Die beiden Publizisten Markus Metz und Georg Seeßlen gehen aufs Ganze: Sie skizzieren mit Verve den "Fahrplan der bürgerlichen Erhebung" zur " menschlichen Gesellschaft", zur "Rettung des Menschlichen". Dass man die Welt verändern muss ("sie hat es verdient" - Bert Brecht), ist eine kluge Einsicht. Mit quasireligiösem Pathos vermischt, wird sie allerdings zum Polit-Kitsch.

In den ersten beiden Abschnitten des Buches analysieren und kritisieren die Autoren die existierende Gesellschaft. Aus ihrer Sicht leben wir in einer Gesellschaft, die vom "Raubtier aus Postdemokratie und Neoliberalismus" beherrscht wird. "Postdemokratie" - ein Wort à la mode. Viel mehr, als dass es sich um eine nahe Verwandte von "Berlusconismus", " Merkelismus" und "Neoliberalismus" handeln könnte, erfährt der Leser nicht. Noch nach 70 Seiten ist "Postdemokratie" für die Autoren "ein durchaus noch unscharf verwendetes Etikett". Zur Beschreibung, Beschwörung und Diabolisierung des Etiketts ist ihnen kein Wort zu pathetisch: "Kannibalismus", "Barbarei" und "Sklaverei" gehören zu den harmloseren Metaphern, die sie verwenden, um die Gefahr zu bannen, die vom "Raubtier" ausgeht. In ihrem rhetorischen Furor lassen sie jeden Sinn für analytische Differenzierung fahren.

Mal trägt die Postdemokratie "noch Züge der Demokratie", dann ist "das Parlament als ernstzunehmendes demokratisches Instrument in Wahrheit" ebenso verschwunden wie "die kritische Presse", und zuletzt landet "das Raubtier" als Bettvorleger: "Postdemokratie ist immer noch besser als gar keine Demokratie".

Solche Inkonsistenzen haben einen Grund. Der methodische Zugriff ist denkbar willkürlich. Die Autoren bedienen sich vieler sozialwissenschaftlicher Theorien - Systemtheorie, Bild- und Medientheorie - sowie viel modischen Firlefanzes aus der Feuilletonsoziologie. Der zufolge werden Kriege geführt "für ökonomische Interessen" oder für "die Produktion von Bildern", und "die Warenzirkulation" wird "zunehmend zur Sinnzirkulation".

Die Einarbeitung von nicht- oder halbverstandenen Theoriestückchen führt zur Akkumulation von blankem Unsinn. Mit Luhmanns Theorie der funktionalen Differenzierung moderner Gesellschaften oder Foucaults Improvisationen über Macht hantieren sie wie Kinder mit Bauklötzchen. Diesem methodischen Zugriff entspricht der mal nervös hechelnde, mal wichtigtuerische Gestus des Buches, das von Reduktionsformeln und Übertreibungen strotzt. Von der "Arabellion" kommt man mit wenigen Sätzen zu "Stuttgart 21", zu den Castor-Transporten, Griechenland und zur NSU-Gruppe. Keine Dramatisierung ist den Autoren zu banal. Die Auseinandersetzung um "Stuttgart 21" wächst sich zum "Bürgerkrieg von oben" aus und "das Bild fallender Bäume" zum "Dokument der Barbarei". Das Thema "ziviler Ungehorsam" verkürzen die Autoren auf die Proteste gegen "Stuttgart 21", das "politisch-ökonomisch-mafiose Großprojekt" überschätzen sie als Beispiel für den "totalitaristischen Kapitalismus". Selbstgefälliger Verbalradikalismus und Pirouetten der Selbstüberbietung machen das Buch zum intellektuellen Ärgernis.

Die Autoren bezeichnen ihr Buch euphemistisch als "work in progress", faktisch handelt es sich um eine Ansammlung von Beliebigkeiten und Einfällen, die sich aus dem Themengemisch des medialen Handgemenges zufällig ergeben. Aber allen feuilletonsoziologisch zugerüsteten Glossen ist gemeinsam, dass Metz und Seeßlen ohne empirisches Fundament auskommen und sogar auf küchenpsychologische Gemeinplätze zurückgreifen: In dieser rabiat vereinfachenden Perspektive sind Citoyens "dynamische, empfindsame, eher schlankere Menschen", während der Bourgeois "fette Speisen in seinem Körper begräbt". An anderer Stelle deklarieren die Autoren den Rüstungsexport zur Grundlage "des relativen Reichtums" der " deutschen Post-Bourgeoisie". Tatsächlich betrug der Waffenexport 2010 ganze 2,34 Milliarden US-Dollar und umfasste 2000-2010 jeweils 0,15 bis 0,22 Prozent des BIP! Dazu passt, dass die intellektuelle Reduktionsformel "nichts anders als" im Buch auf Schritt und Tritt vorkommt. Demokratie ist "nichts anderes als die bestmögliche Organisation der Demokratie", Medien sind "nichts anderes als eine kulturelle Bankrotterklärung".

Zur Reduktion gesellt sich Verallgemeinerung. Die Autoren sprechen durchwegs im Namen eines "Wir", von dem nicht auszumachen ist, ob damit nur die Autoren oder ein hybrides und anonymes Kollektiv gemeint ist, das sich der "Rettung der Menschen und des Menschlichen" verschrieben hat. Als Kritiker des Kapitalismus jedenfalls sind die beiden Autoren nicht ernst zu nehmen, denn sie verwechseln Kritik mit dem, was Marx " verbalen Grobianismus" genannt hat. (Rudolf Walther, Album, DER STANDARD, 14./15.7.2012)