Der US-Politologe Barry Posen meint, dass es die derzeitige amerikanische Regierung am liebsten mit einer folgsamen EU zu tun hätte, die nur moderat in der Lage ist, in der Weltpolitik zu handeln.

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Standard: Der EU-Außenpolitikbeauftragte Javier Solana hat beim EU-Gipfel ein Papier über eine EU-Sicherheitsstrategie vorgelegt. Wie wirkt das auf das Verhältnis EU – USA?

Posen: Das Papier ist ein Echo auf einige Erklärungen von US-Präsident Bush, was mit Staaten passieren soll, die sich nicht an die internationalen Regeln halten. Sogar die Anwendung von Gewalt schließen die EU-Regierungen nicht aus. Doch ob sie Bush wirklich seine Interpretation der Welt über die Verbindung von manchen Staaten und Massenvernichtungswaffen abkaufen, ist eine andere Frage.

STANDARD: Waren die EU-Erklärungen dazu im Vorfeld des EU-USA-Gipfels nützlich?

Posen: Die Amerikaner werden sich freuen, dass die Europäer nun auch auf EU-Ebene und nicht nur auf Nato-Ebene anerkannt haben, dass die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen Gewaltanwendung rechtfertigen kann. Die Europäer haben eine positive Botschaft gesandt – die USA werden sich bemühen, da einiges hineinzulesen.

STANDARD: Im Moment scheint die Regierung in Washington in Bereichen wie beim Handel es aber auf Konflikt anzulegen.

Posen: Schon. Aber ich glaube, dass sich die Bush-Administration derzeit eher am Kopf kratzt und sich sagt: "Wenn du einen Freund in der Welt willst, wären die Europäer vielleicht doch ein ganz guter." Natürlich bedürfte es da einer besonneneren Außenpolitik: Wenn man militärisch der uneingeschränkt mächtigste Staat der Welt ist, macht es keinen guten Eindruck, auch noch in Bereichen wie Handel Furcht erregend aufzutreten. Das könnte am Ende kontraproduktiv sein.

STANDARD: Historisch wollten die USA immer die europäische Einigung. Heute sieht es eher aus, als betreibe die Bush- Regierung eine Spaltung, oder etwa nicht?

Posen: Die Bush-Regierung hätte vor allem am liebsten eine folgsame EU, die nur moderat in der Lage ist, in der Weltpolitik zu handeln. Sicher möchten sich die USA für den Notfall die Option "teilen und herrschen" offen halten. Primär versucht man, die ganze EU wieder in proamerikanische Richtung zu bewegen.

STANDARD: Stärkt eine künftige EU-Verfassung, die einen EU- Außenminister haben würde, nicht die Europäer?

Posen: ... wenn sie wirklich so kommt. Die EU könnte ein Konkurrent für die Nato werden: Im Verfassungsentwurf gibt es eine Solidaritätsklausel für Terror und Katastrophen, die in Richtung einer Beistandspflicht geht. Und die EU-Rüstungsagentur könnte der Kern eines EU-Verteidigungsministeriums sein. (jwo/DER STANDARD, Printausgabe, 25.6.2003)