Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird am 29. Juli eine klare Mehrheit der Bürger bei einem Referendum zwei Jahre vor dem Ablauf seiner zweiten Amts periode für die Amtsenthebung des umstrittenen Präsidenten Rumäniens Trajan Basescu stimmen. Vor fünf Jahren überstand Basescu schon einmal mit einer Mehrheit von 75 Prozent (allerdings nur bei einer Wahlbeteiligung von 44 Prozent) einen Volksentscheid über die auch damals von den Sozialisten angestrebte Ablösung. Der Expremier Mihai Razvan Ungureanu spricht jetzt "von einem mit dem Schein demokratischer Verfahren maskierten Staatsstreich".

Der angesehene Philosoph Andrei Plesu warnt vor einem "schleichenden Staatsstreich" und stellt fest, "Rumänien sieht immer ungarischer aus". Auch manche anderen Beobachter sehen eine "Orbánisierung Rumäniens". Ein solcher Vergleich ist deshalb falsch, weil die Partei Viktor Orbáns die Wahlen im April 2010 klar mit einer Zweidrittelmehrheit der Parlamentssitze gewonnen und durch eine neue Verfassung den totalen Machtausbau der vergangenen zwei Jahren legitimiert hat. Trotzdem konnte die EU-Kommission durch ein Vertragsverletzungsverfahren manche (übrigens keineswegs entscheidende) Korrekturen jener Verfassungsgesetze durchsetzen, die laut Brüssel gegen EU-Recht verstoßen.

Im Gegensatz zu Ungarn verdankt die seit dem 7. Mai dieses Jahres vom sozialistischen Premier Viktor Ponta angeführte Übergangsregierung die Macht nur der Unterstützung von konservativen Überläufern, die zu Recht befürchten mussten, bei den für November geplanten Wahlen ihre Privilegien zu verlieren. Dass allerdings Präsident Basescu selbst keineswegs ein Heiliger ist, sondern als ein selbstherrlicher, mit allen Wassern gewaschener Machtpolitiker und von der Mehrheit der befragten Rumänen eindeutig abgelehntes Symbol der Vetternwirtschaft gilt, konnte ich bei kürzlich geführten Gesprächen in Bukarest feststellen.

All das ändert allerdings nichts an der Tatsache, dass der 39-jährige Ministerpräsident Ponta, der beschuldigt wird, seine Dissertation abgeschrieben zu haben (und dessen Doktorvater der frühere sozialistische Regierungschef Adrian Nastase kürzlich zu einer zweijährigen Haftstrafe wegen Korruption verurteilt wurde), durch verfassungswidrige Eilverordnungen die Amtsenthebung Ba sescus vorbereitet. Die von zahlreichen internationalen Beobachtern und Institutionen festgestellten oder vermuteten Rechtsbrüche stießen auf starke Kritik im Ausland.

Zu Recht schlagen die Chefs und EU-Sprecher der Europäischen Volkspartei von Wilfried Martens bis Elmar Brok lautstark Alarm wegen des Angriffs auf die demokratischen Prinzipien und die Justiz im EU-Staat Rumänien. Im Fall der national-konservativen Regierung Ungarns hüllten sie sich in Schweigen. Nun scheinen umgekehrt auch die Wortführer der sozialdemokratischen EU-Parlamentarier dem machtgierigen Ponta einen "Genossenrabatt" (Süddeutsche) zumindest vorderhand zu gewähren. Es ist höchste Zeit, bei dem Kampf gegen Machtmissbrauch und Korruption die parteipolitische Farbe ohne Rücksicht auf Personen zu vergessen. Sonst verkommt die EU zu einem Jahrmarkt der Heuchelei. (Paul Lendvai, DER STANDARD, 10.7.2012)