"Vielleicht bin ich ein Sargnägelchen": Mit großer Wortgewalt brandmarkt der Schriftsteller Josef Winkler die aktuellen skandalösen Zustände in Kärnten und attackiert die verantwortlichen Politiker.

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Standard: Sie blicken als Schriftsteller in die Abgründe der Kärntner Seele. Derzeit steht fast die ganze Führungsriege des Landes mit einem Fuß im Kriminal. Was empfinden Sie dabei?

Josef Winkler: Ich habe ja schon in meiner Rede zum Bachmannpreis davon gesprochen, dass Kärnten von schamlosen und räuberischen Politikern regiert wird. Jetzt sieht man die Visagen dieser mutmaßlich korrupten Politiker jeden Tag in der Zeitung. Ich habe etliche Anläufe unternommen, literarisch, satirisch und surreal die Bevölkerung dieses Landes darauf aufmerksam zu machen, mit welchen Leuten sie es da zu tun hat. Aber ich bin kein Aufdecker. Ich habe nur aufgenommen, was zu lesen oder zu hören war, und es zu politischen Pamphleten gemacht.

Standard: Der Herr Birnbacher, der ein Millionenhonorar für ein paar magere Seiten nachgeschmissen bekam, hat vor Gericht seine Untreue eingestanden. Geld für eine Klagenfurter Stadtbibliothek gibt es noch immer nicht.

Winkler: Dass es erstens eine Anklage gegeben hat und zweitens diese Leute vor Gericht gekommen sind, war schon eine Genugtuung für mich. Ich habe vor zwei Jahren in einem offenen Brief an Josef Pröll im Standard ("Hungerstreik mit Erwin P.", Anm.) auf die Machenschaften von Jörg Haider, Josef Martinz und Dietrich Birn bacher hingewiesen. Pröll hat das als Kärntner Angelegenheit abgetan.

Standard: Eine Kärntner Angelegenheit blieben die unzähligen Skandale um die Hypo-Alpe-Adria Bank aber wohl nicht?!

Winkler: Ein paar Monate später ist der Euro wegen der Hypo- Geschichte ins Wanken geraten. Es war also keine Kärntner An gelegenheit. Prinzipiell denke ich, es wäre besser gewesen, wenn Jörg Haider in Wolfgang Schüssels schwarz-blauer Regierung gleich Vizekanzler geworden wäre. Denn im Parlament hätte man ihn viel besser unter die Lupe nehmen können. So aber waren die meisten Parlamentarier froh, dass er nach Kärnten hinuntergegangen ist. Nach unten soll er gehen, nach unten, sagten sie. Inzwischen weiß man, dass man auch von da unten der halben Republik die Gurgel umdrehen kann.

Standard: Sie haben sich mit zornig anklagenden Texten, in denen Sie den Größenwahn der Kärntner Politiker geißeln, auch mehrmals politisch zu Wort gemeldet.

Winkler: Ich glaube, das ORF-Landesstudio Kärnten hat es schon bereut, dass ich damals den Auftrag für die Eröffnungsrede beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb 2009 bekommen habe. Je mehr ich Ingeborg Bachmann gelesen habe, desto mehr Angst habe ich gekriegt, ob ich überhaupt eine Rede zustande bringe. Ich kenne Klagenfurt seit über 20 Jahren, und da hab ich mir gedacht, entweder ich habe etwas zu sagen oder ich habe nichts zu sagen. Mithilfe des Bachmann-Textes Jugend in einer österreichischen Stadt bin ich auf die Motive gekommen.

Standard: Was waren Ihre Motive, die Sie zum literarischen Wutausbruch gegen die "politischen Ignoranten" veranlasst haben?

Winkler: Einerseits hat Klagenfurt um viel vergeudetes Geld ein Stadion gebaut für drei Europameisterschaftsfußballspiele. Dann hat es diese Haider-Martinz-Birnbacher-Geschichte gegeben, dass jemand für fünf Blätter Papier mit teilweise lächerlichen Plattitüden zwölf beziehungsweise letzten Endes sechs Millionen Euro bekommt. Andererseits hat man in Klagenfurt - und das ist in Mitteleuropa einzigartig - kein Geld für eine Stadtbibliothek. Und dann ist bei einer Baustelle in Klagenfurt ein Kind gestorben, das bei Grün über den Zebrastreifen gegangen ist und von einem Lastwagen totgefahren wurde. Die Arbeiter sind immer wieder für den Bau des Fußballstadions abgezogen worden. All diese Zusammenhänge, ein größenwahnsinniges Stadion, ein größenwahnsinniger Steuerberater und der Tod dieses Kindes, das auch mein Kind hätte sein können - da ist in mir die Empörung aufgewallt und ich bin explodiert auf Wolke sieben.

Standard: Sehen Sie auch darüber hinaus politische Aspekte in Ihrem literarischen Werk?

Winkler: Meine Arbeiten haben immer auch politische Aspekte. Da habe ich wie ein Maulwurf von unten geschildert, wie es ausschaut in diesem Land. Das sind schon mehrere Tausend Seiten, auf denen sich dieser Maulwurf in dieses Land hineinwühlt. Und dann ist dieser Maulwurf an die Oberfläche gekommen, und ich habe diese fürchterlichen Missstände einfach wahrnehmen müssen. Unsere Kinder, die all diese Schuldenberge abtragen müssen, werden uns fragen: "Habt ihr alle zugeschaut, habt ihr nur an der Theke ein großes Maul gehabt, ihr intellektuellen Hosenscheißer?"

Standard: Viele Kärntner Künstler und Intellektuelle halten sich mit Kommentaren zurück.

Winkler: Vielleicht habe ich, der ich doch eine sehr bildhafte Sprache habe, mit meiner spitzen Feder einen Schreibvorteil. Ich bin überzeugt, dass ich mit meinem Text Über ein totes Kind wächst kein Gras drüber den Landeshauptmann Gerhard Dörfler ins Herz getroffen habe. Er war damals Verkehrsreferent. Es wurde ihm angeboten, gegen mich zu schreiben. Er hat sich mit Händen und Füßen gewehrt. Mit mir hat er nie geredet. Er hat sich nie getraut, er ist zu schwach auf der verbalen Brust.

Standard: Was hat Sie eigentlich in Kärnten und Klagenfurt gehalten?

Winkler: Ich weiß nicht, ob ich in Wien oder in Berlin ein besserer Schriftsteller geworden wäre. Herbert Achternbusch hat einmal über Bayern gesagt: "Diese Gegend hat mich kaputt gemacht, und ich bleibe, bis man ihr das ansieht". Das passt gar nicht so schlecht auf mich. Ich bin von vielen Intellektuellen ausgespottet worden, weil ich immer dasselbe geschrieben habe. Ich habe in meinen Büchern immer über mich in Kärnten geschrieben und damit auch das Land gestreift.

Standard: Soll sich ein Schriftsteller in einen politischen Diskurs einbringen?

Winkler: Jeder soll das tun, was er am besten kann. Jedes Kunstwerk, das sich gegen die Falschheit, gegen die Verlogenheit, ge gen den Kitsch stellt, steht da. Das muss nicht kommentiert werden. Auch bei mir ist es plötzlich im Fluss dahergekommen und innerhalb von zwei Tagen war die Rede zum Bachmannpreis fertig. Ich habe gewusst, dass es eine Abrechnung wird.

Standard: Haben die Litaneien "Die Wetterhähne des Glücks" und "Die Totenkulterer von Kärnten" denn etwas bewirkt?

Winkler: Immerhin stehen diese schamlosen und räuberischen Politiker zumindest vor Gericht. In Deutschland würde sich so ein Politiker wie Uwe Scheuch nicht mehr in sein Büro trauen vor lauter Scham. Bei uns in Österreich lässt sich so einer mit 11.000 Euro Steuergeld monatlich weiterversorgen. Er soll ruhig bleiben, denn dann sehen die Leute, dass da einer ist, der schon zweimal zwar nicht rechtskräftig, aber doch ordentlich verurteilt worden ist und der Kindern eine Tätsch'n geben will, weil ihm das auch so gut getan hat.

Standard: Braucht es in Kärnten einen Aufstand, ein Revolution?

Winkler: Grundsätzlich hofft man auf demokratische Wahlen. Aber es sollten ein paar Tausend Menschen auf der Straße lauthals hin ausschreien: "Wir wollen dieses System, das die Zukunft unserer Kinder so schwer beschädigt hat, einfach nicht mehr." Ich rufe zum zivilen Ungehorsam auf. Genau so ist die Mauer in der DDR niedergerissen worden.

Standard: Manche werfen Ihnen vor, sich zu Lebzeiten Jörg Haiders nie öffentlich geäußert zu haben?

Winkler: Möglicherweise hätte er mich vernichtet, möglicherweise hätte er mich zu einem Abend essen eingeladen. Man weiß nicht, was passiert wäre. Man darf aber nicht vergessen, Haiders Tod war auch der Grabstein des Anstoßes für meine Rede zum Bachmannpreis. Und jetzt bin ich vielleicht ein Sargnägelchen für diejenigen, die heute vor Gericht stehen. (Elisabeth Steiner, DER STANDARD, 19.7.2012)