Klagenfurt - Mit der schon traditionellen Klagenfurter Rede zur Literatur, dieses Jahr gehalten von der Literaturwissenschaftlerin Ruth Klüger, sind am Mittwochabend im Klagenfurter ORF-Theater die 36. Tage der deutschsprachigen Literatur eröffnet worden. Klüger beschäftigte sich mit dem wohl am häufigsten verwendeten Zitat Ingeborg Bachmanns, dem Satz: "Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar." Am diesjährigen Wettbewerb nehmen vier Autorinnen und Autoren aus Österreich teil, die Preisverleihung findet am Sonntag statt.

Klüger erklärte zum Bachmann-Zitat über die Wahrheit, der Satz gehöre zu jenen, "die ich nicht recht verstehe, aber außerordentlich finde". Das Motiv der Dichterin ziehe sich durch ihr ganzes Werk, und doch stelle sich die Frage: "Was meint sie mit diesem Satz?". Klüger: "Die Wahrheit war für Bachmann das Ziel der Kunst und gleichzeitig zweifelte, ja, verzweifelte sie immer wieder an der Möglichkeit, sie auszudrücken. Das ist mehr als die modische Sprachskepsis der 60er und 70er Jahre. Ich meine, es ist das Problem, das ihr ganzes Werk durchzieht und man könnte behaupten, es ist ein Hauptproblem für die heutige Literatur. Sprache sollte Vermittlerin der Wirklichkeit, ihre Verwandlung in Wahrheit sein. Doch Ingeborg Bachmann ist die Dichterin der Gleichnisse, die nicht aufgehen. Wir suchen nach dem Sinn und sie verweigert ihn, nachdem sie uns lockt und glauben macht, dass sie ihn uns auf Bestellung kredenzen wird. Diese Verwirrung führt die Leser zu weiterem Suchen."

Bachmann habe Gedichte geschrieben mit Titeln wie "Was wahr ist" oder "Wahrlich". Dies klinge wie die Überschrift "was gesagt werden muss", mit denen Günter Grass vor kurzem für viel Aufregung gesorgt hatte. "Ich meine, Ingeborg Bachmann hätte über dieses Grass-Gedicht gelacht, nicht wegen der Botschaft, sondern wegen des Rahmens, wegen dem Versuch, politische Polemik zur höheren Wahrheit zu stempeln, indem sie als Gedichtzeilen gesetzt wird", stellte Klüger fest. Wörter, die über einen Sachverhalt berichten würden, drückten als Bericht etwas anderes aus als wenn "diese selben Wörter als Worte, als Gedicht, daherkommen".

Um Wahrheit geht es laut Klüger, die ihre Rede unter den Titel "Der haltbare Satz im Bimbam der Worte" gestellt hat, auch in der Erzählung "Drei Wege zum See". Diese seien zwar als Wege dubios, es stellten sich jede Menge Hindernisse ein. "Aber der See ist da und es gibt die zumutbare Wahrheit, wie es den Wörthersee gibt." Der Zweck dieser Literaturtage in Klagenfurt ist laut Klüger ja wohl "das Bimbam mit dem haltbaren Satz zu widerlegen". Die Dichtung möge ja ein Labyrinth von Irrwegen sein, die jedoch immer noch einen Ausweg, den Weg zur Wahrheit, in Aussicht stellen würden. Die Autorin, die den Holocaust überlebt hat, schloss ihre Rede mit einer Aufforderung an die Teilnehmer am Bachmann-Wettbewerb: "Ich wünsche Ihnen für die nächsten Tage Wege zu See, er ist da, man muss nur hinfinden wollen."

Österreicher über alle drei Tage verteilt

Zum Abschluss der Eröffnung wurde am Mittwochabend die Reihenfolge ausgelost, in der die 14 Autorinnen und Autoren von Donnerstag bis Samstag ihre Texte lesen werden. Die vier Österreicher verteilen sich auf alle drei Lesetage, den Auftakt am Donnerstag macht Stefan Moster.

Gleich nach Moster ist der gebürtige Kärntner Hugo Ramnek an der Reihe. Nach ihm ist Mirjam Richner dran, gefolgt von Andreas Stichmann, Sabine Hassinger beschließt den ersten Lesetag. Am Freitag hat Inger-Maria Mahlke die Startnummer Eins, nach ihm sind Cornelia Travnicek, Olga Martynova und Lisa Kränzler dran, als letzter am Freitag liest Simon Froehling.

Der Samstag beginnt mit der Lesung von Matthias Nawrat, gefolgt von Matthias Senkel. Den Abschluss im Wettlesen um den Ingeborg-Bachmann-Preis machen Leopold Federmair und Isabella Feimer. Nach dem Ende der Lesungen wird sich am Samstag die Jury, wieder unter dem Vorsitz von Burkhard Spinnen, der 1992 als Jungautor in Klagenfurt am Wettbewerb teilgenommen hat, über die sogenannte Shortlist verständigen. Das ist die Reihe der potenziellen Preisträger, über die am Sonntag von der Jury abgestimmt wird.

Das Wettlesen wird wie jedes Jahr live in 3sat übertragen, ebenso die Preisverleihung am Sonntag. Neben dem Hauptpreis haben die 14 Nominierten auch die Chance auf den mit 10.000 Euro dotierten kelag-Preis, den 3sat-Preis (7.500 Euro), den Ernst Willner-Preis (7.000 Euro) und den mit 7.000 Euro dotierten, heuer von der BKS-Bank gestifteten, Publikumspreis. (APA, 5.7.2012)