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Euro oder D-Mark: Das muss Deutschland jetzt entscheiden - und zwar gemeinsam mit der Bevölkerung, glaubt der Wirtschaftsweise Peter Bofinger.

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Bofinger: "Wahrscheinlich ist eine Währungsunion auf Dauer nur zu machen, wenn eine gemeinsame Haftung besteht."

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Jetzt ist die große Lösung gefragt, mit kleinen Schritten kommt die Währungsunion nicht mehr weiter, sagt der deutsche Wirtschaftsweise Peter Bofinger im Gespräch mit derStandard.at. Und erklärt auch, warum er vom Brandbrief seiner Ökonomenkollegen wenig, von lebenserhaltenden Maßnahmen, Disziplin, Kontrollen und einer Fiskalunion hingegen viel hält.

derStandard.at: Die Gipfelergebnisse sind in und außerhalb Deutschlands recht unterschiedlich interpretiert worden. Während die einen Frau Merkel zugestehen, dass sie auf den richtigen Kurs eingeschwenkt ist, meinen die anderen, sie sei eingeknickt. Die Ökonomenzunft in Deutschland hat die Sache noch mehr entzweit. Geht es bei dem Streit im Kern um ökonomische oder um ideologische Fragen?

Bofinger: Es hängt wohl alles miteinander zusammen. Was den Streit zwischen den Ökonomen in Deutschland betrifft, geht es im Grunde um die Frage, ob Deutschland seine Zukunft im Euroraum suchen soll oder währungspolitisch wieder zur D-Mark zurückkehrt.

derStandard.at: Hans-Werner Sinn und seine Kollegen haben dieser Tage in ihrem berühmten Brandbrief die Bürger davor gewarnt, dass sie die aus ihrer Sicht falschen Beschlüsse mittragen.

Bofinger: Herr Sinn sagt, die anderen Länder halten Verträge nicht ein und die Problemländer hätten eine Mehrheit im Euroraum. Das hat ja zur Konsequenz, dass man sagen müsste, wir treten aus dem Euroraum aus. Das Problem der Stellungnahme meiner Kollegen ist, dass sie Probleme beschreibt, die auch da sind, die Frage ist aber: Welche Lösungen streben wir an? Dazu sagt dieses Papier gar nichts. Wenn ich für einen Patienten alle lebenserhaltenden Maßnahmen ablehne, dann ist doch klar, dass ich bereit bin, seinen Tod in Kauf zu nehmen.

derStandard.at: So weit sind wir ja nun noch nicht. Aber wir kennen mittlerweile diverse Szenarien wie Nord-Süd-Euro, Auseinanderbrechen der Währungsunion, Deutschland tritt aus. Ihre Aufgabe ist es, Zahlen vorzulegen, die eine gewisse Aussagekraft für verschiedene Szenarien haben. Sind Ihre Zahlen geeignet, relativ eindeutig für oder gegen eine dieser Versionen zu sprechen?

Bofinger: Wir können als Wissenschaftler letztlich nur Erfahrungen aus der Vergangenheit heranziehen. Da wir keine Erfahrungen über das Auseinanderbrechen einer solchen Währungsunion haben, müssen wir mit Szenarien arbeiten, die wir aus Währungskrisen der letzten Jahrzehnte ableiten können.

derStandard.at: Sie haben gemeinsam mit den Kollegen vom Sachverständigenrat ein Gutachten vorgelegt. Da kommen Sie zum Schluss, dass etwa für Deutschland ein Auseinanderbrechen oder auch ein Austritt aus der Währungsunion ökonomisch gesehen weniger gut wäre, als jetzt große Anstrengungen zu unternehmen, um diese Union zu retten.

Bofinger: Man kann relativ sicher sagen, dass, sobald Spanien auch aus der Währungsunion austritt, Italien mitgezogen wird und dass sich dann selbst Frankreich nicht mit Deutschland zusammenhalten lässt. Die Märkte würden auch Frankreich gegenüber skeptisch werden und feststellen, dass Frankreich einen sehr hohen Staatsanteil hat und ein Problem mit der Wettbewerbsfähigkeit.

Das heißt, wenn sich die Währungsunion an den Rändern auflöst, muss man damit rechnen, dass der Riss bis zum Kern durchgeht und dass Deutschland vielleicht noch mit Österreich, Holland und Finnland eine kleine Währungszone bildet. Was man aus Währungskrisen sehen kann, ist, dass die Währungsanpassungen ganz massiv ausfallen können. Wenn Sie die Asienkrise nehmen, da sind Währungen wie die indonesische Rupiah praktisch eingedampft worden.

Das Risiko ist hoch, dass ein neuer D-Mark-Block eine massive Aufwertung erfährt, und das bedeutet eine massive Verschlechterung der deutschen Wettbewerbsfähigkeit, und zwar nicht nur gegenüber dem Euroraum, sondern auch gegenüber dem Dollar oder dem Yen oder gegenüber China.

derStandard.at: Was schlagen Sie vor?

Bofinger: Bei der Lösung, die wir als Sachverständigenrat mit dem Schuldentilgungspakt vorschlagen, ermöglichen wir Ländern, die sich anstrengen, wie Spanien und Italien, eine langfristige Finanzierung zu niedrigen Zinsen. Das soll ja gerade das Risiko des Zahlungsausfalls vermeiden. Wir meinen, dass man diese Risiken, die mit diesen Haftungen verbunden sind, begrenzen kann und dass man es auf der anderen Seite mit ungleich höheren Risiken zu tun hat, wenn man den Euro jetzt unkontrolliert auseinanderbrechen lässt.

derStandard.at: Die Haftungsfrage ist derzeit ein ganz großes Thema zwischen den ESM-Befürwortern und -Gegnern, sie wird in Deutschland jetzt vor dem Verfassungsgerichtshof ausgetragen. Wenn Deutschlands Verfassungsrichter den ESM stoppen, kann er nicht in Kraft treten. Wäre das das Aus für die Eurozone?

Bofinger: Was jetzt diese Konstellation zeigt, ist, dass wir in Deutschland, wenn wir ein langfristiges Interesse an einer Währungsunion haben, einen großen Schritt in Richtung Fiskalunion machen müssen. Einen Schritt, bei dem auf der einen Seite eine gemeinsame Haftung steht, aber auf der anderen Seite auch ein Transfer von fiskalischen Kompetenzen auf die europäische Ebene. Konkret würde das bedeuten, dass eine europäische Institution Durchgriffsrechte bekommt auf die Haushalte von Ländern, die keine fiskalische Disziplin aufweisen.

Was die Diskussion über den ESM zeigt, ist, dass wir wahrscheinlich mit kleinen Lösungen nicht in der Lage sein werden, das Problem zu lösen. Dieser Weg wird in Deutschland wohl am besten über den Weg einer Volksabstimmung beschlossen werden müssen. Das Problem, das wir jetzt haben, ist nicht ein Problem des Bundesverfassungsgerichts, sondern ein Problem der Politik, die jetzt seit zwei Jahren versucht, mit kleinteiligen Lösungen eine systemische Krise zu lösen. Und das, ohne die Bevölkerung richtig mitzunehmen.

derStandard.at: Was die Haftung betrifft, argumentieren ESM-Gegner, dass der ESM bedeute, dass Deutschland in eine Transfer- und Haftungsunion einwilligt. Nun gibt es diese Haftungsunion ja ohnedies mit den Griechenland-Hilfen und dem EFSF. Wo sind die Grenzen dieser Haftung?

Bofinger: Das Problem, das wir bei der Frage der Haftung haben, ist, dass Länder, wenn sie in eine Währungsunion eintreten, mit einem Insolvenzrisiko konfrontiert sind, das sie sonst gar nicht hätten. Wenn wir diese Währungsunion wollen, brauchen wir eine Antwort auf dieses systemische Problem. Wahrscheinlich ist eine Währungsunion auf Dauer nur zu machen, wenn eine gemeinsame Haftung besteht. Und diese gemeinsame Haftung wiederum erfordert, dass klare europäische Kontrollen über nationale Budgets da sind. Nicht über jede Position oder die Struktur, aber über die Defizite.

derStandard.at: Stichwort Kontrollen: In Ihrem Konzept geht es sehr viel um Disziplin, Kontrolle, Vetorechte, Sanktionen, Schuldentilgung. Und das betrifft sowohl die Staatsfinanzen als auch das Finanzsystem. Das alles möglichst schnell. Wie viel Zeit geben Sie der Politik?

Bofinger: Möglichst schnell würde bedeuten, dass sich die Politik am besten morgen zusammensetzt und versucht, ein langfristiges Konzept umzusetzen. Wir befinden uns in einer sehr labilen Phase. Spanien und Italien bemühen sich sehr, haben drastisch ihre Defizite zurückgefahren, im großen Stil strukturelle Reformen gemacht, ohne dass sie von den Finanzmärkten in irgendeiner Weise dafür belohnt werden. Wir haben ja ein systemisches Problem. Das bedeutet, die Lösung der Krise hängt nicht allein von der Anstrengung der einzelnen Länder ab, aus eigener Kraft können die diese Zinsproblematik nicht lösen.

derStandard.at: Um Griechenland geht es ja jetzt größenordnungsmäßig nur am Rand. Spielt die Frage, ob Griechenland im Euro bleibt, überhaupt noch eine Rolle?

Bofinger: Ich glaube schon. Sobald ein Land aus dem Euro austritt, ist die Gefahr groß, dass einfach eine Kettenreaktion einsetzt. Wir erleben jetzt ja schon eine massive Kapitalflucht in Ländern wie Italien und Spanien. Selbst die spanischen und italienischen Banken legen ihr Geld bei der Bundesbank an und nicht bei der spanischen oder italienischen Notenbank. Ein Austritt Griechenlands würde den Trend zu Kapitalabflüssen verstärken. Das macht ja die Situation der Finanzinstitute in Italien und Spanien so schwierig.

Alles verstärkt sich wechselseitig. Die Bankenprobleme gehen zulasten des Staates, der die Banken retten muss. Wenn es den Staaten schlecht geht, stehen die Banken wieder schwach da, weil sie die Staatsanleihen haben. Die Konjunktur geht zulasten der Banken, deren Kreditportfolios schlechter werden. Die Banken vergeben keine Kredite, was wiederum die Konjunktur schwächt. Damit macht der Staat keine Einnahmen. In dieser labilen Situation ist alles zu verhindern, was noch zusätzlich für Instabilität sorgt.

derStandard.at: Um aus dieser systemischen Krise zu kommen: Bei wem liegt jetzt der Ball?

Bofinger: Ich glaube, der Ball liegt bei Deutschland. Wir müssen anfangen, uns die Grundsatzfrage zu stellen: Sieht Deutschland seine Zukunft im Euro oder bei der D-Mark? Diese Frage muss man möglichst breit und auch mit der Bevölkerung klären. Wenn wir einmal wissen, was wir wollen, ergeben sich auch die notwendigen kurzfristigen Maßnahmen. (Regina Bruckner, derStandard.at, 12.7.2012)