Bevor ich auf die - nach 100 Jahren Frauenbewegung schon langweiligen - Angriffe von frustrierten Männern auf feministische Politik antworte, gilt es, mit Begriffsdefinitionen Licht ins Dunkel zu bringen. Der oft gebrauchte und selten richtig verwendete Begriff "Obsorge" hat mit der Möglichkeit, die eigenen Kinder zu sehen, nichts zu tun. Wer die Obsorge hat, ist verpflichtet, Kinder zu erziehen und zu pflegen, Vermögen zu verwalten sowie das Kind in allen anderen Angelegenheiten zu vertreten. In der Praxis geht es also um Passanträge, Unterschriften für die Schule oder Ähnliches.

Wenn man sich diese Tatsache bewusst macht, erscheint es einem doch sinnvoll, dass für diese Aufgaben jener Elternteil herangezogen wird, bei dem das Kind auch lebt. Besonders dann, wenn sich Vater und Mutter nach einer Trennung nicht mehr verstehen (können). Trennungen sind in den meisten Fällen verletzend - oft auch traumatisierend - für die Beteiligten. Wie das Justizministerium davon ausgehen kann, dass eine automatische gemeinsame Obsorge diese Situationen beruhigen soll, ist wahrlich rätselhaft. Wenn sich das Umfeld von Kindern radikal ändert, brauchen sie vor allem eines: Sicherheit und Stabilität. Der Gedanke, dass Eltern ein Recht auf "ihre" Kinder haben, erschreckt mich immer wieder aufs Neue. Kinder haben ein Recht auf ihre Bezugspersonen, sie dürfen ihre Wünsche nach Kontakten auch ändern, selbst dann, wenn das vielleicht für Väter unangenehm sein könnte. 

Das Justizministerium hat eine schiefe Auffassung von der Aufgabe, die Gesetze erfüllen sollen. Paragrafen sind nicht dazu da, Menschen das Leben einfacher zu machen. Paragrafen müssen jene schützen, die Schutz brauchen. Natürlich prügelt nicht jeder Mann Frau und Kinder, Gewalt in der Familie bedeutet aber dennoch fast immer Männergewalt gegen Frauen. Und ja, für Kinder ist es traumatisierend, wenn ihre Mütter oder Geschwister von Gewalt betroffen sind, auch wenn sie vielleicht nicht "live" dabei sind. 

Der Schluss, dass Feministinnen darauf beharren würden, dass Frauen auch in Zukunft den größten Teil der Betreuungsaufgaben für ihre Kinder übernehmen sollen, ist verfehlt. Ja bitte, Männer sollen sich zu gleichen Teilen um ihre Kinder und den Haushalt kümmern, wie es Mütter schon seit Jahrhunderten tun. Wenn es gelingt, dass Hausübungen, Arztbesuche, Lieblingsessen und Besuch von FreundInnen für beide Alltag wird, dann wird sich die Sache mit der Obsorge von selbst erledigen. Mütter bekommen sie ja nicht unbegründet zugesprochen. Nein: Sie sind obsorgeberechtigt, weil sie die Bedürfnisse der Kinder oft besser kennen, weil sie für die täglich anfallenden "Kleinigkeiten" zuständig sind. Wo sind die "Väterrechtler" wenn es um Väterkarenz und den Papamonat geht? Wo sind sie, wenn es um gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit geht? Wo sind sie, wenn es um den Ausbau von Kinderbetreuung geht?

Dass Frauen diffamiert werden, die sich für Frauen stark machen, ist ein alter Hut. Bei dieser Gelegenheit möchte ich der Frauenministerin dazu gratulieren, für einige männliche Gruppen zur Buhfrau der Nation geworden zu sein. Denn das bedeutet, dass sie hier einen guten Job macht. Ein Blick in die Vergangenheit reicht aus um zu sehen, dass die Strategie, über die ach so ungerechte Frauenpolitik herzuziehen, nicht neu ist. Männer fürchten wohl einen Machtverlust, wenn Frauen jene Rechte bekommen, die ihnen auch zustehen.

Abschließend noch eine Frage: Woher nehmen all diese fürsorglichen Väter eigentlich die Zeit, permanent ihre Schauermärchen und antifeministischen Statements ins Internet zu stellen und sich gegenseitig zu ihren messerscharfen Analysen zu gratulieren? Wickeln sich die Kleinkinder dieser Männer von selbst? Gehen die Kinder allein ins Freibad? Und machen sie sich die Schokopalatschinken am Abend gegenseitig? (Laura Schoch, DER STANDARD, 9.7.2012)