Terrence Boyd: "Man kann einen Charakter eines Menschen daran erkennen, wie er Menschen behandelt, die nichts für ihn tun können."

Foto: derStandard.at/hirner

Boyd: "Meine Mutter und mein Stiefvater haben mich gelehrt, mit Demut durch das Leben zu gehen."

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Boyd: "Es gibt hier eine große Fanunterstützung. Das ist echt crazy. Die Fans leben für Rapid, und das finde ich cool."

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Terrence Boyd hat sich innerhalb kürzester Zeit mit dem Wiener Schmäh angefreundet. Als das Angebot von Rapid kam, musste er nicht lange überlegen, wenngleich er von Österreichs Liga noch nicht sonderlich viel weiß. Der Deutsch-US-Amerikaner sprach im Interview mit Thomas Hirner über Dortmund-Coach Klopp, Rapid-Trainer Schöttel sowie das US-Trainerduo Herzog/Klinsmann. Neben Balotelli und Arnautovic waren auch die Euro in Polen und der Ukraine sowie der US-Kick Themen des Gesprächs. Weiters verriet Boyd, wie man auf dem Boden bleibt und was es braucht, um ein Publikumsliebling zu werden.

derStandard.at: Schon ein Wiener Schnitzel ausprobiert und bei einem Heurigen gewesen?

Boyd: Bei einem was?

derStandard.at: Ein Heuriger ist eine typische Wiener Gaststätte, wo man vor allem Wein und deftige Schmankerln konsumiert ...

Boyd: Ach so, nein, da war ich noch nicht. Das muss ich einmal austesten, obwohl ich eigentlich kein Fan von Wein bin. Aber ich habe schon ein Wiener Schnitzel gegessen. Das war schon ganz anders als in Deutschland. Das war sehr, sehr lecker. Da war ich schon sehr überzeugt von. 

derStandard.at: Wie stehen Sie als Fußballprofi zum Thema Alkohol?

Boyd: Wenn man einmal ein paar Tage frei hat oder mit dem Verein Grund zum Feiern hat, dann geht man schon mal weg, aber ich trinke eher selten Alkohol.

derStandard.at: Haben Sie schon Bekanntschaft mit dem Wiener Schmäh gemacht?

Boyd: (lacht) Ich glaube, wenn ich richtig liege, dann höre ich den Wiener Schmäh jeden Tag in der Kabine. Das ist schon sehr lustig, wenn man die Kollegen so reden hört und die Jungs Witze reißen.

derStandard.at: Es gibt also kaum Sprachbarrieren?

Boyd: Ich verstehe noch nicht alles. Wenn der Kauderwelsch so richtig anfängt, dann muss ich manchmal nachfragen, aber ich gewöhne mich langsam daran.

derStandard.at: Was verbinden Sie mit dem Namen Rapid?

Boyd: Rapid ist ein großer Name, ist ein großer Verein. Rapid ist mit 32 Titeln österreichischer Rekordmeister und spielt heuer, sofern wir uns qualifizieren, in der Europa League. Ich hatte auch Angebote aus der zweiten deutschen Liga, aber als Rapid sich gemeldet hat, musste ich nicht lange überlegen. Was ich jetzt mitbekommen habe, gibt es hier eine große Fanunterstützung. Das ist echt crazy. Die Fans leben für Rapid, und das finde ich cool. Die ersten Zusammentreffen mit den Fans waren sehr positiv, sie haben mich sehr gut aufgenommen, und das freut mich. Sie hoffen, dass ich hier einschlage und dass ich Rapid gemeinsam mit Gerson zum Titel führe. Ich hoffe, dass sie uns auch weiterhin so unterstützen und mit uns durch dick und dünn gehen.

derStandard.at: Im Vergleich zu Deutschland ist Österreich Fußball-Provinz. Glauben Sie, sich hier weiterentwickeln zu können?

Boyd: Ja, auf jeden Fall. In dieser Mannschaft ist sehr viel Qualität und Potenzial vorhanden, obwohl wir ein junges Team sind. Im Training wird hart gearbeitet und gefightet, und starke Konkurrenz macht dich einfach besser. Von da her heben wir jeden Tag das Niveau an, und ich hoffe, wir können das auch in der Meisterschaft auf das Spielfeld übertragen. Ich merke schon jetzt, dass ich nicht stagniere, sondern mich weiterentwickle.

derStandard.at: Wie würden Sie Dortmund-Trainer Klopp in wenigen Worten beschreiben?

Boyd: Er ist sehr authentisch, genau so, wie man ihn aus dem Fernsehen kennt. Ich war auch schon im Kader der Kampfmannschaft und habe gesehen, wie es dort abläuft. Vor dem Training macht er Späßchen und ist ein lockerer Typ, aber im Training und im Spiel ist er mit dem nötigen Ernst bei der Sache. Er ist sehr sympathisch und hat sehr viel Ahnung vom Fußball. 

derStandard.at: Und Peter Schöttel?

Boyd: Er ist auch ein sehr guter, ruhiger Trainer. Und das ist gut, weil es mühsam sein kann, wenn Trainer sehr viel reden. Er genießt ein hohes Standing hier, weil er auch Rapids Rekordspieler ist. Ich kann eine Menge von ihm lernen.

derStandard.at: Welche Rolle hat US-Co-Trainer Andreas Herzog bei Ihrem Transfer zu Rapid gespielt? 

Boyd: Er hat mir Rapid empfohlen und mir nahegelegt, diesen Schritt zu machen.

derStandard.at: Welche Erfahrungen haben Sie mit dem US-Trainergespann Herzog/Klinsmann gemacht?

Boyd: Ich kannte beide auch nur aus dem Fernsehen, und plötzlich sind sie meine Trainer. Herzog ist ein sehr sympathischer Kerl. Er ist als Co-Trainer sehr aktiv dabei. Klinsmann ist sehr detailgetreu. Beide sind gute Menschen und gute Trainer.

derStandard.at: Sie haben vergangene Saison 20 Treffer in der Regionalliga für die zweite Mannschaft von Borussia Dortmund erzielt. Wohin soll die Reise mit Rapid gehen?

Boyd: Mir ist alles egal, solange wir Meister werden. Das hat absolute Priorität. Ich möchte der Mannschaft helfen, mich weiterentwickeln, und ich werde versuchen, in jedem Spiel, das ich spiele, so viele Tore wie möglich zu schießen. Ich bin Stürmer und bin nicht zufrieden, wenn ich nicht treffe. Es wäre auch super, wenn wir in Europa auf uns aufmerksam machen könnten.

derStandard.at: Was wissen Sie von der österreichischen Bundesliga?

Boyd: Dass es zehn Mannschaften gibt und dass man viermal gegeneinander spielt (lacht). Nach ein, zwei Begegnungen mit allen Teams hat man sich ausgescoutet, braucht keinen Beobachter mehr hinschicken. Nein, im Ernst, ich kann mir noch nicht anmaßen, irgendetwas über die Liga zu sagen, weil ich noch keine Minute gespielt habe. Ich freue mich natürlich schon auf die Spiele gegen Austria und Salzburg. Ich habe in Deutschlands vierter Liga schon Duelle mit Rasenball Leipzig miterlebt. Der Verein ist nicht sonderlich beliebt, weil es ein gekaufter Verein ist, der mit Geld alles richten will. Man kann gute Spieler kaufen, aber was zählt, ist das Team.

Bei Rapid verstehen wir uns alle sehr gut, und wenn wir alle an einem Strang ziehen und unser Spiel machen, dann ist es egal, wer spielt. Grundsätzlich ist es auch egal, gegen wen man spielt. Ich guck da nicht so auf die Gegner. Man spielt, um Spaß zu haben und zu gewinnen.

derStandard.at: Wo liegen Ihre Stärken?

Boyd: Das sollen andere beurteilen. Ich beschreibe mich nicht gerne selbst. Ich bin ein klassischer Mittelstürmer und versuche, so viele Tore wie möglich zu schießen.

derStandard.at: Die Eskapaden von Stürmern wie Balotelli oder auch Arnautovic werden durchwegs kritisch betrachtet. Wie stehen Sie dazu?

Boyd: Man weiß ja nicht immer, was wirklich dran ist an den dummen Geschichten, die man so hört. Man muss jedoch sagen, dass beide sehr gute Spieler sind. Sie haben beide großes Talent und Potenzial. Ich bin fußballerisch gesehen schon ein großer Fan von beiden. Es ist schön, ihnen zuzusehen. Es ist lustig zu lesen, was abseits des Platzes passiert, aber es muss jeder selbst wissen, was er mit seinem Leben anstellt. Auf dem Platz kann man ihnen nichts vorwerfen. Nur, als Profi hast du eine Vorbildfunktion und musst dich diszipliniert verhalten. 

derStandard.at: Ihr Youtube-Video nach der Vertragsunterzeichnung bei Rapid ist ein Renner und hat bereits über 10.000 Zugriffe ...

Boyd: Das hat mich wirklich überrascht. Das war am Ende eines langen Tages. Davor war die Vertragsunterzeichnung, Wien-Besichtigung, ich hatte noch einen Jetlag, war richtig müde und bin nicht gerade der beste Redner. Es war mir ein bisschen peinlich.

derStandard.at: Sie gelten als sympathisch-zielstrebiger Typ mit dem Zeug zum Publikumsliebling. Ein Resultat guter Erziehung?

Boyd: Ja klar, meine Mutter und mein Stiefvater haben mich gelehrt, mit Demut durch das Leben zu gehen. Das ist sehr wichtig. Wenn man berühmter wird und mehr Geld verdient, dann kommt einem die Demut manchmal schon ein wenig abhanden. Mein Stiefvater, der mich auch lange trainiert hat und weiß, dass ich jetzt eine große Chance habe in meinem Leben, holt mich auch immer wieder runter, indem er sagt, dass ich noch gar nichts erreicht habe. Das hilft.

derStandard.at: Wie schwierig ist es für einen jungen Fußballprofi, auf dem Boden zu bleiben?

Boyd: Für mich ist es aktuell nicht so schwer, weil ich ja tatsächlich noch nichts Großes erreicht habe wie zum Beispiel ein Mario Götze. Ich habe unlängst einen interessanten Spruch gelesen: Man kann einen Charakter eines Menschen daran erkennen, wie er Menschen behandelt, die nichts für ihn tun können. Ich denke, wenn man mit dieser Einstellung durchs Leben geht, hat man sich nichts vorzuwerfen.

derStandard.at: Ihre Eindrücke von der Euro in Polen und der Ukraine?

Boyd: Das war ein turbulentes, cooles Turnier. Es hat mich überrascht, dass Polen und Russland ausgeschieden sind. Schade fand ich, dass es Deutschland nicht geschafft hat. Ich hätte auch nicht erwartet, dass Italien mit Pirlo und Balotelli so stark ist. Und Spanien: Was soll man dazu sagen? Sie spielen ganz anderen Fußball, das ist revolutionär!

derStandard.at: Ende Februar feierten Sie gegen Italien beim 1:0-Testspielsieg Ihr Debüt im US-Team. Sie sind in Deutschland geboren und aufgewachsen und spielen trotzdem für das Nationalteam der USA. Fühlen Sie sich mehr als US-Amerikaner denn als Deutscher?

Boyd: Ja, ganz klar. Auch wenn ich jetzt noch einmal die Wahl hätte, ich würde mich wieder für die USA entscheiden, weil es für mich auch abseits von Fußball das beste Land der Welt ist. Ich schaue gerne US-Serien, höre wie auch andere Leute viel US-Musik und bin vom Lebensstil her sehr amerikanisch. Ich bin mit den deutschen Tugenden aufgewachsen, Disziplin und Pünktlichkeit können ja auch nicht schaden, aber ich fühle mich sehr zu den USA hingezogen, auch wenn ich nur kurz als Baby in New York gelebt habe und mich daran gar nicht erinnern kann. 

derStandard.at: Hat Fußball in den USA eine Chance, den Durchbruch zu schaffen?

Boyd: Ich glaube, dass sich der US-Fußball aktuell am schnellsten weltweit entwickelt. Er wird langsam populärer. Die großen Sportarten Basketball und Football werden zwar nicht verdrängt werden können, aber er kommt langsam, weil nicht mehr nur Frauen und Kinder in den Schulen diesen Sport ausüben. Das merkt man auch an der Qualität der MLS-Spieler im Nationalteam. Mit jeder WM kommen mehr Soccer-Fans dazu, und in zehn, 20 Jahren wird Fußball in den USA sicher eine ganz andere Rolle spielen. (Thomas Hirner, derStandard.at, 13.7.2012)