Wien - Mit illegalen Drogen werden Schlagzeilen gemacht. Doch die westliche Welt - speziell West-, Mittel- und Osteuropa - haben ein viel größeres Suchtproblem: Alkohol. "In Europa haben innerhalb des vorangegangenen Jahres 9,1 Prozent der Männer und zwei Prozent der Frauen (Durchschnitt: für beide Geschlechter: 5,5 Prozent, Anm.) ein mit Alkohol in Verbindung stehendes Gesundheitsproblem gehabt", sagte am Freitag Julia Sinclair von der Universität von Southampton (Großbritannien) beim Europäischen Hausärztekongress (WONCA Europe 2012; bis 7. Juli) in Wien. Das Erkennen von Gefährdeten vor dem Abgleiten in die Alkoholkrankheit sei von enormer Bedeutung. Reduktion des Alkoholkonsums statt primär Abstinenz würde immer mehr zum naheliegendsten Ziel einer Intervention.

"Es ist das 'Ansaufen' (Binge Drinking, Anm.), das am gefährlichsten ist. Den höchsten Pro-Kopf-Alkoholkonsum mit 15 bis 25 Liter reinen Alkohols pro Einwohner und Jahr gibt es in den UdSSR-Nachfolgestaaten. In Mittel- und Westeuropa (auch in Österreich, Anm.) sind es zwölf bis 15 Liter, in Südeuropa mit Ländern wie Italien neun bis zwölf Liter. Dort beträgt der Alkoholkonsum nur noch ein Drittel des Wertes vor 40 Jahren", erklärte der schottische Experte Richard Watson.

Alkoholproblem kommt nicht allein

Die Konsequenzen sind enorm. Julia Sinclair, die auch eine ambulante Klinik für Alkoholpatienten leitet: "Bei den größten Risikofaktoren für die Mortalität kommt der Alkohol nach dem Tabakkonsum an zweiter Stelle - vor der Hypertonie." Die Crux: Allein bei den physischen Erkrankungen ist starker Alkoholkonsum wiederum mit Bluthochdruck, anderen Herz-Kreislauferkrankungen (Schlaganfall, Herzinfarkt), Leberleiden, Magenerkrankungen etc. verbunden. Hinzu kommen alle Arten von Unfällen, Kriminalität, Sexualdelikte und die psychischen Erkrankungen von Sucht, Depressionen, Angststörungen etc.

Watson: "Man hat für 2003 errechnet, dass die Gesundheits- und Sozialkosten durch Alkoholmissbrauch in der EU pro Jahr 250 Milliarden Euro ausmachten. Es sind bei weitem nicht nur die abhängigen Alkoholkranken. 40 Prozent der Menschen mit Leberzirrhose sind nicht abhängig. In Schottland sind bereits 70 Prozent aller Todesfälle durch Lebererkrankungen durch den Alkohol bedingt. In Westeuropa hat sich seit 1970 Jahren der Anteil von 60 auf unter 40 Prozent verringert. In Schottland, England und Wales steigt die Kurve an."

"Scotch", sei zwar das einzige Getränk, das sich im Namen der Bevölkerung wiederfinde, die es geschaffen habe. Doch, so Watson: "Bei uns ist heute nicht Whisky, sondern Wodka das 'Nationalgetränk'." Leistbarkeit (Preis), Erhältlichkeit (Jugendschutzbestimmungen, Verkaufsstellen) und Werbung würden die entscheidenden Faktoren für den Massenkonsum darstellen. (APA, 6.7.2012)