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Der Himmel über der Bankenskyline in Frankfurt zieht sich zu - wieder einmal steht die EZB vor einem Zinsentscheid.

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Paul de Grauwe ist belgischer Ökonom.

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Frankfurt/Wien - An den Kapitalmärkten geht die Hoffnung um, dass die Europäische Zentralbank (EZB) wieder stimulierend eingreift. Die Schwäche der Konjunktur mache eine Zinssenkung um 0,5 Prozentpunkte wahrscheinlich, sagt etwa Janet Henry, Europa-Ökonomin von HSBC. Jürgen Michels, Analyst bei Citigroup, geht davon aus, dass die EZB bei ihrer Zinssitzung heute, Donnerstag, wieder an der Liquiditätsschraube drehen wird. Bereits im Dezember 2011 und Februar 2012 hat sie mehr als eine Billion Euro in die Hand genommen, um europäische Banken aufzupäppeln. Der Ökonom Paul de Grauwe kritisiert im Standard-Interview, dass die EZB sich um die notwendigen Entscheidungen drückt.

STANDARD: An den Kapitalmärkten wird eine Zinssenkung der EZB erwartet. Was wird das bringen?

De Grauwe: Wenig. Die Zinsen sind ja bereits sehr niedrig. Wenn die EZB noch einmal die Leitzinsen um einen halben Prozentpunkt senkt, wird das keinen Unterschied machen. Hier liegt ja nicht das Problem. Die Angst und die Panik sind die Probleme, die die europäischen Kapitalmärkte paralysiert haben.

STANDARD: Kann die EZB diese Paralyse denn bekämpfen?

De Grauwe: Absolut. Die EZB muss eine Grenze ziehen und diese mit allen Mitteln verteidigen. Etwa einen Zinsaufschlag für Spanien und Italien von drei Prozentpunkten. Das kann die EZB. Sie hat mehr Feuerkraft als alle Finanzakteure. Wenn sie diesen Weg glaubhaft kommuniziert, müsste sie nicht einmal viele Bonds kaufen.

STANDARD: Dabei haben die Staatsanleihenkäufe der EZB bisher eher wenig gebracht. Das Programm liegt mittlerweile auf Eis.

De Grauwe: Die EZB hat wiederholt angekündigt, dass die Anleihenkäufe zeitlich und vom Volumen her begrenzt sein werden. Die EZB hat damit signalisiert, dass sie nicht ernsthaft die Zinsen für Staatsanleihen senken wird. Das ist der schlechteste mögliche Weg, ihre Politik zu kommunizieren.

STANDARD: Wird der Druck auf die EZB steigen? Das Kreditwachstum in Ländern wie Spanien und Italien ist ja deutlich negativ.

De Grauwe: Nachdem die EZB nicht gewillt ist, direkt im Staatsanleihenmarkt zu intervenieren, wird sie erneut warten, bis die Banken Probleme bekommen. Dann wird sie die Banken mit Liquidität versorgen. Das macht die Interventionen aber teurer. Man muss einen Boden unter die Anleihenpreise einziehen. Solange das nicht geschieht, sind die Banken in Panik und werden keine Kredite an den privaten Sektor vergeben. Die Banken sind enorm risikoavers, sie haben Angst. Daher muss die Zentralbank mehr Risiken nehmen, das ist der Schlüssel. Die EZB muss kompensieren. Aber die EZB agiert genauso oder noch ängstlicher als der private Sektor. Das ist pervers. Die EZB macht ihre Arbeit nicht.

STANDARD: Sind denn die 500 Milliarden Euro des Rettungsfonds ESM nicht genug?

De Grauwe: Nein. Jedes Mal, wenn der ESM interveniert, werden die Ressourcen des Fonds schrumpfen. Er reicht nicht aus, um Spanien oder Italien zu stützen. Das wissen die Investoren, und sie werden abschätzen, wann der Fonds keine Mittel mehr hat. Dann werden die Anleihenpreise fallen. Die Märkte sind vorausschauend. Sie werden mit dem Verkauf von ihren Anleihenbeständen reagieren und die Krise beschleunigen. Der ESM kann die Staatsanleihenmärkte nicht stabilisieren.

STANDARD: Welche Rolle spielt dabei die Vorrangigkeit des ESM als bevorzugter Gläubiger?

De Grauwe: Das verschärft das Problem. Private Anleihengläubiger fühlen sich über den Tisch gezogen, und sie werden die Bonds verkaufen. Diese Vorrangigkeit muss eliminiert werden, nicht nur für den ESM, sondern auch für die EZB. Jedes Mal, wenn die EZB interveniert, treibt sie damit andere Gläubiger aus dem Markt. Dieses Ergebnis will niemand. Die EZB ist über die Maßen mit der Qualität ihrer Bilanz beschäftigt.

STANDARD: Ist sie das nicht zu Recht? Wenn die US-Notenbank Staatsanleihen kauft, weiß sie, dass sie ihr Geld zurückbekommt. In Griechenland hat man gesehen, dass das in Europa nicht der Fall ist.

De Grauwe: Die EZB hätte im Fall Griechenlands nicht intervenieren sollen. Es war klar, dass Griechenland insolvent ist. Wenn ein Land oder eine Bank insolvent ist, sollte die Zentralbank keine Liquidität zur Verfügung stellen, sondern umschulden. Spanien ist aber nicht Griechenland. Spanien ist solvent. Wenn man spanische Anleihen bis zum Laufzeitende hält, erhält man sein Geld zurück genauso wie in den USA. (Lukas Sustala, DER STANDARD, 5.7.2012)