen-Klientel ein Fließheck unterzujubeln, war bestenfalls ein Zeichen skurrilen Humors.

Der Signum. Als Chauffeurlimousine quasi nur in der Opel-Vorstandsetage im Einsatz.
Foto: Opel

Fehlende Innovationen

Leichtbau, Allradantrieb, SUV-Trend, revolutionäre Motoren- und Spritspartechnologien, neue Verkaufsnischen – während die Konkurrenz in den vergangenen 20 Jahren mit frischen Ideen aufwartete und Image-Bonuspunkte sammelte, fuhr Opel bestenfalls hinterher. Zudem drückte Konzernmutter General Motors immer wieder Modelle ins europäische Portfolio, die mitunter gut funktionierten – wie etwa der Isuzu-Ableger Frontera -, dann aber ohne Nachfolger ausliefen.

Ich hätte hier einen extrem innovativen Katalysator, Gnädigste.
Foto: Opel

Um das Loch in der Oberklasse zu stopfen, schickte Konzernmutter GM immer wieder edle Ware (Cadillac, Hummer) über den Atlantik. Doch statt die darbenden Opel-Händler mit Cadillac-Showrooms aufzuwerten, wurde der Vertrieb einem Europa-Importeur samt eigenem Händlernetz überlassen. Das Ergebnis lässt sich am Straßenbild ablesen: Cadillac? Fehlanzeige.

Einzig den Aufstieg des Van-Segments gestaltete Opel mit den Modellen Meriva und Zafira maßgeblich mit. Ob der zu Recht gepriesene Ampera, das erste praktikable Elektroauto eines Großserienherstellers, einmal als Innovator oder bloß als ein in aller Pracht gescheiterter Frühstarter in Erinnerung bleibt, wird die Automobilgeschichte entscheiden.

Tausche Qualität gegen Guru

Ende der 1980er, in einer Phase fröhlichster Verkaufsrekorde, wurde ein Mann Opel-Chefeinkäufer, der die Zukunft der Marke nachhaltig prägen sollte: José Ignacio López de Arriortúa. Mit messianischem Eifer machte sich der Spanier daran, die Einkaufs- und Produktionskosten zu drücken. López war Guru einer slicken Managergeneration – Erkennungszeichen: die nach innen gedrehte Armbanduhr -, der den Zulieferern das Weiße aus den Augen verhandelte. Mit reichlich Hybris ausgestattet – den engsten Kreis seiner Mitarbeiter pflegte er als "Krieger" zu bezeichnen -, presste der Superoptimierer die Opel-Produktionsanlagen wie die reifen Navelina-Orangen aus.

Was die Bilanzen rasch behübschte, kam beim Käufer weniger gut an. Opel, bis dahin Garant für gutbürgerliche Qualität, wurde Stammkunde bei den Gelben Engeln. So war der 1991 präsentierte Astra vor allem für seine Mängelliste bekannt. Zwei Jahre später heuerte Lopez überraschend bei Volkswagen an und ließ den Ex-Arbeitgeber die Scherben zusammenkehren. Doch die enttäuschten Kunden waren weg. Und kamen nie wieder.

Schwierige Mutter-Kind-Beziehung

Mangels einer konzisen Markenstrategie im GM-Konzern wird den Rüsselsheimern laufend das Wasser abgegraben. Die Trennschärfe zur koreanischen Bestpreis-Tochter Chevrolet (Ex-Daewoo) ist gelinde gesagt überarbeitungsbedürftig. Wieso einen Astra kaufen, wenn der auf der gleichen Plattform laufende Chevrolet Cruze deutlich günstiger kommt? Der chinesische Markt bleibt Opel per GM-Erlass verschlossen. In Russland werden zwar Opel-Fabriken hochgeziegelt – was aber gleichzeitig die Produktionsstandorte in Deutschland gefährdet.

Legendär die Entscheidung von General Motors, sich angesichts des heraufziehenden Dieselmotor-Booms die Selbstzünder von der japanischen Tochter Isuzu zuliefern zu lassen. Das Ergebnis war vor allem für Opel fatal: Die Asiaten schickten einfache, solide Motoren, während BMW, der VW-Konzern, PSA, vor allem Fiat hingegen gewaltige Summen in ihre Entwicklungsabteilungen steckten, um den Aggregaten Laufruhe, Sparsamkeit und mächtigen Antritt abzuringen. Konsequent tuckerte Opel in Europa mit seinen phlegmatischen Motoren hinterher. Als die Rüsselsheimer endlich aufwachten, war die Marke für Dieselkunden auf lange Jahre verloren.

Verhängnisvolle Affären

Fusionen und Kooperationen sind Teil des Automobilgeschäfts. Manche funktionieren ausgezeichnet (Renault/Nissan), viele hingegen erwiesen sich als veritable Geldvernichtung (DaimlerChrysler/Mitsubishi/Hyundai). Opel wurde von General Motors mit unzähligen Herstellern, Plattform- und Strategiepartnern vermählt. Verlässlich griff man dabei ins Klo. Fiat war quasi tot, als GM 2002 die Italiener als Plattformpartner an Land zog. Rüsselsheim und Turin – das konnte nicht gut gehen.

Aufgrund anhaltender Zerrüttung wurde die Ehe 2005 geschieden, GM warf den Italienern noch 1,5 Milliarden Euro hinterher. Saab war für Opel auch mehr Mühlstein als Liebesbeziehung, das Verhältnis endete für die Schweden bekanntlich letal. Von (Ex-)Partner Suzuki gab's zumindest praktikable Kleinwagenplattformen. Neo-Partner PSA (Peugeot/Citroën) ist auch keine Hilfe, kämpft sich momentan mit Personalabbau aus der Absatzkrise.

Lotus Omega. Brutal schnell. Brutal anfällig. Brutal teuer: 125.000 D-Mark.
Foto: Opel

Mit der Sportwagenschmiede Lotus holte man sich hingegen 1991 einen mit Testosteron aufgepumpten Wutbürger ins Haus: den Lotus Omega. Die Engländer schraubten einen 377-PS-Biturbo-Sechszylinder in den Biedermann (5,3 Sekunden von 0 auf 100 km/h). Der erhoffte Imagetransfer fand eher nicht statt: Der Supersportler war zwar schnell, noch schneller war jedoch ein Werkstatttermin für den technisch labilen Tarnkappenbomber fällig. Überhaupt: der Sport.

Sport, ein Missverständnis

Scheinbar mühelos gelang es Opel bis in die 90er Jahre, Rennsporterfolge ins Tagesgeschäft zu übersetzen. In den 1970ern stellte man einer von Walter Röhrls Rallye-Erfolgen auf Opel Ascona angefixten Jugend auf Sport getrimmte Kadetts, Asconas und Mantas in die Verkaufsräume. In den 1980ern gewann der unfassbare Kadett GSi gar Vergleichstests gegen den VW Golf GTI. 1990 ging der Calibra, Feuchttraum der Discojugend, an den Start – da machten sie sogar bei BMW große Augen.

Champ Walter Röhrl samt heißem Versprechen. Das war einmal.
Foto: Opel

Doch während selbst Mercedes in der Formel 1 ein Comeback feierte und Audi nach den Quattro-Rallyerfolgen in die Langstrecke einstieg, Ford und Citroën sich aufmachten, den Rallyesport zu erobern, zog sich Rüsselheim von den großen Rennstrecken zurück. Stattdessen versuchte man, den Speedster (wieder so ein Lotus-Joke, gescheitert), die OPC-Reihe (saugut, aber ohne Image-Anschluss) und den Roadster GT (2009 nach nur drei Jahren wieder gekickt) unters Volk zu bringen. Vergebens.

Sehr leicht, sehr geil, sehr Mittelmotor: Der Speedster. Tolles Auto. Nicht so für Opel.
Foto: Opel

Opel missachtete den ewig gültigen Merksatz, dass Jungspunde keine Autos, sondern eine knackige Story kaufen wollen. Die soll jetzt ausgerechnet der Opel Adam liefern. Der Kleinwagen, der den Vornamen des Unternehmensgründers trägt, ist aufgerufen, einen neuen Anfang zu markieren. Er ist so etwas wie das Modell der letzten Chance. (Stefan Schlögl, derStandard.at, 23.7.2012; Fotos: Opel, Reuters)