Viele indigene Völker sind noch heute direkt auf ihre Umwelt angewiesen, egal ob sie im Wald, in der Tundra, auf dem Meer, in den Bergen oder in der Wüste leben. Diese Abhängigkeit hat ihr Verständnis für ein ökologisches Gleichgewicht geprägt

Survival International (Bewegung für indigene Völker) porträtiert einige der nachhaltigen Überzeugungen und Praktiken, die in vielen Teilen der Welt noch heute zum Einsatz kommen. Der Text stammt von der Autorin und Journalistin Joanna Eede.

Von den Jäger-und-Sammler-Völkern in Afrika bis zu den Kleinbauern im Amazonasgebiet, von den Honigsammlern auf den Philippinen bis zu den Rentierhirten Kanadas: Indigene Völker weltweit haben ausgeklügelte Methoden entwickelt, um ihre Bedürfnisse über Jahrtausenden zu erfüllen, ohne dabei ihre Umwelt zu zerstören.

Viele glauben, dass für den Schutz der Natur die langfristige Sorge um die Erde notwendig ist. Der Respekt vor den Grenzen der Natur ist unerlässlich: Die Erde zu zerstören oder mehr zu nehmen, als gebraucht wird, ist für sie nicht nur selbstzerstörerisch, sondern auch eine Schädigung zukünftiger Generationen. "Wir sind nicht für uns selbst hier", sagt Roy Sesana, ein Buschmann des Volks der Gana im südlichen Afrika. "Wir sind für unsere Kinder und die Kinder unserer Enkelkinder hier."

Foto: Lottie Davies - www.lottiedavies.com /Survival

Viele der biologisch vielfältigsten Gebiete dieser Erde haben sich diesen Status dank der indigenen Bewohner bewahrt. Die Regenwälder auf den Andamanen-Inseln, die Heimat der Jarawa, sind die einzig verbliebenen im Indischen Ozean. "Es ist offensichtlich: Wo indigene Völker auf ihrem Land leben dürfen, bleibt die Biodiversität oft viel höher als in anderen Schutzgebieten", so Stephen Corry von der Menschenrechtsorganisation Survival International.

Foto: Survival International - www.survivalinternational.de

Die Moken von der Inselgruppe Mergui, einem Archipel aus etwa 800 Inseln im Andamanischen Meer, leben von Fischen, Seekühen, Seegurken und Krustentieren, die sie mit Harpunen, Speeren und Angelschnüren fangen. Hook Suriyan Natale, ein Moke von der Surin-Insel, erklärt: "Diese Art des nachhaltigen Fischens sorgt dafür, dass es immer Fische in den Meeren geben wird."

Die Surin-Inseln sind von der Anwesenheit der Moken weitestgehend unbeeinflusst: Sie nehmen von ihrer Umwelt nur, was sie zum Überleben brauchen. Der halbnomadische Lebensstil der Moken, den sie traditionell geführt haben und zum Teil noch weiterführen, bedeutet auch einen Wechsel zwischen den Ressourcen des Meeres und des Waldes, damit kein Gebiet zu stark genutzt wird.

Foto: Cat Vinton - www.catvphotography.co.uk /Survival

Indigene Völker haben typischerweise einen ganzheitlichen Blick auf die Natur und sehen die Menschheit als Teil der Erde. "Wir leben seit Jahrhunderten im Mau-Wald", wie ein Vertreter der Ogiek in Kenia betont. "Der Wald ist ein ökologisches Refugium und wir sind Naturschützer, deshalb behandeln wir ihn gut und leben mit ihm im Gleichgewicht. Wir sammeln zweimal im Jahr Honig - abhängig von den Bestäubungszeiten der Bienen und von den Bäumen, die während der langen und der kurzen Regenperioden blühen."

Foto: Yoshi Shimizu - www.yoshi-shimizu.com

"Wir lieben den Wald so wie unsere eigenen Körper", heißt es von Seiten der "Pygmäen"-Völker, die in den dichten Regenwäldern Zentral- und Westafrikas zu Hause sind. Pygmäen-Männer suchen riesige Bäume nach Honig ab. Sie sind zudem solch geübte Imitatoren, dass sie eine verzweifelte Antilope nachahmen können, um eine andere aus ihrem Versteck zu locken.

Foto: Kate Eshelby - www.kateeshelby.com /Survival

"Wir kennen unseren Wald und das Land gut", sagt Davi Kopenawa Yanomami. "Die Umwelt ist nicht von uns getrennt. Wir sind in ihr und sie steckt in uns. Wir machen sie und sie macht uns."

Diese Vertiefung in die Natur seit Tausenden von Jahren hat zu einem Wissen über einheimische Tiere, Pflanzen und Kräuter geführt, das ganze Bibliotheken füllen könnte. Die Yanomami benutzen täglich allein etwa 500 Pflanzenarten als Nahrung, Baustoff oder Jagdgift. Tragegurte für Kinder werden aus den Fasern von Seidengras und Pfeile aus den Halmen von Pampasgras gefertigt. Das Salz wird aus der Asche der Taurari-Bäume gewonnen.

Foto: Fiona Watson/Survival International

Penan-Jäger leben seit langer Zeit im Gleichgeweicht mit dem uralten Regenwald in Sarawak auf Borneo - einem der biologisch vielfältigsten Wälder unseres Planeten. Noch bis in die 1960er Jahre hinein lebten alle Penan als Nomaden, ständig in Bewegung und auf der Suche nach Wildschweinen. Sie folgten dem Kreislauf der Fruchtbäume und der wilden Sago-Palme. Ihre Häuser - Sulaps - bauten sie aus Holzstämmen, die mit Rattan zusammengewickelt und mit riesigen Palmblättern bedeckt wurden.

Foto: Robin Hanbury-Tenison/ Survival International

Indigene Völker im Baliem-Tal auf Neuguinea haben wahrscheinlich schon lange vor den Europäern Landwirtschaft betrieben.

Foto: Grenville Charles - grenvillecharles.photoshelter.com /Survival

Die Innu konnten sich im Nordosten Kanadas niederlassen wegen ihres Wissens über die jahreszeitlichen Wanderungen der Rentiere durch "Nutshimit", die Tundra-Heimat der Innu. Sie verehren die Rentiere. Peinlich genau teilen sie das Fleisch der Tiere untereinander und heben die Beinknochen auf. Sie wegzuwerfen wäre respektlos gegenüber "Kanipinikat Sikueu", dem Geist und "Meister" der Rentiere. Kein Teil der Rentiere wird verschwendet. Die Geweihe werden hoch in die Bäume gehängt.

Foto: Subhankar Banerjee - www.subhankarbanerjee.org / Survival

Mit ihrem traditionell nachhaltigen und CO2-armen Lebensstil sind indigene Völker gut positioniert, um an den Lösungen des Klimawandels mitzuarbeiten. Es ist deshalb umso ironischer, dass neben der Zerstörung unserer Ökosysteme auch die Kulturen bedroht sind, die diese Systeme so gut verstehen.

"Indigene Völker sind die natürlichen Wächter ihrer Umwelt. Es macht daher Sinn, diese gefährdeten Orte der Erde zu schützen, indem man die Landrechte indigener Gemeinden, mit ihrem tiefen Wissen über ihre Gebiete, schützt", fasst Stephen Corry, Direktor von Survival International, zusammen.

Foto: Claudia Andujar/Survival

"Nur wir, die indigenen Menschen, wissen, wie man den Regenwald schützt", erklärt Davi Kopenawa Yanomami. "Gebt uns unser Land zurück, bevor der Wald stirbt."

Foto: Hutukara - www.hutukara.org /ISA

"Denkt nicht immer nur an euch selbst, oh Anführer, auch nicht nur an eure eigene Generation. Denkt an die vielen folgenden Generationen unserer Familien, denkt an unsere Enkel und die noch Ungeborenen, deren Gesichter von unter dem Erdboden her kommen", fordert Peacemaker von der Irokesen-Föderation in den USA. (Joanna Eede, derStandard.at, 12.7.2012)

Foto: Clive W. Dennis/Survival