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Öde Gleichförmigkeit bei Gemüsesorten - diesen Trend wird das EuGH-Urteil verstärken.

Foto: ap/Fabian Bimmer

Schlechte Nachrichten für alte Sorten kamen vergangene Woche vom Europäischen Gerichtshof: Er bestätigte das Handelsverbot für nicht amtlich zugelassene Gemüsesorten. Damit verstrich - entgegen manch positivem Medienbericht - eine Chance für eine vernünftige Neuregelung ungenutzt.

Die Richter begründeten das Urteil - das übrigens konträr zum Antrag der Generalanwältin ausfiel - damit, dass die Handelsrestriktionen der EU-Gemüsesaatgut-Vermarktungsrichtlinie für nicht zugelassene Sorten in Hinblick auf die Ziele der EU-Agrarpolitik - Rationalisierung und Produktivitätssteigerung - gerechtfertigt seien. Bis zu welchem Grad negative Folgen wie Verlust der Sortenvielfalt oder Einschränkung der Wahlfreiheit dafür in Kauf genommen würden, liege im Ermessen der Politik - und diese hatte damit bislang mehrheitlich kein Problem.

Ein schwarzer Tag für die landwirtschaftliche Vielfalt also und, in den Augen vieler zivilgesellschaftlicher Organisationen in Europa, eine bedauerliche Fehlentscheidung des EuGH. Auch die in Medien angeführten "Ausnahmeregelungen" für alte Sorten sind nicht als Erfolg zu werten. Die bereits vor Jahren aufgrund massiver Kritik am biodiversitätsschädlichen Saatgutrecht geschaffenen Erhaltungssorten-Richtlinien mögen kleine Nischenmärkte für alte Sorten eröffnen, sind jedoch Systemkosmetik und ändern nichts am Grundübel.

Rationalisierte Agrarindustrie

Ein grundlegender Wechsel ist längst überfällig. Das Saatgutrecht ist, wie das EuGH-Urteil belegt, ein wesentlicher Baustein der Gemeinsamen Agrarpolitik. Ihr Paradigma lautet, die Landwirtschaft weiter zu einer exportorientierten, rationalisierten Agrarindustrie umzubauen. Und dazu dient letztlich die verpflichtende Sortenzulassung, die den Handel mit jedem anderen Saatgut gegen Strafe verbietet. Denn - kleine Ausnahmen hin oder her - zugelassen werden jene Sorten, die "homogen, unterscheidbar und beständig" sind und dem Leistungsniveau entsprechen, das Industriesorten (unter massivem Einsatz von Kunstdünger, Pestiziden und Wasser) erbringen können. Gefördert werden also im Großen und Ganzen die "Rennwägen" unter den Sorten. Fuhrwerke, die diesen Leistungskriterien nicht entsprechen, werden verboten.

Nun können Rennautos zwar superschnell fahren, aber nur auf glatten, breiten Asphaltbahnen - und sie fressen jede Menge Benzin. Gut für jene, die Autobahnen zur Verfügung haben oder Benzin verkaufen. Schlecht für jene, die anderes brauchen oder wollen. Denn, um zum Saatgut zurückzukehren, Biobauern, Bergbäuerinnen, Marktfahrer oder Hausgärtnerinnen haben andere Bedürfnisse und Ansprüche an Sorten. Sie benötigen Kulturen, die auch ohne massiven Input von Dünger, Wasser und Treibstoff Ertragssicherheit gewährleisten. Sie müssen an ihre natürliche Umgebung gut angepasst und robust sein, wofür eine gewisse genetische Breite benötigt wird, nicht maximale Homogenität. Nicht zuletzt wollen viele Menschen weiterhin die Fülle an Farben, Formen und Wohlgeschmack genießen, die die in Jahrtausenden entwickelte Kulturpflanzenvielfalt eigentlich bereithält.

Und wären, wie manchmal argumentiert wird, ohne behördliche Sortenzulassung Bauern und Verbraucher von minderwertigem Saatgut bedroht? Nein, denn weder Keimfähigkeit noch Saatgut-Gesundheit oder Freiheit von gentechnischen Verunreinigungen sind Inhalt der Sortenzulassung. Generell würden Kennzeichnungsvorschriften, die Anbieter größerer Saatgutmengen zu wahrheitsgemäßen Angaben verpflichten, genügend Sicherheit für Verbraucher schaffen - ähnlich wie dies auch im Lebensmittelrecht geregelt ist. Ist Saatgut gefährlicher als Lebensmittel? Und welcher Agrarbetrieb, für den eine Missernte aufgrund schlechten Saatgutes tatsächlich eine ökonomische Bedrohung darstellen könnte, würde vor dem Kauf großer Saatgutmengen nicht aufs Etikett schauen?

Bauern und Hausgärtner sind keine völlig unmündigen Konsumenten, denen man die Entscheidung, ob sie einen Kauf ohne Zertifikat "riskieren" wollen, staatlicherseits abnehmen muss, was die Verfügbarkeit vieler Sorten am Markt drastisch eingeschränkt.

Diesen Status quo hat der EuGH nun bestätigt. Es wird jedoch für die EU-Politik bald Gelegenheit geben, das Saatgutverkehrsrecht neu auszurichten. Denn die EU-Kommission arbeitet derzeit an einer grundlegenden Revision. Auch die österreichische Regierung wird in wenigen Monaten mitentscheiden, ob das zukünftige EU-Saatgutrecht umwelt- und bürgergerecht ausfallen oder weiterhin vorrangig die Interessen der Industrie bedienen wird - und ob dann noch die letzten Handlungsspielräume jener Menschen, die sich für die Sortenvielfalt einsetzen, der Regulierungswut zum Opfer fallen wird. (Beate Koller, DER STANDARD, 17.7.2012)