Bahnfahren auf der Westbahnstrecke wird künftig zum Intelligenztest. Wer am neuen Bahnhof Tullnerfeld zwischen Wien und St. Pölten aussteigen will, muss sich je nach Fahrtrichtung gut überlegen, von welchem Unternehmen er sich transportieren lässt. Geht's gen Westen, dann hält die ÖBB, geht's gen Osten, muss man in die Westbahn einsteigen. Ist der neue Hauptbahnhof in Wien erst eröffnet, muss man zusätzlich überlegen, ob man nicht doch lieber den Westbahnhof anfahren möchte, auch da haben beide Anbieter unterschiedliche Lösungen angekündigt. Die Westbahn demonstriert Pragmatismus, die ÖBB zieht nach. So war es beim Bahnhof Tullnerfeld, und auch beim Westbahnhof, an dem viele Wien-Pendler hängen, dräut eine derartige Lösung.

Das hat auch Auswirkungen auf den Ticketkauf: Das Hin-und-Retour-Ticket Tullnerfeld-Wien ist ebenso sinnlos wie die Jahreskarte der ÖBB, wenn man ab und zu doch in eine Westbahn einsteigen möchte. Das alles ist vielleicht gerade noch durchschaubar für jene, die der deutschen Sprache mächtig sind, für ausländische Reisende führen die Züge dann geradewegs ins Tarif-Absurdistan.

Dass die ÖBB den privaten Anbieter auf der Weststrecke nicht mit offenen Armen empfängt, ist eine Sache. Schildbürgerartige Rahmenbedingungen werden aber nicht dazu führen, dass die Menschen weniger mit der Konkurrenz fahren - sie werden weniger Zug fahren. (Andrea Heigl, DER STANDARD, 17.7.2012)