Das ist Jan Fabres Mutter der Porzellankiste. Von Vorsicht kann in dem Werk des Künstlers damals wie heute keine Rede sein.

foto: Patrick T Sellitto

Eine Zeitreise mit Verrücktheit, Trommeln und Beute.

Sie sind die Protagonisten der ersten Generation jenes belgischen Kreativmotors, der die europäische Tanzszene seit mehr als dreißig Jahren immer wieder mit neuen Ideen auflädt.

Bei Impulstanz - das Festival fördert die neuesten Tendenzen im Tanz und pflegt auch sein künstlerisches Erbe - kann man diesmal die Entwicklung punktuell nachverfolgen: Zwei Jan-Fabre-Stücke aus den 1980er Jahren werden neu aufgelegt, eine Arbeit von Anne Teresa De Keersmaeker aus den 1990er-Jahren wiederaufgenommen, und Wim Vandekeybus bringt sein Ende Juni bei der Tanzbiennale Venedig uraufgeführtes jüngstes Werk nach Wien.

Künstlerische Gemeinsamkeiten lassen sich bei den drei Landsleuten auf den ersten Blick nicht ausmachen. Denn während Fabre in Opulenz schwelgt, vertritt De Keersmaeker den Minimalismus im Tanz. Der als " 100.000-Volt-Choreograf" bekannt gewordene Vandekeybus hat sich hingegen von seinen Anfängen als radikaler Tanzerneuerer weit entfernt - zugunsten actionreicher, genreübergreifender Performances.

Für seine Neuinszenierung mit einem "brand new and sexy cast" hat Jan Fabre diesmal zwei Frühwerke von gigantesken Dimensionen gewählt. So dauert das Stück This is theatre like it was to be expected and foreseen des jungen, radikalen Ikonoklasten aus dem Jahr 1982 so lange wie ein Arbeitstag, also ganze acht Stunden. Das orgiastisch-aufrührerische Werk The Power of Theatrical Madness von 1984 erstreckt sich immerhin auch noch über vier Stunden.

Konzentrierte Musikalität und konzise tänzerische Umsetzung kennzeichnen hingegen Anne Teresa De Keersmaekers 1998 bei Impulstanz uraufgeführtes Drumming zur gleichnamigen Komposition von Steve Reich. Bei diesem Meisterwerk folgt die choreografische Struktur präzise der musikalischen Form des Minimalisten Reich. Die Musik, auf der Bühne live vom Ictus-Ensemble gespielt, und der Tanz verdichten sich dabei in einem sich ständig steigernden Bewegungsrausch.

In seiner neuen Kreation booty Looting bringt Wim Vandekeybus sechs Performer, einen Musiker und einen Fotografen auf die Bühne, wobei die Fotografie eine direkte Relevanz für seine bereits im Titel angedeutete Auseinandersetzung mit der Erinnerung hat. "Booty looting" bedeutet, sich gestohlene Beute anzueignen, also eine doppelte Plünderung, und ist hier als Anspielung auf die Verzerrung der Erinnerung zu verstehen. Dabei hat der Choreograf durchaus auch Ansprüche an sein Publikum: "Der Zuschauer muss sich darauf einlassen und muss sich etwas vorstellen. Und vielleicht fühlt er sich stellenweise ja sogar selbst beraubt." (Edith Wolf Perez, DER STANDARD, 6.7.2012)