Durch den Verkauf gebrauchter und neuer Bücher wollte sich der thailändische Student Supap Kirtsaeng sein Studium in den USA finanzieren. Dazu gehörten auch acht echte und legal gekaufte Lehrbücher des Wiley Verlags, die ihm Verwandte aus Thailand geschickt hatten. Eine Jury verurteilte ihn dafür wegen willentlicher Urheberrechtsverletzung zu 600.000 Dollar Strafschadenersatz.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung mit 2:1 Stimmen der Richter. Nun hat der Oberste Gerichtshof der USA (Supreme Court) eingewilligt, diesen und einen sehr ähnlichen Fall zu behandeln. Die zentrale Rechtsfrage ist, ob die sogenannte "First Sale Doctrine" (Erschöpfungsgrundsatz) auch für Werkstücke gilt, die legal im Ausland angefertigt und dann in den USA verkauft werden. Wer die Ware importiert hat, ist unerheblich.
Urheber hat die Kontrolle
Nach dem US-Copyright-Gesetz kann ein Urheber grundsätzlich kontrollieren, ob und wem er eine Kopie seines Werks gibt. Die First Sale Doctrine beendet die Kontrolle des Urhebers über eine bestimmte Kopie (Werkstück) aber, sobald dieses Stück einmal verkauft wurde. Der neue Eigentümer darf seine Sache dann nach Belieben weitergeben, sei es durch Verkauf, Leihe, Vermietung, als Geschenk oder auch durch simples Wegschmeißen.
Dieses Recht hat der Eigentümer aber nur, wenn das Werkstück im Sinne des Copyright-Gesetzes rechtmäßig hergestellt wurde. Illegale Kopien dürfen also nicht weitergegeben werden. Hier geht es aber um ganz legale Kopien. Strittig ist, vereinfacht ausgedrückt, ob das Copyright-Gesetz auf außerhalb der USA erfolgte Produktion angewandt werden kann.
Strittige Rechtslage
Bisherige Gerichtsentscheidungen widersprechen einander; eine ältere Entscheidung des Supreme Court scheint die First Sale Doctrine tatsächlich nur auf im Inland hergestellte Werkstücke anzuwenden.
Dieser Lesart haben sich die mit dem Fall Wiley vs. Kirtsaeng befassten Gerichte angeschlossen. Der Erstrichter hatte es dem Thailänder sogar untersagt, sich gegenüber den Geschworenen auf die First Sale Doctrine zu berufen. Auch dem Vorschlag, die Geschworenen darüber aufzuklären, dass die Rechtslage strittig ist, folgte der Richter nicht.
Belohnung für Verlagerung von Arbeitsplätzen
Im Ergebnis behält ein Rechteinhaber in den USA die volle Kontrolle über das weitere Schicksal seiner Ware, solange er diese im Ausland hergestellt hat. Selbst für das Wegschmeißen eines alten, im Ausland gedruckten Werbeprospekts müsste man dann die Erlaubnis des Rechteinhabers einholen. In manchen Fällen könnten sich die Eigentümer auf das schwammige Konzept des Fair Use berufen. Aber das ist juristisch riskant.
Durch die bloße Verlagerung der Produktion ins Ausland könnten die Urheberrechts-Inhaber somit den Zwischenhandel wie auch den Handel mit Gebrauchtwaren verbieten oder dafür Gebühren einheben. Das betrifft keineswegs nur Bücher, Musik-CDs und DVDs, sondern praktisch alle Waren, die mit einem urheberrechtlich geschützten Zeichen oder Design versehen sind, vom Haarshampoo über Fahrzeuge bis zur leeren Getränkedose.
Gleicher Fall in Grün
"Die meisten (US-Medien) berichten über diese Sache als Fall von Parallelimporten. Das ist Unsinn", sagt US-Anwalt John T. Mitchell zum WebStandard. "Nach dem Urteil des (Berufungsgerichts) bekommt der US-amerikanische Copyright-Inhaber eine riesige Belohnung, wenn er im Ausland produziert. Selbst wenn er es selbst produziert, selbst importiert und selbst in den USA verkauft."
Die dadurch erlangte Kontrolle gehe sogar über den Tod des Kunden hinaus. Selbst das Vererben einer Sache ohne Zustimmung des Rechteinhabers wäre ein Verstoß gegen das Urheberrecht.
Mitchell vertritt in einem praktisch gleich gelagerten Fall die Studentin Ganghua Liu. Sie hatte in Asien hergestellte Originalbücher der Verlage Pearson und Wiley in die Vereinigten Staaten gebracht und verkauft. Dafür muss sie sich jetzt vor Gericht verantworten. Ihr Anwalt meint nach wie vor, dass seine Mandantin legal gehandelt hat.
Richter zweifeln selbst
Im Fall des Thailänders Kirtsaeng hat das Berufungsgericht eingestanden, dass das Ergebnis eine Belohnung für die Verlagerung der Produktion ins Ausland darstellt. Zwei der drei Richter sahen sich aber durch die frühere Auslegung des Supreme Court gebunden. Nur die dritte Richterin war anderer Rechtsauffassung.
Auch der Bezirksrichter in Lius Verfahren zeigte sich nicht erfreut, entschied aber im Zweifel und unter Berufung auf den Supreme Court, die First Sale Doctrine nicht anzuerkennen. Aber er genehmigte den seltenen Schritt, die Rechtsfrage direkt dem Supreme Court vorzulegen. Sobald es von dort eine Antwort gibt, wird Lius Verfahren weitergeführt.
Willentliche Rechtsverletzung ist besonders teuer
Kirtsaengs Verfahren hingegen wird vom Supreme Court abschließend entschieden werden. Der Student versteht auch nicht, dass man ihm willentliche Urheberrechtsverletzung vorwirft und ihn deshalb zu einer um ein Vielfaches höheren Summe verurteilt hat. Vor dem Verkauf der Bücher hatte er im Internet recherchiert, unter anderem bei Google Answers.
Er sei dabei zu dem Schluss gekommen, die legal erworbenen Bücher auch legal weiterverkaufen zu dürfen. Im Herbst wird der Supreme Court entscheiden, ob das stimmt. Google Answers hingegen beantwortet inzwischen keine neue Fragen mehr. (Daniel AJ Sokolov, derStandard.at, 13.7.2012)