Fiona Apple hat seit sieben Jahren keine neue Musik veröffentlicht. Zeit ist keine Kategorie, mit der sich die heute 34-jährige Songwriterin beschäftigen will. Wenn man immerzu ganz nah an sich selbst dran ist und nur einen leiblichen Bruder und einen Hund in seine Welt lässt und sich laut eigenen Angaben, jahrelang betrinken muss, um Schritte vor die Haustür setzen zu können, verfliegt die Zeit wahlweise wie nichts - oder alles wird zur großen endlosen Qual im kompletten Stillstand.
Schon "Extraordinary Machine", ihr letzter Mainstream-Erfolg, erschien 2005 mit zweijähriger Verspätung, weil sich Apple mit dem ursprünglichen Produzenten zerkracht hatte und darauf bestand, die Lieder noch einmal neu aufzunehmen. Möglicherweise aus Furcht, Apple könnte aus Zorn überhaupt die ganzen Aufnahmen stanzen, gewährte ihr die Plattenfirma diese Forderung. Heute legt man stolz Wert auf die Feststellung, dass es sich bei "Extraordinary Machine" um das laut Rolling Stone "49.-wichtigste Album der Nuller-Jahre" handle.
Danach sieben Jahre nichts. Möglicherweise ereilte Fiona Apple ja auch nur der kreative Schock, den wohl jeder New Yorker Stadtneurotiker kennt, wenn er des schönen Wetters und der guten Luft wegen von seiner Schatzstadt ausgerechnet nach Los Angeles umzieht: Man sitzt ängstlich hinter den Jalousien hervorblinzelnd in seinem Haus, wartet bis all die grellgelb leuchtende Sauerei draußen weggeht, bestellt online veganischen Fast Food - und auf ein Mal fragt man sich, wohin die letzten Jahre verschwunden sind.
Heiteres Zähneknirschen
Das neue Album Fiona Apples handelt auch davon, dass hier eine junge Frau nicht besonders gut mit sich und ihrer Umgebung zurechtkommt. Schon allein der von der Plattenfirma sehr wahrscheinlich mit heiterem Zähneknirschen aufgenommene Titel verheißt wenig Sonnenschein in abgedunkelten Räumen: "The Idler Wheel Is Wiser Than The Driver Of The Screw And Whipping Cords Will Serve You More Than Ropes Will Ever Do". Wir merken: Zeit für ein Gedicht ist zwar etwas schönes, in der Marketingabteilung hat aber niemand gelacht.
Schon 1999 sorgte Fiona Apple für einen rekordverdächtigen Albumtitel: "When the Pawn Hits the Conflicts He Thinks Like a King What He Knows Throws the Blows When He Goes to the Fight and He'll Win the Whole Thing 'Fore He Enters the Ring There's No Body to Batter When Your Mind Is Your Might So When You Go Solo, You Hold Your Own Hand and Remember That Depth Is the Greatest of Heights and If You Know Where You Stand, Then You Know Where to Land and If You Fall It Won't Matter, Cuz You'll Know That You're Right".
Auch sonst ist es relativ unmöglich, mit Fiona Apple im Zusammenhang mit Öffentlichkeit und Presse etwas wie Meet & Greets und "Hello, this is Fiona Apple and you're listening to Ö3" zu machen oder sie Journalistenbefragungen und Fernsehauftritten auszusetzen. Sie gibt zwar nach einigen Nervenzusammenbrüchen auf offener Bühne im Anschluss an "When The Pawn ..." und zuvor ihrem drei Millionen mal verkauften Debütalbum "Tidal" und dem darauf enthaltenen Hit "Criminal" im Jahr 1996 wieder Konzerte. Das geht, weil sie draufgekommen ist, dass man zwischen den Liedern gar keine Ansagen machen muss, um deshalb Panikattacken zu bekommen.
Auch Interviews zur Bewerbung des neuen Albums hat sie eher selten gegeben und bald überhaupt eingestellt. In den wenigen vorhandenen spricht sie dann über auflagensteigernde Dinge wie Einsamkeit, frühkindliche Traumata, diverse Therapien, das Siechtum ihres Hundes oder unerträgliches Lampenfieber beim Besuch eines Lebensmittelgeschäfts. Vom Management geforderte Fotosessions wurden mit selbstaufgenommenen Handyknipsereien beantwortet.
Musikalisch gesehen hat Fiona Apple auf "The Idler Wheel ..." jedenfalls alle Zügel fest im Griff. Sie konzentriert sich ganz auf ihr Klavierspiel und lässt sich mit wenigen Ausnahmen nur von ihrem Tourschlagzeuger Charles Drayton begleiten. Und perkussionslastig klackernd, zischelnd und mit dem Sound geschlagener Kopfpolster veredelt, schlingert das Album zwischen entspannten Jazzgrooves, gerader HipHop-Mechanik und Loops von Maschinengeräuschen aus einer Fabrik auch dahin.
Zu brutalen, die eigenen Defizite verhandelnden Tagebuchtexten, die nicht ganz unerwartet unter anderem davon handeln, dass sich verzweifelte Frauen schon einmal die Unterarme mit Messern einritzen oder der ständige Schmerz im Körper zum zweiten Skelett geronnen ist, hört man einen von der US-Kritik enthusiastisch aufgenommenen Exorzismus.
Im Bereich des Mainstream-Pop sucht diese inhaltliche Unerbittlichkeit zwischen Selbstbezichtigung, der Tendenz zur Selbstzerstörung, naiven Umkreisungen alter Kindheitsängste, zynischen Abschiedsgesängen und purem Hass seinesgleichen. Mit ihrer kräftigen Altstimme und sperrigen Akkorden geht sie im Hasslied Regret dabei ins lyrische Extrem, wenn sie einer verflossenen Liebschaft nachbrüllt: "I ran out of white doves' feathers to soak up the hot piss that comes from your mouth every time you address me."
Ernsthafte Sorgen
An anderer Stelle in "Daredevil" ein weiterer Schrei als Höhepunkt eines Songs: "Look at! Look at! Look at! Look at ME!" Möglicherweise fühlt es sich nicht besonders gut an, Fiona Apple zu sein. Vielleicht wird man aber auch bloß Zeuge, wie eine geschickte Marketingabteilung die Unberechenbarkeit einer schwierigen Künstlerpersönlichkeit inszeniert und scheinbare Unverkäuflichkeit als Verkaufsargument einsetzt.
In den USA ist das Album in den Billboard-Charts jedenfalls von null auf Platz drei geschossen. Der erfolgreichste Hitparadeneinstieg ihrer Karriere mit ihrer bis dato unkommerziellsten Arbeit. Es kann also auch sein, dass Fiona Apple im Rahmen ihrer gerade laufenden US-Tour nachts in der Hotelsuite fröhlich durchs Internet surft und sich bei einer Tüte Popcorn und einer lustigen Zigarette über die Ansichten bezüglich ihrer die Öffentlichkeit eigentlich verweigernden öffentlichen Person zerkugelt.
Wenn man das Album "The Idler Wheel Is Wiser Than The Driver Of The Screw And Whipping Cords Will Serve You More Than Ropes Will Ever Do" in all seiner Länge aber ernst nimmt, dann hat man es mit einer sehr, sehr verstörenden Kunst zu tun, um deren Urheberin man sich ernsthafte Sorgen machen muss. (Christian Schachinger, Rondo, DER STANDARD, 13.7.2012)