Mit ihrem Buch "Paläopower" will die Evolutionsbiologin Sabine Paul "in die Welt der Jäger und Sammler eintauchen".

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Einen Ausweg aus einem "Leben in Käfighaltung" sieht die Autorin darin, zum steinzeitlichen Lebensrhythmus zurückzukehren. Als eine Strategie gegen Übergewicht empfiehlt sie unermüdliches Flirten.

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Mehr als 99 Prozent ihrer bisherigen Entwicklung haben die Menschen als Jäger und Sammler verbracht; in dieser Zeit konnten sie sich optimal an die Umwelt anpassen. "Es gibt wenig Grund, die paläolithische Phase unserer Vergangenheit zu romantisieren - wohl aber Anlass, sich die Erfolgsstrategien unter diesen widrigen Bedingungen bewusst zu machen und auch heute zu nutzen", schreibt die deutsche Molekular- und Evolutionsbiologin Sabine Paul in ihrem neuen Buch "Paläopower". Darin erklärt sie, wie wir die Kraft des "genetischen Erbes der Steinzeit" auch heute noch nutzen können.

Den Hauptteil des Buchs nimmt das Kapitel Ernährung ein. Paul zufolge ist es nötig, "dem heutigen Wildwuchs an Ernährungs- oder Verhaltensregeln einen wissenschaftlich basierten Kompass entgegenzusetzen". Unser Stoffwechsel ist seit Urzeiten darauf optimiert, möglichst viel Energie zu speichern, um das Überleben zu sichern. Heutzutage ist das freilich nicht mehr notwendig, weshalb immer mehr Menschen infolge der industriellen Massenproduktion und der ständigen Verfügbarkeit von Essen unter Übergewicht leiden.

Vom Fast Food zum Paläo-Food

Laut Paul ist die Ursache dafür ein Mangel an hochwertigen Lebensmitteln: "Nährstoffqualität wird unbewusst durch Nahrungsmittelquantität ersetzt - eine Fehlanpassung in der modernen Welt." Geschmack und Nährwert würden immer mehr entkoppelt; mit Light-Produkten und Aromen würden wir unsere Sinne betrügen und den Körper täuschen. Auch die Trends zu Fast Food, Designerfood (Imitate wie Analogkäse, künstlicher Schinken, aber auch genmanipulierte Nahrung) sowie Pharmafood (mit Medikamenten angereicherte Lebensmittel) würden unserer Gesundheit schaden.

Paul meint, dass wir uns dem "Ernährungsregelterror" mit Vorgaben aus Gesellschaft, Industrie, Religion und Medizin nicht länger unterwerfen, sondern unseren körperlichen Bedürfnissen folgen sollten. Umso mehr verwundert, dass ausgerechnet die Autorin selbst Ernährungsempfehlungen aufstellt: Sie ruft auf, zumindest für eine Woche alle Lebensmittel aus dem Kühlschrank zu entfernen, die "nicht paläolithisch" sind, also in der Steinzeit noch nicht zur Verfügung standen - etwa Milchprodukte, glutenhaltige Getreideprodukte, Hühnereier, Fertigprodukte. Danach solle man im Wochentakt  Schritt für Schritt die "neueren" Lebensmittel wieder aufnehmen und den darauf folgenden "Effekt" beobachten. Eine wissenschaftliche Begründung, warum ein Leben ohne Eier, Milchprodukte und Brot gesünder sein soll, fehlt allerdings völlig.

"Das Leben ist zu einer Käfighaltung mutiert"

Der Neuigkeitswert des Buches hält sich generell meist in Grenzen. So schreibt die Autorin, dass unser Alltag und die zunehmende Automatisierung mitverantwortlich am gehäuften Auftreten von Zivilisationskrankheiten seien. Paul konstatiert: "Das Leben ist zu einer Käfighaltung mutiert." Seit jeher seien wir programmiert, unseren Energieaufwand möglichst gering zu halten, weshalb es den meisten viel leichter falle, fernzusehen als joggen zu gehen.

Einen möglichen Ausweg sieht die Molekular- und Evolutionsbiologin darin, zum steinzeitlichen Lebensrhythmus zurückzukommen, also zwei Tage Regeneration auf ungefähr zwei Tage Arbeit (respektive Jagd) folgen zu lassen. Dass eine solche Umstellung der Gesellschaft schwer bis nicht realisierbar ist, leuchtet freilich auch Paul ein. Ein Vergleich mit der heutigen Arbeitswelt führe aber das "Missverhältnis der heutigen Arbeits-/Freizeitbilanz vor Augen".

Mit "Paläopower" gegen Burn-out, AHDS und Allergien

Absurd wird es, wenn die Autorin Parallelen zwischen dem Aufmerksamkeits-Hyperaktivitäts-Defizit-Syndrom (AHDS) und den Anforderungen aus der Steinzeit zieht. Was heute unerwünscht sei (Impulsivität, Risikobereitschaft, Aggressivität), habe damals einen genetischen Vorteil dargestellt. Die heutigen, als nachteilig empfundenen Symptome seien das Produkt der modernen Umwelt, die nicht zu dieser genetischen Ausstattung passe.

Als einen auslösenden Faktor für AHDS ortet sie wieder einmal falsche Ernährung. Abhilfe soll der "Paläopower-Kompass" bieten, der mit Hilfe von Moodfood ("Nervennahrung" wie Hülsenfrüchte, Samen und Pilze), Bewegungsspielen und Erholungsphasen in der Natur AHDS bekämpfen will. Auch Burn-out und Allergien will die "Paläopower" bekämpfen - einmal mehr mit der Rückbesinnung auf Steinzeit-Ernährung und mehr Bewegung.

Flirten als Strategie zu Übergewicht

Skurril auch, wenn Paul als eine Strategie gegen Übergewicht das Flirten empfiehlt: "Wenn Sie Ihren Traummann oder Ihre Traumfrau gefunden haben: Flirten Sie mit ihm oder ihr unermüdlich weiter. Die Statistik zeigt: Eine langweilige Ehe oder eine Scheidung machen dick, die Verführungskunst hält attraktiv."

Nicht alle Tipps erweisen sich als untauglich: Das Vermeiden von Stress, möglichst viel Bewegung in der Natur und eine bewusste Ernährung tragen definitiv zu einem gesünderen Leben bei. Das ist aber alles nicht neu - und dazu hätte es auch keinen Ratgeber über die Paläopower gebraucht. (Florian Bayer, derStandard.at, 27.7.2012)