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Die Abfallberater der MA48 wollen sich gegen die "Scheinselbstständigkeit" wehren.

Foto: Reuters/HEINZ-PETER BADER

Wien - Sie arbeiten teils seit mehr als zehn Jahren als Abfallberater für die Stadt Wien. Alle Aufträge kamen über die Magistratsabteilung 48, sie bestreiten damit ihren Lebensunterhalt. Seit Juli ist damit jedoch Schluss: 26 Beschäftigte wurden von ihren Terminen in Schulklassen wie in Gewerbebetrieben abgezogen. Weil sie es wagten, erzählen sie, sich gegen ihre zunehmend prekären Beschäftigungsverhältnisse in offenen Briefen zu wehren.

Sie arbeiteten auf Basis von Werkverträgen, die heuer auf lediglich drei Monate befristet wurden. Zehn Beratern wurden zuletzt zwar Anstellungen angeboten, allerdings ohne dabei Ausbildung oder Vordienstzeiten anzurechnen. Die übrigen fühlen sich von der MA48 entsorgt und über Jahre um ordentliche Dienstverhältnisse gebracht, resümiert eine Betroffene im Gespräch mit dem Standard.

Alice Kundtner ist laufend mit Fällen wie diesen konfrontiert. Von einer frei erwählten, echten Selbstständigkeit sei vielfach keine Rede mehr, sagt die Leiterin der Abteilung Soziales in der Arbeiterkammer. Sie spricht von rund 30.000 Scheinselbstständigen in Österreich: Menschen, die ein Recht auf Anstellungen haben, von ihren Arbeitgebern jedoch zumeist aus Kostengründen ins Unternehmertum gedrängt werden - mit all den damit verbundenen Rahmenbedingungen: von unsicherem Einkommen über selbst abzuführende Sozialversicherungsbeiträge bis hin zu geringerem Wochengeld in der Karenz und hohen Selbstbehalten bei Arztbesuchen.

"Soziale Schieflage"

Studien der Wirtschaftskammer über Ein-Personen-Unternehmen weisen auf einen Anteil von nur sieben Prozent hin, die sich von Arbeitgebern zum Weg in die Selbstständigkeit genötigt sahen. Alle anderen treibe vor allem der Wunsch nach Selbstverwirklichung wie flexiblerer Zeiteinteilung an, und Unzufriedenheit mit früheren Jobs. Kundtner hat daran starke Zweifel: Zum einen seien jene, die mit ihrer Arbeitssituation haderten, in der Regel nur schwer für Befragungen erreichbar. Zum anderen laufe es selten auf reinen Zwang aus. Es brauche dazu stets zwei, wobei das Zusammenspiel auf einer sozialen Schieflage basiere.

"Arbeitnehmer sind überwiegend in der ökonomisch schwächeren Position. Hier werden Notlagen ausgenutzt." Immer wieder bekämen ihre Leute in der Beratung zu hören, dass viele Jobs zu anderen Bedingungen schlicht nicht zu haben seien. Gängige Stehsätze: "Du willst diesen Auftrag? Gern, aber nur als Freier." Die Liste der Selbstständigen reicht von Anzeigenvertretern und Asphaltierern über Garderobenhalter und Kanalräumer bis hin zu Personenbetreuern, Polierern und Putzkräften. " Das ist lächerlich. Es braucht dazu überwiegend eine Einbindung in eine größere Organisation", sagt Kundtner. Was früher klar im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses abgewickelt worden sei, laufe plötzlich über das freie Gewerbe.

Die Zahl der freien Dienstnehmer zog einst rasant an, sank seit 2006 jedoch wieder von 27.000 auf 19.000. Die Arbeiterkammer sieht den Grund dafür in stärkeren Kontrollen, etwa in der Erwachsenenbildung oder in Callcentern, bei denen echte Dienstverhältnisse nachgewiesen wurden. Die Zahl der Selbstständigen ohne Gewerbeschein hat sich innerhalb der vergangenen elf Jahre in der Folge auf 42.600 fast verdoppelt. Insgesamt arbeiten 40.000 bis 50.000 Kleinstunternehmer für nur einen Auftraggeber, ist Kundtner überzeugt, "und diese Gruppe nimmt weiter zu" . In der Wirtschaftskammer wird relativiert: Nur 15 Prozent der Solisten hätten weniger als fünf Kunden.

"Zeit des großen Outsourcens ist vorbei"

Elisabeth Zehetner, Geschäftsführerin der Jungen Wirtschaft, will von Problemen nicht ablenken. "Die gibt es nachweislich, in den Medien etwa massiv." Insgesamt sei die Zeit des großen Outsourcens jedoch vorbei. Einen großen Anteil der Selbstständigen stellten aus ihrer Sicht Fotografen, Filmleute, Unternehmensberater und Handelsvertreter. Letztere gebe es in dieser Form freilich schon seit den 50er-Jahren. Die Gebietskrankenkasse, die diese in fixe Verträge dränge, agiere, wie sie meint, "nicht ganz am Puls der Zeit".

Robert Bodenstein, der als Obmann der Unternehmensberater, IT-Dienstleister und Buchhalter 15.000 Ein-Personen-Betriebe vertritt, hat nicht den Eindruck, dass in seinen Branchen Unzufriedenheit herrscht. Auch er will umgangene Anstellungen, am Bau etwa oder bei persönlichen Dienstleistungen, nicht kleinreden. Am anderen Ende der Fahnenstange stünden aber jene, die sich nur ungern in Organisationen einbinden ließen, wie Grafiker oder wissensbasierte Dienstleister. Er selbst müsse sich für eine Stunde Arbeit die Woche anstellen lassen. " Viele geht es auf die Nerven, automatisch als Dienstnehmer eingestuft zu werden." Zumal ihnen die Auftraggeber deren dadurch höhere Kosten vom Honorar abziehen.

Bis zur Klage

Brigitte Jank, Präsidentin der Wirtschaftskammer Wien, ortet in der Debatte um die versteckten Dienstverhältnisse zu viele Graubereiche. "Es braucht vom Gesetzgeber präzisere Spielregeln."

Wann jemand von einem Dienstgeber abhängig sei, sei gesetzlich eindeutig geregelt, entgegnet Johann Mersits, Direktor der Wiener Gebietskrankenkasse, die Arbeitsverhältnisse an Ort und Stelle prüft. Er verzeichnet im Jahr rund 700 Fälle von verdeckten Dienstverhältnissen, seiner Erfahrung nach mit steigender Tendenz. "Das unternehmerisches Risiko wird auf die Arbeitnehmer übergewälzt." Mersits sieht weniger Grauzonen, als Sozial- und Lohndumping, denn Freie seien für Ar- beitgeber naturgemäß günstiger. "Und es geht hier auch um unzulässige Wettbewerbsverzerrung."

Die Abfallberater der MA48 hoffen nach wie vor auf ein Einlenken der Stadt Wien. Andernfalls schließen sie eine Klage nicht mehr aus. (Verena Kainrath, DER STANDARD, 17.7.2012)