Stefanie Euler zeigt das Wort "Dolmetschen".

Foto: Alexander Fuith

Stefanie Euler ist freiberuflich als Gebärdensprachdolmetscherin tätig, in erster Linie im Burgenland. Im Gespräch mit daStandard.at erzählt sie von ihren Erfahrungen und erklärt, warum es für das Bewusstsein von Gehörlosen wichtig ist, über solide Kenntnisse der Gebärdensprache zu verfügen.

daStandard.at: Sie arbeiten als Dolmetscherin mit ÖGS (Österreichische Gebärdensprache). Nun ist es so, dass beim Übersetzen und Dolmetschen nicht nur die Sprache übersetzt wird, sondern auch kulturelle Aspekte zu berücksichtigen sind. Ist das bei ÖGS ebenso der Fall?

Euler: Beim Dolmetschen geht es um Sprachmittlung und um Kulturmittlung, das gilt auch für ÖGS. Gehörlose haben eine eigene Mentalität, und manchmal reicht es nicht, "nur" zu dolmetschen, sondern ich muss auch vermitteln und erklären. Manchmal glauben Hörende, sie könnten an den Gebärden ohnehin viel ablesen und erkennen, aber es kommt zu falschen Deutungen.

Es gibt außerdem Unterschiede in der Gesprächsführung. Das Frage-Antwort-Spiel funktioniert bei Gehörlosen nicht ganz gleich wie bei Hörenden. Gehörlose neigen dazu, lange und umständliche Antworten zu geben, und Hörende müssen dann ein wenig abwarten, bis die gefragte Information kommt.

daStandard.at: Wie war Ihr Werdegang als Gebärdensprachdolmetscherin?

Euler: Ich habe etwa vier Jahre lang Gebärdensprachkurse besucht und habe mir auch selbstständig gute Lehrer gesucht. Dann habe ich begonnen, in der WITAF-Arbeitsassistenz als Jobcoach zu arbeiten, und meine Sprachkenntnisse wurden schlagartig besser, weil ich hier viel Kontakt mit Gehörlosen habe. Ich habe Psychologie studiert und einen Dolmetschervorbereitungskurs besucht, ebenso berufsbegleitende Seminare. Mein Werdegang hat also viele Jahre in Anspruch genommen. Den Dolmetschberuf übe ich freiberuflich nebenbei aus, hauptsächlich im Burgenland, weil dort noch viel Aufbauarbeit zu leisten ist.

daStandard.at: Aufbauarbeit?

Euler: Das Hauptproblem ist, wenn die Dolmetschkosten vom Land nicht übernommen werden, was zum Beispiel bei Pensionisten der Fall ist. Also können sich viele Gehörlose keinen Dolmetscher leisten, wenn sie einen Termin bei einer Behörde haben. Sie müssen dann Verwandte um Hilfe bitten, und das ist nicht immer ideal. Da muss man aufklären. Gehörlose wollen ja auch barrierefrei durch die Welt gehen, und ein Dolmetscher kann das gewährleisten.

Das andere Problem ist aber auch, dass es generell zu wenige Dolmetscher gibt. Für Formulare, Behördengänge und behördliche Vorabinformationen bräuchten aber viele Menschen die Hilfe eines Dolmetschers. Das Internet kann natürlich eine große Hilfe sein, weil man Inhalte visuell aufarbeiten kann.

daStandard.at: Wo können Gehörlose die Gebärdensprache erlernen?

Euler: Wenn es Personen in der Familie gibt, die Gebärdensprache benutzen, dann wird das Wissen innerhalb der Familie weitergegeben. Ansonsten in der Schule, aber leider oft nur in der Pause, wo sie sich Gebärden von anderen Kindern abschauen. Gebärdensprache wird meistens nicht systematisch unterrichtet, mit Grammatik, weil die Hauptvorgabe immer lautet "Sie sollen sprechen lernen". Das ist schade, weil die Gebärdensprache eine Sprache ist, in der Wissen und Informationen sehr gut weitergegeben werden können. In den entsprechenden Schulen bleibt sie jedoch meistens im Hintergrund, und das ist verheerend für das Selbstbewusstsein.

daStandard.at: Wo kommt die Gebärdensprache konkret zur Anwendung?

Euler: Zum Beispiel in den Vereinen, in denen die Leute zusammenkommen. Es gibt viele gemeinsame Aktivitäten, Jugendvereine mit Sport und Ausflügen, so etwas gibt es in jedem Bundesland. Es gibt auch eine Kommission, die neue Gebärden kreiert, denn die Gebärdensprache ist eine lebende Sprache, sie entwickelt sich weiter, so wie unsere Sprache. Als Dolmetscherin muss man immer wieder neue Gebärden lernen.

daStandard.at: Wie sehen die entsprechenden Wörterbücher aus?

Euler: Es gibt Online-Portale, wo gefilmte Gebärden abrufbar sind. Die Sprache wird auch in Klagenfurt und Graz erforscht, in Deutschland wird überhaupt viel in diese Richtung gemacht. Es gibt auch Theater und Poesie, ebenso Märchen.

daStandard.at: Wie kann man sich das vorstellen?

Euler: Gebärden werden dann besonders schön und kunstvoll ausgeführt.

daStandard.at: Kommen wir noch einmal auf das Selbstbewusstsein zurück. Können Sie das näher erklären?

Euler: Viele Gehörlose sind Bevormundung gewohnt und wissen oft gar nicht, dass sie selbst etwas dürfen, dass sie Anspruch auf einen Dolmetscher haben. Gebärdensprachdolmetschen ist natürlich ein junges Fach, aber wir sind sehr bemüht, die Materie auf den neuesten Stand zu bringen und uns weiterzubilden. Dolmetschen hat noch immer den Beigeschmack von Sozialarbeit und Hilfe, und die Professionalität wird oft nicht gesehen. Viele glauben, man ist automatisch Dolmetscher, wenn man die Sprache beherrscht. Wir wollen uns aber im Rahmen von Konferenzen austauschen und unsere Tätigkeit professionell aufziehen. (Mascha Dabić, daStandard.at, 9.7.2012)