Beim Kehraus machen Parlamentarier oft schlechte Figur. Im Akkord sollen sie abfertigen, was die Regierung an Gesetzen noch rasch vor der Sommerpause durch den Nationalrat boxen will. Tiefgründige Vorbereitung ist da kaum gefragt - gegen den Strich bürsten schon gar nicht.

So gesehen hat der STANDARD auf eine sichere Bank gesetzt, als er diese Woche einigen Abgeordneten harmlose Fragen zum Fiskalpakt stellte. Man soll nicht verallgemeinern, doch schon die erstbesten herausgepickten Mandatare scheiterten an den einfachsten Regeln. Nicht jeder Volksvertreter kann über jedes Detail Bescheid wissen - dafür gibt es spezialisierte Bereichssprecher. Aber von zentralen Elementen wie der im Pakt verankerten Schuldenbremse sollte ein Parlamentarier am Abstimmungstag mehr als nur eine blasse Ahnung haben.

Selbstfaller wie diese beleben Klischees, die an sich am Verblassen waren. Seit der letzten Sommerpause sind die Volksvertreter ein Stück weit vom Image des gefügigen Stimmviehs weggekommen. Im Untersuchungsausschuss erkämpften sich die Mandatare Reputation als Kontrolleure politischer Macht. Die intensive Skandalaufarbeitung hat Licht in dunkle Ecken der Republik gebracht und ist, anders als befürchtet, nicht ständig in parteitaktische Scharmützel und narzisstische Privattribunale abgeglitten.

Auch auf dem Gebiet der Gesetzgebung eroberten die Abgeordneten Terrain zurück. Das Sparpaket hat die Regierung - von wegen parlamentarische Budgethoheit - zwar wieder an sich gerissen, wenn auch nicht mit solch demütigender Präpotenz wie ein Jahr zuvor. Doch an einem anderen zentralen Werk haben Mandatare eifrig mitgebastelt. Abgesehen von der erhöhten Parteienförderung, die den Erfindern noch gehörig um die Ohren fliegen wird, kann sich das mit Anstandsregeln gespickte Transparenzpaket durchaus sehen lassen.

Damit aus den Lebenszeichen eine echte Auferstehung wird, gilt es nun, die Nabelschnur zu jenen zu kappen, die Abgeordnete wirklich gängeln: Das sind weniger schmierende Lobbyisten als die eigenen politischen Chefs. Das Parlament ist deshalb so ohnmächtig, weil vor allem die Mandatare der Koalition zu Gehorsam verdammt sind. Partei- und Regierungsspitze wollen treue Erfüllungsgehilfen, Abweichler riskieren den Vorwurf des Verrats. Jüngstes Beispiel: Es liegt auf der Hand, dass die rote Protestwelle gegen den Fiskalpakt auch wegen Drucks von oben jäh abgeebbt ist.

Die geplante Demokratiereform bietet eine Chance zur Emanzipation. Dringlichster Schritt ist ein Persönlichkeitswahlrecht, dank dem Bürger ihre Vertreter direkt in den Nationalrat wählen können. Hängt die Karriere mehr vom Urteil der Wähler als vom Gehorsam zur Parteizentrale ab, kann es sich kein Mandatar leisten, als ahnungsloser Befehlsempfänger durchs Parlament zu stolpern. Diese Reform wäre klüger als der Hype um Volksabstimmungen. Funktionierender Parlamentarismus sucht Kompromisse und berücksichtigt Minderheitenmeinungen, statt komplexe Fragen simplen Ja-Nein-Antworten auszuliefern.

Wehren sollten sich die Volksvertreter gegen einen einseitigen Sparkurs. Wenn schon ein geschrumpftes Plenum, dann im Abtausch mit mehr Mitarbeitern, die Sacharbeit mit Tiefgang erst möglich machen. Sonst bleiben die heimischen Parlamentarier das, was der Grüne Alexander Van der Bellen in seiner schönen Abschiedsrede ausgesprochen hat: Kirchenmäuse. (Gerald John, DER STANDARD, 7.7.2012)