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Peter Higgs (rechts), der die These vom nach ihm benannten Boson vor 48 Jahren erstmals formulierte, diskutiert hier mit Franzois Englert, der 1964 unabhängig von Higgs den entsprechenden Mechanismus postuliert hatte.

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CERN-Direktor Rolf Heuer (links) fasste die präsentierten Daten salopp zusammen: "Ich glaube, wir haben es". CMS-Sprecher Joe Incandela: "Es ist tatsächlich ein neues Teilchen."

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Fabiola Gianotti (rechts), die Sprecherin des ATLAS-Experiments, flüstert während einer Gruppenaufnahme Peter Higgs etwas zu.

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Nach rund einer Billiarde Kollisionen haben Cern-Physiker ein neues Teilchen entdeckt. Es dürfte das erstmals 1964 vorhergesagte Higgs-Boson sein.

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"Das ist wirklich das unglaublichste Ding, das in meinem Leben passiert ist", sagte der sichtlich gerührte Peter Higgs gestern Vormittag im Konferenzraum des Cern in Genf. Kurz zuvor hatten Forscher die jüngsten Daten vom Teilchenbeschleuniger Large Hadron Collider präsentiert und waren zum sehnlich erhofften und heftig akklamierten Ergebnis gekommen: Bei den Experimenten wurde tatsächlich ein neues Elementarteilchen entdeckt, das viele Eigenschaften von jenem Partikel hat, das Higgs vor 48 Jahren vorausgesagt hatte.

Das sogenannte Higgs-Boson spielt im gängigen "Standardmodell" der Physik eine zentrale Rolle bei der Entstehung des Universums nach dem Urknall. Es sorgt nämlich dafür, dass alle Objekte eine Masse haben - was dem Partikel bei zahlreichen Medien auch den umgangssprachlichen Namen "Gottesteilchen" eintrug, der von Physikern allerdings abgelehnt wird.

Die Forscher gehen jedenfalls davon aus, dass Teilchen in den ersten Milliardstelsekunden nach dem Urknall zunächst masselos mit Lichtgeschwindigkeit umhersausten. Erst durch die Interaktion mit dem sogenannte Higgs-Feld bekamen sie Masse und konnten dadurch schließlich das Universum bilden. Erst durch Masse entstanden Galaxien, Sterne, Planeten und letztlich das Leben.

Um das nur theoretisch vorhergesagte Teilchen experimentell zu finden, das quasi der "Fußabdruck" des Higgs-Felds ist, wurden in den vergangenen Jahren riesige Teilchenbeschleuniger gebaut: zuerst das Tevatron bei Chicago (siehe Chronologie rechts), das seine Suche im September 2011 ohne eindeutige Ergebnisse beendete.

Seit 2008 ist ein noch mächtigerer Teilchenbeschleuniger in Betrieb, um das "Gottesteilchen" zu finden: der 27 km lange Large Hadron Collider (LHC) des europäischen Kernforschungszentrums bei Genf in der Schweiz. Die Planungen der Maschine reichen allerdings über zwanzig Jahre zurück. Tausende Forscher aus mehreren Dutzend Ländern der Welt waren und sind an dem Milliardenprojekt beteiligt - und konnten nun die ersten Früchte ihrer Arbeit ernten.

Nach der vorläufigen Auswertung von einer Billiarde (also zehn hoch 15) Kollisionen von Protonen konnten die Physiker nun die Existenz eines neues Elementarteilchens mit wissenschaftlich akzeptierter Sicherheit bestätigen. Da es völlig instabil und sehr selten ist und sofort in bekannte andere Teilchen, etwa Photonen, zerfällt, kann man erst aus der Analyse dieser Zerfallserscheinungen auf das Higgs rückschließen.

Hohe Wahrscheinlichkeit

Tatsächlich sind es nur ein paar Hundert Zerfallsereignisse, die auf das neue Teilchen hindeuten. Die Wahrscheinlichkeit, dass man in einer Welt ohne dieses Teilchen solche Zerfälle beobachten könnte, liegt nach den neuen Daten bei eins zu drei Millionen. Und man kennt auch die Masse des " Gottesteilchens": Die bereits vermuteten rund 125 Gigaelektronenvolt (GeV) haben sich bestätigt.

"Die Ergebnisse sind ein Meilenstein für das Verständnis der Natur", sagte Cern-Direktor Rolf-Dieter Heuer bei der Präsentation der Forschungsergebnisse. Und er erntete tosenden Beifall, als er die anwesenden Wissenschafter fragte, ob sie seiner Einschätzung der Higgs-Entdeckung zustimmten. Offiziell geben sich die Forscher jedoch bedeckter, da die Identität des bei Experimenten in dem unterirdischen Beschleunigerring bei Genf entdeckten Teilchens noch nicht zweifelsfrei geklärt ist.

Diese Aussagen bestätigte auch Christian Fabjan, Direktor des Instituts für Hochenergiephysik (Hephy) in Wien per Videokonferenz aus Genf. Alle bisherigen Daten seien verträglich mit der Annahme, dass es sich um das Higgs-Teilchen handelt. Und sein Kollege Wolfgang Lucha brachte den Durchbruch bei der Teilchensuche so auf den Punkt: "Es wäre schon viel Pech, wenn es nicht das Higgs wäre." (Klaus Taschwer, DER STANDARD, 5.7.2012)