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Schon in den 1990ern hielten Forscher fest, dass die überwiegende Zahl an Führungskräften mit Angstgefühlen zur Arbeit geht.

Foto: apa/oliver berg

Veränderung früher, das war ein klar in sich abgegrenzter Zwischenschritt, der ausgeprägte Phasen der Stabilität, Kontinuität und somit auch der Berechenbarkeit und Planungssicherheit für kurze Zeit unterbrach. Und Veränderung heute? Die Rote Königin aus Lewis Carrolls Alice hinter den Spiegeln kommt da in den Sinn, die Alice erklärt: " Hierzulande musst du so schnell rennen, wie du kannst, wenn du am gleichen Fleck bleiben willst." Naheliegend, dass dieser Dauerlauf zur Selbsterhaltung nicht ohne Auswirkungen bleibt.

Mit Angst in die Arbeit

1996 veröffentlichten Professor Winfried Panse und sein Mitarbeiter Wolfgang Stegmann ihr Buch Kostenfaktor Angst. Damit machten die beiden Betriebswirtschaftler von der Fachhochschule Köln schlagartig etwas öffentlich, das bis dahin in der Wirtschaft als Gegenstand der Überlegung kaum eine Rolle gespielt hatte. Entsprechend hoch schlugen denn auch die Wellen des Pro und Kontra. Zumal Panse und Stegmann vor dem Hintergrund ihrer intensiven Beschäftigung mit dem Thema behaupteten, dass sogar die überwiegende Mehrzahl der Führungskräfte mittlerweile mit mehr oder weniger bewusst empfundenen Verunsicherungs- , ja sogar direkten Angstgefühlen zur Arbeit käme.

1999 legte Joachim Freimuth, Professor für Personalwesen, Personal- und Organisationsentwicklung an der Hochschule Bremen, als Herausgeber seine bemerkenswerte Veröffentlichung Die Angst der Manager vor. Diese subtile Publikation trug das ihre dazu bei, die Problematik nicht wieder aus dem Blick zu verlieren und ihre Verankerung im öffentlichen Bewusstsein zu festigen. Nun war es einfach nicht mehr zu übersehen, "irgendetwas" in der Arbeitswelt hatte sich schleichend, aber dramatisch verändert.

Arbeitsdruck entsolidarisiert

Um diese Zeit erfolgte die Verabschiedung des Personalratsvorsitzenden der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen, Herbert Cardol, in den Ruhestand. "Als ich in den Personalrat kam", konnte Cardol sich nicht verkneifen, dem erlauchten Auditorium mitzuteilen, " habe ich eine starke Solidargemeinschaft vorgefunden. Das ging querbeet durch alle Berufsgruppen. Seit einigen Jahren ist das nicht mehr so!" Und dann wurde er ganz deutlich: "Angst um den Arbeitsplatz und wachsender Arbeitsdruck entsolidarisieren und machen krank. Zunehmend leiden Mitarbeiter, Männer wie Frauen, unter psychosomatischen Problemen."

Womit der Mann unwissentlich das Stichwort für das gegeben hatte, was heute unter dem etwas schiefen Schlagwort "Burnout" Schlagzeilen macht: das Empfinden, von den permanent wachsenden beruflichen Anforderungen überfordert, ihnen nicht mehr gewachsen zu sein. Und dieses Empfinden löst immer mehr Angst aus, die Angst zu versagen. Diese Angst lähmt und untergräbt das Selbstbewusstsein und die Gesundheit, erstickt die Neugierde und tötet die Kreativität, macht unflexibel und lässt vor Veränderung zurückscheuen. Und nicht zuletzt macht sie einsam.

Angst, schreibt der 1979 verstorbene Psychoanalytiker Fritz Riemann in seinem Kultbuch Grundformen der Angst, "tritt immer dort auf, wo wir uns in einer Situation befinden, der wir nicht oder noch nicht gewachsen sind. Jede Entwicklung (...) ist mit Angst verbunden (...),die wir noch nicht und in (der) wir uns noch nicht erlebt haben (...). Sie kommt am ehesten ins Bewusstsein (...) da, wo alte, vertraute Bahnen verlassen werden müssen, wo neue Aufgaben zu bewältigen oder Wandlungen fällig sind."

Vertrautes verlassen

Und das, was heute im Beruf zu bewältigen ist, zwingt kompromisslos dazu, vertraute Bahnen zu verlassen, gewohnte Handlungskonzepte aufzugeben, Bewährtes - oft genug gegen jede persönliche Überzeugung - radikal zur Disposition zu stellen, gnadenlos die Kosten im Blick und den Rotstift zur Hand zu haben. Wo früher ein Auge zugedrückt werden konnte und wurde, muss, den neuen Spielregeln des globalen Marktes gehorchend, heute scharf hingeschaut und noch schärfer reagiert werden.

Psychosomatische Folgen

Eine Spielart dieses Reagierens formulierte der ehemalige Leiter des Arbeitsbereichs Verhaltenstherapie an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE), Professor Iver Hand, einmal sehr schön so: "Die Schwierigkeit, die sich für das Individuum ergibt und die wir in allen Bereichen spüren, auch in unserem Großklinikum, wo wir eigentlich gar nicht direkt etwas damit zu tun haben, ist, dass die alten Regeln nicht mehr gelten, die lauten: Wenn bestimmte Leistungen erbracht werden und wenn man schwarze Zahlen schreibt, sichert man gemeinsam einen Arbeitsplatz. (...) Wir haben das relativ neue Phänomen, dass Betriebe (...) geschlossen werden, obwohl sie schwarze Zahlen schreiben. Dieses haben wir auch in Hamburg wiederholt erlebt, wo die internationale Betriebsleitung der Meinung war, dass die Konzernrendite besser wird, wenn der hochproduktive Betriebsbereich in diesem Land eingestellt und in einem anderen Land wieder aufgebaut wird."

Auf moderner Wanderschaft

Arbeitsplätze auf Zeit, weil auf Wanderschaft - dass das nicht nur besonders sensiblen Naturen die Brust eng, das befreiende Durchatmen schwer und die Lust auf Leistung fragwürdig macht, ist das wirklich ein Wunder? Ein Wunder ist schon eher die Gläubigkeit, mit der dieses Prozedere unverdrossen betrieben wird. Und mit der direkt und indirekt daraus die Forderung nach einem kräftigen Mehr an persönlicher räumlicher Flexibilität und Mobilität abgeleitet wird. Schürt sie doch ein weiteres beklemmendes Gefühl: das der Heimatlosigkeit. Was in den Wüsten und Dürrezonen unseres Globus langsam Geschichte wird, erlebt in der offensichtlich doch von vielen als seelisches Ödland empfundenen modernen postindustriellen Wirtschaftsgesellschaft eine Wiederauferstehung: der Nomade.

Doch ob diese oft genug auch noch von Zeitarbeitsfirmen ausgeliehenen Wanderarbeitnehmer den in sie gesetzten Hoffnungen auf Dauer wirklich gerecht zu werden vermögen, wird sich zeigen. Sowohl verhaltensbiologische als auch medizinische Erkenntnisse nähren da eine starke Skepsis. Die offenbar zunehmenden als "Burnout" deklarierten und diskutierten Ausfallerscheinungen, die in Wirklichkeit wohl depressive Episoden sind, untermauern diese Skepsis. Desgleichen deren larvierte Formen, etwa als unerträgliche Rückenschmerzen. Immerhin wächst sich das Kreuz mit dem Kreuz zur Volkskrankheit aus.

"In der Medizin gehen wir mittlerweile davon aus, dass die gesamte Rückenmuskulatur psychosomatisches Ausdrucksmittel ist. Das erklärt auch, warum relativ viele Krankschreibungen wegen Rückenbeschwerden erfolgen", erläutert Rolf Breitstadt, Arzt für innere Medizin, Arbeitsmedizin und Umweltmedizin und ehemals leitender Konzernarzt. Doch nicht nur die Steißbeingegend zeigt sich zunehmend rebellisch. Auch der Schultergürtel meldet sich mit schmerzhaften Verspannungen immer öfter zu Wort. Der Volksmund kennt einen schönen Begriff dafür: Mir sitzt die Angst im Nacken. Es deutet auf eine gewisse Fehlsichtigkeit von offizieller Seite hin, dagegen mobile Massagetrupps am Arbeitsplatz in Marsch zu setzen.

Verunsicherung überall

Oft wird die Fassade noch monate-, manchmal jahrelang aufrechterhalten, mit viel Anstrengung und wachsender psycho-physischer Überforderung, Gefühle werden abgewehrt, unterdrückt, runtergeschluckt. Irgendwann aber brechen sie dann durch. Die Folgen: tiefste geistig-seelische Erschöpfungszustände bis hin zur massiven Lebenskrise. Im Versuch, trotzdem standzuhalten, oft auch aus Scham und einem verzweifelten Empfinden von Ausweglosigkeit, wird der Griff zu Alkohol, Medikamenten und zu dem, was gemeinhin unter Drogen verstanden wird, zur Gewohnheit. Eine neue Spielart dieses selbstzerstörerischen Tuns heißt Hirndoping. Dahinter verbirgt sich die Hoffnung, sich mit Neuro- oder Cognitive Enhancers in die Nähe von Superman zu rücken, auf dass das Mithalten doch noch gelingt.

Wie reine Schachfiguren

In immer mehr Köpfen spukt der Geist der Verunsicherung herum, tickt es uhrwerkgleich "Nichts ist mehr sicher!". Und dieser mentale Dauerstörton zerrt an der geistig-seelisch-körperlichen Stabilität. Auch hochqualifizierte und hochrangige Kräfte sehen sich als reine Schachfiguren im Spiel fremder Absichten und Kräfte - und reagieren mit Angst. Und aus Angst. Diese Reaktionsweise erklärt viel von der allenthalben zu spürenden beklagenswerten Kurzsichtigkeit des Tuns und Lassens. Anstatt überlegt, wohl abgewogen und weitsichtig oder auch einmal nur durch beobachtendes Abwarten zu handeln und zu führen und auf diese Weise die unbedingt notwendigen Sicherheitsinseln im Meer der Unsicherheit, die Verschnaufpause im Sturm der Veränderung zu schaffen und dem menschlichen Grundbedürfnis nach einer gewissen Sicherheit entgegenzukommen, wird "drauflosgemanagt". Rein in die Kartoffeln, raus aus die Kartoffeln! Findet sich deshalb, aus Angst, kein beherzter Controller, der darauf hinweist, wo die wirklichen Kostenschätze zu heben wären?

Soll die Gefahr gebannt werden, dass die Arbeitswelt immer rascher und umfänglicher das Produkt "Psychowracks" herstellt, wäre eine gewisse Neubewertung ökonomischer Glaubenssätze an der Zeit. Nicht zuletzt das Verdienst des Philosophen Julian Nida-Rümelin ist es, mit seinem Buch "Die Optimierungsfalle - Philosophie einer humanen Ökonomie" auf diese Notwendigkeit hingewiesen, sie in ihren Grundzügen skizziert und dabei die Irrationalität einer verantwortungslosen, rein auf Optimierung bedachten Wirtschaftsordnung entlarvt zu haben. (Hartmut Volk, DER STANDARD, 14./15.7.2012)