Die Finanzmärkte müssen laut Stefano Micossi schleunigst stabilisiert werden.

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STANDARD: Bringen uns die jüngsten Gipfelbeschlüsse, Spanien mehr Zeit für die Budgetkonsolidierung zu geben und eine Bankenunion voranzubringen, einer Lösung in der Eurokrise näher?

Micossi: Nach dem jüngsten Gipfel kann man sagen: Die Eurozone wird in den nächsten 18 Monaten nicht zerbrechen, das haben die Beschlüsse sicherlich verhindert. Aber die Eurozone wird ein sehr depressives, kaum wachsendes Wirtschaftssystem bleiben, wenn wir die Finanzmärkte nicht stabilisieren.

STANDARD: Aber die Zinsen auf Staatsanleihen in Spanien und Italien liegen immer noch zwischen sechs und sieben Prozent.

Micossi: Deswegen hat Italiens Premier Mario Monti auf einen 'Schild' gedrängt, der die europäischen Staaten schützen soll. Wir müssen verhindern, dass das System zusammenbricht. Wenn die Zinsen dort stehen bleiben, wo sie derzeit stehen, müssen wir in Italien circa einen Prozentpunkt als Anteil der Wirtschaftsleistung mehr für die Zinsbelastung zahlen. Das frisst die gesamten Einsparungen der jüngsten Ausgabenkürzungen auf. Wir brauchen also jetzt Arrangements zur Vergemeinschaftung von Schulden.

STANDARD: Aber dagegen wehren sich gerade die nordeuropäischen Staaten, allen voran Deutschland. Zudem sind wesentliche Reformen wie der Fiskalpakt noch nicht ratifiziert und umgesetzt.

Micossi: Die Politiker in den nordeuropäischen Ländern haben Recht, wenn sie Reformen verlangen. Aber sie haben nicht verstanden, dass es eine andere Dimension der Krise gibt: Liquidität. Wir müssen das Vertrauen der Finanzmärkte zurückgewinnen, noch bevor wir alle Puzzlesteine für die neue Infrastruktur in Europa an ihren Plätzen haben. Denn die Einsparungen und Strukturreformen, der Fiskalpakt, die Bankenunion und der Wachstumspakt brauchen Zeit.

STANDARD: Wer soll dieses Vertrauen zurückgewinnen. Die Rettungsschirme ESM und EFSF haben die Finanzmärkte nicht beeindruckt.

Micossi: Wir brauchen eine monetäre Intervention der Europäischen Zentralbank, um die Zinsaufschläge von Ländern wie Italien und Spanien zu deckeln. Das wäre wie Quantitative Easing (Ankäufe von Staatsanleihen durch die US-Notenbank, Anm.) in den USA. Die Risiken dieser Maßnahmen könnte man an den ESM weiterreichen. Der ESM würde also der EZB garantieren, dass sie keine Verluste erleiden wird.

STANDARD: Aber sind das nicht gerade die Transferzahlungen von deutschen und österreichischen Steuerzahlern, vor denen deutsche Ökonomen wie Hans-Werner Sinn gewarnt haben?

Micossi: Wir brauchen kein deutsches Geld, um italienische Schulden abzuzahlen. Das ist eine populistische Aussage. Wir benötigen Zeit, damit die Märkte die Bemühungen von Ländern wie Italien oder Spanien sehen können. Interventionen vom Internationalen Währungsfonds oder von Zentralbanken haben immer existiert, um Zeit zu verschaffen. Der IWF hat nie einen Cent seiner Kredite verloren.

STANDARD: Aktuell gehen die Außenhandelsdefizite in den Peripheriestaaten zurück. Ist der Abbau ein gutes Zeichen?

Micossi: Nein. Italiens Leistungsbilanz ist wieder ausgeglichen. Aber warum? Weil die Importe fallen. Italiens Wirtschaft wird dieses Jahr um drei Prozent schrumpfen, die offiziellen Daten tanzen noch um die Zwei-Prozent-Marke. Das ist die Depressionslösung. Das wird auch Deutschland zu spüren bekommen. Deutschland exportiert nicht mehr, weil wir nichts mehr importieren. Das ist kein stabiles Gleichgewicht. (Lukas Sustala, DER STANDARD, 16.7.2012)