"Dass Rietveld nicht mit großen Ideen dahergekommen ist; dass er lieber etwas ausprobiert hat, dass er eher ..." - die Kuratorin sucht nach Worten - "... dass er eher herumgewerkelt hat: Das ist vielleicht etwas typisch Niederländisches."
Sie zeigt auf ein Stuhlmodell, das auf einem Podest im Vitra-Design-Museum steht. Ein schöner Kontrast, die ausufernden, schrägen Formen, die Frank Gehry in seinem ersten europäischen Bau in Weil am Rhein nach innen auslaufen hat lassen, und das kantige, so gar nicht beschwingte Möbel, aus groben Holzlatten und Brettern zusammengesteckt; solid, aller Schnörkel entkleidet, die Funktion im doppelten Sinn durchsichtig: Hier wird nichts kaschiert, und man kann zwischen den Elementen hindurchsehen.
Das mag wirklich besonders niederländisch sein, eine unprätentiöse, praktische Einfachheit. Jedenfalls fasste Gerrit Rietveld mit dieser Form bereits sein Programm zusammen. Das war 1918, er war gerade 30, und der Stuhl war noch nicht in jenem Rotblaugelb bemalt, das ihn und seinen Entwerfer berühmt machen sollten (siehe Bild rechts); das kam erst fünf Jahre später. Schon hier aber zeigte Rietveld, wie er solide Arbeit mit puren, puristischen Ergebnissen vereinigen wollte. Das hatte mit seinen Wurzeln zu tun.
Rietveld wurde als Sohn eines Tischlers geboren. Noch keine zwölf, arbeitete er in der Werkstatt mit, die Ausbildung zum Architekten holte er in Abendkursen nach. Beides, Tischlern und Entwerfen, betrieb er von nun an. Eine entscheidende Weichenstellung war seine Mitgliedschaft bei der Künstlervereinigung De Stijl ab 1919. Unter anderen gehörte ihr damals Piet Mondrian an, und dessen Stijl-typische, geometrische und auf klare Farben reduzierte Behandlung einer abstrakten Fläche spiegelte sich ja bald in den drei Dimensionen des genannten Stuhls und anderer Rietveld-Entwürfe wider.
Der gelernte Tischler aber hatte noch etwas anderes im Sinn mit seinen Holzkonstruktionen. Die sahen nicht zufällig aus wie aus dem Baukasten, sie waren so gedacht: Rietveld, so führt die Kuratorin angesichts von Sesseln, Tischen, Schränken und Strandwagen für Kinder aus, gilt als Pionier des Do-it-yourself. Das unterschied ihn von den Bauhaus-Mitgliedern, mit denen er durchaus den modernen, abstrahierenden Blick auf Alltagsgegenstände teilte, aber weniger den Anspruch auf Massenfabrikation. Erst in den 1930er-Jahren, als das Bauhaus aufgelöst bzw. in der Emigration war, vermarktete er die Idee, Holzfertigteile zu verpacken und zu verschicken, gegen Aufpreis lackiert. Ikea also, bevor es die Schweden gab, und noch dazu konnte man an den Teilen beliebig herumsägen und sie dem eigenen Geschmack anpassen.
Bekannt sollte Rietveld auch für eine Villa werden, die er 1923 in Utrecht für die Witwe Truus Schröder-Schröder entwarf: ein sehr offenes, lichtdurchflutetes Gebäude, Schiebewände statt fester Mauern, wieder die Primärfarben.
Ab nun war Rietveld hauptsächlich als Architekt tätig, er baute Villen, Heime, Kinos, in Wien vier Häuser für die Werkbundsiedlung (1929-1932), spät in seiner Karriere den niederländischen Pavillon für die Biennale in Venedig. Gelegentlich entwarf er noch, zum Klassiker wurde etwa der Zickzackstuhl (1932, siehe Seite 3), den er aus einem (Holz-)Stück gefertigt haben wollte, was ihm aber nicht gelang; Vergleichbares schaffte erst Verner Panton - fast 30 Jahre später und in Plastik.
Rietveld war durchaus anerkannt, aber eher im beschränkten Kreis der Möbelavantgardisten und der privaten Auftraggeber. Als Anti-Nazi bekam er nach der Besetzung der Niederlande Berufsverbot, und nach 1945 halfen ihm seine Sympathien für den Kommunismus auch nicht weiter.
Erst ab Beginn der 1950er-Jahre, dank einer Ausstellung in Amsterdam (die dann um die halbe Welt bis ins New Yorker MoMA tourte), gehörten De Stijl und damit der Tischler/Architekt zum Kanon der Moderne. Ruhm und Aufträge konnte Rietveld bis zu seinem Tod 1964 genießen. Die laufende Schau in Weil am Rhein zieht eine beeindruckende Bilanz. Im benachbarten Stuhl-Pantheon stehen seine Entwürfe auch schon längst, und im Museum-Shop gibt es sie natürlich in Miniatur. (Michael Freund, Rondo, DER STANDARD, 13.7.2012)