"Cantar contra el Olvido".

Foto: Okto

Cirilos erster Eindruck von Deutschland: "Dunkel, grau. Wie im Horrorfilm." Er ist ein freundlicher älterer Herr, kaum noch Haare auf dem Kopf, dafür ein imposanter grauer Schnauzer. Der Militärputsch, erzählt Cirilo, habe 1973 die Hoffnungen der Chilenen zerstört. "Auch meine."

Heute lebt er als Musiker in Berlin genau wie der junge Nim Alae aus Guatemala. In Gabriel Caballeros Gálvez' "Cantar contra el Olvido" (D 2010) erzählten sie Samstag auf Okto, wie das gehen soll: Singen gegen das Vergessen. Nim Alae berichtet von einem Nachkriegs-Guatemala, in dem Gewalt, Korruption und Drogenkrieg herrschen. Davon, wie er Hip-Hop in Maya-Sprache machte, für die Rechte der Indigenen kämpfte. Wie er für diesen Kampf teuer bezahlte, mit körperlichen wie seelischen Schmerzen. Und vom "herzlichen" Empfang, der ihm nach der Flucht in Deutschland bereitet wurde: Nim Alae kennt guatemaltekische Gefängnisse - "das deutsche Asylheim war schlimmer". Cirilos Freunde wiederum wurden in Chile auf offener Straße ermordet.

Ähnliche Schicksale zweier sehr unterschiedlicher Gestalten: Der distinguierte, gutmütige ältere Herr. Und der junge, nüchtern und ohne jeden Pathos engagierte Guatemalteke im Straßenkampfoutfit. Was sie eint, ist die Waffe, mit der sie gegen das Vergessen und Verdrängen ankämpfen: Musik.

Sie macht das Leben lebenswert, sagt Cirilo. Sie gibt ihm wieder Hoffnung. Es ist keine bescheidene Hoffnung, erst recht nicht für jemanden, der solche Erfahrungen machen musste. Und doch stellt Cirilo ohne jede Ironie lächelnd eine unerhörte Behauptung auf: Die Jugend wird eine neue Realität schaffen. Eine bessere. (Andrea Heinz, DER STANDARD, 9.7.2012)