Bernd Semrad arbeitet am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft: "Es ist kein 08/15-Job, ich würde es auch nie bloß als Beruf bezeichnen, es ist eine Berufung."

Foto: derStandard.at/Pumberger

Über die Vorteile eines Massenstudiums: "Das ist Brainpower und nicht das technokratisch konnotierte Humankapital."

Foto: derStandard.at/Pumberger

Semrad über seine Lehrtätigkeit: "Wenn ich in der Lehre nicht tätig sein könnte, würde Wissenschaft für mich sehr viel an Wert verlieren."

Foto: derStandard.at/Pumberger

"Eine größere Diskrepanz zwischen gesellschaftlichem Ansehen und Verdienst gibt es wohl in keinem anderen Beruf", sagt Bernd Semrad. Er ist externer Lehrbeauftragter und Projektassistent am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Uni Wien. In dieser Situation, sagt Semrad, müsse man damit rechnen, zwischenzeitlich auch als "Working Poor" zu gelten. Für eine Lehrveranstaltung erhält man pro Monat gerade einmal 350 Euro netto. Dennoch brennt er für die Wissenschaft. Sein Schwerpunkt liegt auf der Kommunikationsgeschichte.

Warum er manche Uni-Netzwerke als menschenverachtend bezeichnet, ein Massenstudium riesige Vorteile bringt und es für ihn Forschung ohne Lehre nicht gibt, sagt Semrad im Interview mit derStandard.at.

derStandard.at: Wie sieht Ihre aktuelle Arbeitssituation aus?

Semrad: Ich bin externer Lehrbeauftragter seit 2005 und parallel dazu Projektassistent. Meine Arbeitssituation ist dennoch prekär. Bei meinem Forschungsprojekt handelt es sich um die Institutsgeschichte, die inhaltliche, strukturelle, personelle Geschichte des Instituts und eine Absolventenbefragung. Angedockt daran ist meine Dissertation, die sich mit Karl Kurth, dem ersten Professor für Zeitungswissenschaft in Wien, beschäftigt.

derStandard.at: Warum bezeichnen Sie Ihre Arbeitssituation als prekär?

Semrad: Es betrifft natürlich nicht nur mich, weil die Idealsituation für den wissenschaftlichen Nachwuchs nur einen recht engen Korridor darstellt: Man macht das Diplom, arbeitet als Lehrbeauftragter und in Forschungsprojekten mit. Im besten Fall hat man eine Vertragsassistentenstelle. Nach vier Jahren promoviert man, und vielleicht hat man dann eine Post-Doc-Stelle hier oder an einer anderen Uni. Dann geht man vielleicht in Richtung Habilitation. Von dieser Idealsituation sind wir aber weit entfernt. Denn es gibt natürlich viele Faktoren, die auch das normale, private Leben betreffen, Dinge, die man nicht so planen kann, die nicht dazupassen.

Zudem wurde meine Projektassistenten-Stelle über Drittmittel finanziert. Das stellt insofern eine prekäre Situation dar, als man ständig um die Mittel kämpft, anstatt dass man bei der Dissertation weitermacht. Man beherrscht die Antragsprosa, aber muss immer damit rechnen, dass der Antrag nicht durchgeht, weil die Forschungsförderung in den letzten Jahren massiv zurückgegangen ist. Das Problem ist, dass man in einer Work-Life-Balance um die 30 das alles integrieren muss. Dissertation, Lehre, Lebensplanung - alles kommt zusammen.

derStandard.at: Haben Sie immer schon eine Uni-Karriere angestrebt?

Semrad: Nein. Eigentlich wollte ich immer Werbung und PR machen. Ich habe schon vor dem Studium begonnen, journalistisch zu arbeiten. Insgesamt habe ich das dann sieben, acht Jahre lang gemacht. Ab dem zweiten Semester war ich aber schon Tutor bei Fritz Hausjell am Institut. Mich hat die Wissenschaft dann immer mehr interessiert. Ich habe Lehrveranstaltungen mitbegleitet, vorbereitet, auch beurteilt. So bin ich da hineingeschlittert.

derStandard.at: Und jetzt erleben Sie, dass junge Wissenschaftler durch die finanzielle Situation der Unis massiv gebremst werden.

Semrad: Nicht nur! Es gibt eine gläserne Decke, sie betrifft nicht nur Frauen, sondern den gesamten Nachwuchs. Durch das UG 2002 und das neue Dienstrecht sind die Laufbahnmöglichkeiten für Junge nicht besser geworden. Wenn das jemand behauptet, sind das Sonntagsreden von Professoren, Dekanen, Rektoren. Ich verwende bewusst die männliche Form. Es ist immer noch ein männlich dominiertes Geschäft. Sie können ziemlich willkürlich darüber entscheiden, wen sie fördern.

derStandard.at: Inwieweit ist man als junger Uni-Lektor auf Mentoren angewiesen? Schafft man es auch alleine?

Semrad: Man schafft alles alleine, weil man es ja kann. Um aber die Möglichkeit zu haben, das auch zu zeigen, braucht man Menschen, die einen auch fördern, die sagen, wir vertrauen auf dich, du kannst das. Es geht nicht nur um Qualifikation und Leistung, das ist alles Humbug. Es geht nach wie vor um Netzwerke. Das ist teilweise menschenverachtend. Die Vermittlung auf andere Stellen, auf andere Unis, etwa im deutschsprachigen Raum, das funktioniert zu guten Teilen über Seilschaften.

Das ist ja jetzt nichts Neues. Aber wenn eine gewisse Schieflage durch mächtigere Netzwerke entsteht und man immer wieder anrennt, zermürbt das. Und wenn dann private Krisen in dieser Qualifikationsmühle dazukommen, kann man schon zerbrechen. Das System kann einen krank machen.

derStandard.at: Es gibt aber wenig arbeitsrechtliche Absicherung.

Semrad: Man kann natürlich auch als Lehrbeauftragter in Krankenstand gehen, aber dann hat man im nächsten Jahr wohl keinen Lehrauftrag mehr.

derStandard.at: Wie viel verdient man?

Semrad: An der Uni Wien für einen Lehrauftrag circa 350 Euro netto im Monat. Ist man nicht auf einer fixen Stelle oder über Drittmittel finanziert, heißt das, dass man damit rechnen muss, zwischenzeitlich auch als "Working Poor" zu gelten. Und das als Nachwuchswissenschaftler.

derStandard.at: Wie ist das Verhältnis zwischen Forschung und Lehre?

Semrad: Für mich gibt es Wissenschaft ohne Lehre nicht, vor allem an der Universität nicht. Sonst geht der Anspruch einer Universität verloren. Ich sage nichts gegen Senior Lecturers, aber wenn Forschung und Lehre nicht integriert werden, dann ist der Anspruch der Universität ausgehöhlt.

Ich Sommersemester habe ich zum Beispiel zwei Lehrveranstaltungen gehabt, die ich bewusst nicht für meine Forschungszwecke missbrauche, was andere vielleicht schon machen. Das wissen auch viele Studierende. Lehre ist auch meines. Wenn ich in der Lehre nicht tätig sein könnte, würde Wissenschaft für mich sehr viel an Wert verlieren.

derStandard.at: Wie ist der Perspektivenwechsel gewesen zwischen Studierendem und Lehrendem an ein und demselben Institut?

Semrad: Interessant ist es, dass ich mich nach wie vor als Studierenden sehe. Ich bin immer noch wissbegierig und sehe mich mit den Studierenden auf Augenhöhe. Das lebe ich auch. Gemeinsam kann man das Feuer besser entfachen, als wenn ich als Lehrender exponiert bin. Sehr viele Lehrende sind mit wenig Leidenschaft dabei - das kann ich nicht beurteilen, aber das berichten mir Studierende.

derStandard.at: Publizistik ist ein Massenstudium - wie eng ist der Kontakt zu Studierenden?

Semrad: Viele Studierende suchen sehr bewusst den Kontakt. Man darf Masse nicht gleichsetzen mir einer gleichförmigen Masse. Studierende wollen ja auffallen, wollen etwas wissen. Nicht als Streber, sie wollen sich ein Profil verpassen. Dieses Semester sind mir wieder einige aufgefallen, die durchaus das Zeug hätten, in die Wissenschaft zu gehen. Ein Massenstudium hat Riesenvorteile, man hat einen großen Pool an Köpfen. Das ist Brainpower und nicht das technokratisch konnotierte Humankapital.

derStandard.at: Würden Sie jungen Kollegen raten, eine wissenschaftliche Karriere zu machen?

Semrad: Man ist sehr gefährdet. Du musst in einer unglaublichen Qualifikationsmaschinerie leben, musst einem Riesendruck standhalten. Es ist kein 08/15-Job, ich würde es auch nie bloß als Beruf bezeichnen, es ist eine Berufung. 

Ich habe auch lange überlegt, ob ich das wirklich weiterhin machen will. Die Antwort war Ja. Nicht nur, weil ich viel Zeit investiert habe, sondern weil ich mehr, am besten alles wissen will. Doch wenn ich Geld verdienen wollte, würde ich keine wissenschaftliche Karriere anstreben. Man verdient als Wissenschaftler nicht viel. Eine größere Diskrepanz zwischen gesellschaftlichem Ansehen und Verdienst gibt es wohl in keinem anderen Beruf.

derStandard.at: Die Hochschulforscherin Elke Park hat in einem Interview gesagt, viele Jungakademiker müssten sich ihr Dasein, ihre Gelder aus Lehraufträgen, Kurzprojekten zusammenschustern, um irgendwie über die Runden zu kommen. Ist dieses Bild zutreffend?

Semrad: Das unterschreibe ich. Das ist absolute Patchwork-Arbeit. Man macht kleine Projekte, um sich die Wissenschaft zu finanzieren. Das darf es aber nicht sein. Das ist ein Riesenfehler im System. Ich sage nicht, dass die Menschen schwach sind, die an dem System scheitern, sondern das System ist krank.

derStandard.at: Haben Sie schon einmal daran gedacht, die wissenschaftliche Karriere an den Nagel zu hängen?

Semrad: Ja.

derStandard.at: Warum haben Sie sich dann dagegen entschieden?

Semrad: Weil ich dem zu viel Leidenschaft entgegenbringe. Wissenschaft hat einen Selbstwert, aber auch einen Mehrwert. Gerade in einer Gesellschaft, die notorisch wissenschaftsfeindlich ist wie die österreichische, muss man etwas dagegen tun. Das ist meine Form des Widerstands gegen viele Versuche, auch Wissenschaft mundtot zu machen.

Vielleicht ein Beispiel: Ich war schon vor über zehn Jahren Mitglied einer Initiative für die Umbenennung des Dr.-Karl-Lueger-Rings. Jetzt freut mich die Umbenennung natürlich, man denkt sich, man hat einen kleinen Mosaikstein dazu beitragen können.

derStandard.at: Sie haben zuvor die Vorteile des Massenstudiums genannt. Immer häufiger gibt es aber Bestrebungen, den Zugang zum Studium zu reglementieren. Was halten Sie davon?

Semrad: Aus ideologischen Gründen bin ich gegen jegliche Zugangsbeschränkung, jeder der studieren will, soll dürfen. Wir würden viele helle Köpfe dadurch verlieren, dass sie nicht studieren können. Allerdings, wenn die Universität einen Beitrag dazu leisten soll, Herrn Töchterle oder die Republik Österreich dazu zu nötigen, neben dieser Hochschulmilliarde einen zusätzlichen, absolut notwendigen Beitrag zu leisten, die Wissenschaft auszubauen, dann sollen Studiengebühren eingeführt werden. Ich habe immer wieder unter meinen Studierenden gefragt, weil ich dieses Stimmungsbild haben will: 90 Prozent sind dafür, weil sie dann bekommen, was sie wollen: den Platz. (Rosa Winkler-Hermaden, derStandard.at, 19.7.2012)