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Spanien macht den ersten Schritt zu einer auflagenarmen Milliardenhilfe für seine Banken.

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Die Entscheidungsfindung auf EU-Ebene ähnelt der gerade stattfindenden Stierhatz in Pamplona. Man kennt die heranrauschende Gefahr, aber erst wenn sie über einen hereinbricht, rückt man zusammen - und läuft.

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Spanien braucht für seine wackelnden Banken Kapital aus dem Rettungsschirm, die Griechen verfehlen ihre Sparziele abermals, Zypern braucht erstmals Geld - das sind die Probleme, die die Eurofinanzminister am Montagabend lindern wollen. Neben der Weichenstellung für eine europäische Bankenaufsicht und einer spanischen Bad Bank dürfte das Gerangel um den Posten des Eurogruppenchefs entschieden werden.

Die Eurozone übt sich wieder in der Quadratur des Kreises. Dieses Mal im Mittelpunkt: Spanien. Die maroden Banken brauchen bis zu 100 Milliarden Euro, um gegen den Totalausfall fauler Immobilienkredite abgesichert zu sein. Die Regierung werde der Gründung einer "Bad Bank" zustimmen, in die faule Kredite ausgelagert werden sollen, erfuhr die Nachrichtenagentur Reuters am Montag aus spanischen Regierungskreisen. Spanien werde noch am Montag eine entsprechende Absichtserklärung in Brüssel unterzeichnen. Die Bedingungen für die spanischen Bankenhilfen sollen am 20. Juli unterschrieben werden. Zu diesem Zeitpunkt soll auch die konkrete Summe feststehen. Möglicherweise bekomme das Land über 15 Jahre laufende Kredite für drei bis vier Prozent.

Haftungsfrage ungeklärt

Nur soll das Geld in diesem Fall nicht an den Staat fließen, sondern direkt an die Kreditinstitute. Das wird aber erst dann möglich, wenn - wie am Gipfel der Staats- und Regierungschefs am 29. Juni beschlossen - der dauerhafte Rettungsschirm ESM und eine europäische Bankenaufsicht stehen. Ersterer soll im August 2012 seine Arbeit aufnehmen. Was optimistisch klingt, denn das deutsche Bundesverfassungsgericht entscheidet erst am Dienstag darüber, ob ESM und Fiskalpakt mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Im Präzedenzfall Spanien steht noch nicht fest, ob nur das Empfängerland für die Gelder haftet oder die Eurozone gemeinsam. Finnland beispielsweise hat schon anklingen lassen, dass man nicht bereit ist, ohne Sicherheiten für Spanien geradezustehen.

Die Bankenaufsicht selbst wird wohl noch weit länger brauchen. Ihre Kompetenzen sollen weit über die der bestehenden European Banking Authority (EBA) hinausgehen und die Europäische Zentralbank (EZB) miteinschließen. Der Startschuss zum Aufbau wird wohl erst 2013 erfolgen, auch wenn EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier noch am anvisierten Jahresende festhält.

Die Aufsicht ist Voraussetzung dafür, dass es Bankenhilfen gibt, die nicht die Staatsschulden erhöhen. Da der geldnehmende Staat dennoch selbst für das Geld haftet, würde diese Maßnahme den Zinsauftrieb bei Staatsanleihen aber nicht wirklich stoppen, meinen Kritiker. Dennoch ist man auf dem jüngsten Gipfel in dieser Hinsicht Spanien entgegengekommen. Aber: Spanien braucht das Geld besser heute als morgen, die Bankenaufsicht ihre Zeit. Zwei Anfordernisse, die sich schwer zusammen bringen lassen. Das bringt wieder den temporären Hilfsfonds EFSF ins Spiel, dessen Kreditvergabe harte Auflagen vorsieht. So oder so scheinen die Europolitiker den Zeitdruck zu brauchen, um zusammenzurücken. Anzuzweifeln ist, ob dieses der gerade stattfindenden Stierhatz in Pamplona ähnelnde Schauspiel Sinn macht.

EZB freundet sich mit größerer Rolle an

An dieser Bankenaufsicht basteln nun gleich zwei EU-Institutionen. Wie vom EU-Gesetz vorgesehen, ist da einerseits die Kommission. Andererseits hat sich der Rat der EZB am letzten Donnerstag, als er den Leitzins erstmals unter die Ein-Prozent-Marke hievte, für die Ausarbeitung eines eigenen Konzeptes entschieden. Beide Modelle sollen noch im Herbst dieses Jahres vorgestellt werden. Favorisiert wird ein Modell, bei dem die 25 größten Banken direkt an die Aufsicht berichten. Die kleineren Banken könnten das indirekt über die nationalen Behörden tun. Eine europäische Einlagensicherung dürfte jedenfalls erst dann kommen, wenn dieses Gebilde eingespielt ist.

In diesem Kontext sorgt auch der am Samstag erschienene Bericht der fünf Wirtschaftsweisen - die die deutsche Regierung beraten - für Aufregung. Er warnt vor einer "übereilten Einführung einer Bankenunion" und pocht auf "klare Kriterien" bei der Spanienhilfe. Hier noch so vorsichtig, spricht sich der aus vier Männern und einer Frau gebildete Rat für einen gemeinschaftlich garantierten Schuldentilgungsfonds aus. Lege man "europa- und verfassungsrechtliche" Maßstäbe an, dann bedeute dieser den einfacheren Weg. In den Fonds sollen all jene Schulden von Euroländern fließen, die über 60 Prozent der Jahres-Wirtschaftsleistung liegen. In Raten zurückzahlen sollen dann zwar immer noch die jeweiligen Schuldnerländer, gehaftet würde aber gemeinschaftlich. Italien würde von dieser Lösung am meisten profitieren, wie die "FAZ" berichtete. 949 Milliarden würden von Rom über den Fonds getilgt. In Deutschland wären es 546, in Griechenland 187 und in Österreich 37 Milliarden Euro. Deutschland stellt sich aber weiter gegen diesen Vorschlag.

Juncker-Nachfolger wird präsentiert

Wahrscheinlicher als eine entscheidende Weichenaufstellung bei der Bankenaufsicht ist die Wahl des Eurogruppenchefs. Sie soll noch Montagabend erfolgen, denn das Mandat von Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker läuft mit 17. Juli aus. Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble sollte ihm nachfolgen, allerdings kommt er kaum als Vollzeitvorsitzender in Betracht. Ähnliches gilt für Schäubles französisches Pendant Pierre Moscovici. Daher wurde schon eine personelle Aufteilung des Postens erwogen.

Wahrscheinlicher scheint nun, dass Juncker noch sechs Monate weiter- und dann ein Außenseiterkandidat wie EU-Währungskommissar Olli Rehn das Rennen macht. "Wir wünschen eine Verlängerung von Juncker, wenn er dazu bereit ist", meinte Moscovici zu Gipfelbeginn.

Besorgnis um Griechenland

Konkrete Beschlüsse dürfte es auch zu Griechenland und Zypern geben. Athen hatte neulich wieder die "Troika" aus EU-Kommission, EZB und Internationalem Währungsfonds (IWF) im Haus. Und der gefallen die mittlerweile vom griechischen Finanzminister Ioannis Stournaras eingeräumten Reformversäumnisse gar nicht. EZB-Ratsmitglied Ewald Nowotny zeigte sich jedenfalls am Montag besorgt, man habe nicht "unbegrenzt Zeit". Damit wackelt die nächste Hilfstranche aus dem 130 Milliarden Euro schweren zweiten Griechenland-Paket. Da die Therapie des hellenischen Patienten nicht und nicht anschlägt, rechnet der für die US-Bank JP Morgan arbeitende Ökonom David Mackie gar mit einem dritten Hilfspaket.

Und schließlich braucht auch Zypern Geld für seine Banken. Im Gegensatz zu Spanien soll das im Fall der Mittelmeerinsel aber nur unter strengen Auflagen geschehen. Da die Gelder direkt an den Staat fließen, muss man in Nikosia mit gehörigem Einfluss auf die zukünftige Budgetgestaltung rechnen. Wie viel Geld Zypern braucht - die Spannbreite liegt zwischen 2,5 und zehn Milliarden Euro - wird erst festgelegt.

Kein Europa ohne Vision

Details über Details. Dass darüber hinaus Europa die Visionen ausgehen, fürchtet indes Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). "Man kann in der Politik nicht nur auf Sicht fahren - man muss auch sagen, wohin sich das Land, in diesem Fall Europa, bewegen soll", meinte er zum "Spiegel". Der bekannt Bail-out-feindliche Kolumnist Hans-Olaf Henkel, ehemals deutscher Arbeitgeberpräsident, sieht das ähnlich. Statt über den Tellerrand hinauszusehen, gebe es Anlassgesetzgebung. Für einen "spanischen Berg" habe man das letzte "Gipfelkreuz" mit der Aufschrift Bankenunion geschmiedet. Merkel und Co. sieht er gar schon den Montblanc besteigen. Frankreich sei wegen seiner staatsnahen Wirtschaftsstruktur samt KMU-feindlicher Umgebung der nächste Wackelkandidat. (Hermann Sussitz, derStandard.at, 9.7.2012)