Michael Lanner (links) und Moriz Piffl-Percevic sind die Gebrüder Stitch. Ob ihre Vorbilder Dieter Bohlen und Thomas Anders sind?

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Mir wird die Rohjeans im "Käfig" angepasst. Im Hintergrund leuchten schon die fertigen Modelle.

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Velostitch ist jene Hose, die die Firma bekannt gemacht hat. Luftzip, Kurbelschutz, angedeuteter Nierengürtel, Hintertaschen, die beim Radeln nicht stören - alles da.

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Es geht aber auch modischer. Hier eine extra angefertigte Damenjeans. Motto: Vespa knees.

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Die Schneiderinnen werkeln auf alten Maschinen der Marken Pfaff und Union Special.

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Seit diesem Jahr findet man die Maßschneiderei auf der Mariahilferstraße.

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Die Worte hallen noch nach: "Nur noch 1x Mal schlafen Hermann, dann lernen wir uns endlich kennen!" Ich und die Maßschneider Gebrüder Stitch. Eben fühlte ich mich noch wie ein normaler Hitzeflüchtling, nach der SMS wie ein Großstadtcowboy auf dem Weg ins Bobo-Paradies. Ich bekomme die Jeans meiner Träume, "gute Naht und süße Säume".

Made in Vienna

Die Gebrüder Stitch, das sind Michael Lanner und Moriz Piffl-Percevic. In einem rechteckigen hohen Raum, ganz Wiener Stil, schneidern die Mitdreißiger Hosen nach Maß. Heraus kommt alles vom unauffälligen Büromodell inklusive Monogramm bis hin zur mit Farbspritzern und auffälligen Waschungen übersäten Hingucker-Jeans. Je nach Kundenwunsch eben.

"Ausgehend von der gelieferten Stoffbahn wird bis zum letzten Faden alles selbst gemacht", sagt "Mike" Lanner stolz. Groß gewachsen, blonder Vollbart, aus dem salzburgerischen St. Martin am Tennengebirge stammend. Er wird mich in den nächsten Stunden begleiten.

In das "Hosenlabor", das nur 150 Quadratmeter groß ist, muss der Kunde ganze drei Mal. Einmal zum Abstecken und zur Stoffauswahl, einmal zum Anpassen der halbfertigen Hose, einmal zum Abholen der Jeans. Dabei verlässt die Edeldenim freilich nie ihre Welt, eine mit gelben und magentafarbenen Graffiti besprenkelte Melange aus Werkstatt und Wohnzimmer. Ich bin zum ersten Mal da. Sechs verschiedene Stoffe stehen zur Auswahl. Sie unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Dicke und ihrer Farbe. Ich wähle Dunkelblau, nicht zu stoffig, damit ich ihn auch das ganze Jahr über tragen kann.

Gefertigt werden die Teile von einer Handvoll Schneiderinnen, die zwischen Ikea-Lampen auf 30 Jahre alten Maschinen der deutschen Marken Union Special und Pfaff hantieren. "Wir wollen zeigen, dass man auch in Wien Kleidung produzieren kann und soll", sagt Mike, der dabei sichtlich nach Anzeichen der Resonanz in meinen Augen sucht.

S wie Sisi

Nachhaltigkeit oder "Öko-Fairness", damit sollen die Firmen hierzulande punkten. "Wir arbeiten an einem österreichischen Alleinstellungsmerkmal wie Sisi", meint Mike etwas großspurig. Dem 34-Jährigen, bei sommerlichen Temperaturen in keiner Denim, aber in beiger kurzer Hose und weißem T-Shirt, sieht man eine Mission an. Er verkauft Nachhaltigkeit. Eloquent skizziert er am Schneidetisch sitzend die Vision einer Modebranche, bei der "Made in Austria" für wissende Gesichter steht. Man hat das Gefühl, dass ihm Idee und eigene Firma gleich viel wert sind.

Der Denim-Rohstoff, der durch Mikes Hände wandert, stammt aus biologischer Baumwolle. Indigoblau gefärbt und zu Stoffbahnen verwebt wird die Baumwolle dann in der Türkei und in Italien. Bis zu 100 Meter messen die rund eineinhalb Meter breiten Rollen. Pro Paar Jeans gehen rund 130 Zentimeter Länge drauf. Auf diesem 1,3 mal 1,5 Meter langen Flecken passiert die Jeanswerdung dann wie beim Kekseausstechen. Die Reste werden zu Hosentaschen und Gürtelschlaufen.

Über die indigofarbenen Beinkleider weiß Mike quasi alles. Dass die Herstellung eines Paars rund 10.000 Liter Wasser benötigt, dass die Jeansbranche weltweit über 50 Milliarden Dollar (40 Milliarden Euro) umsetzt, dass eine Jeans rund 800 Gramm wiegt. "96 Prozent der Österreicher tragen Jeans, im Schnitt hat jeder von ihnen sieben Stück", meint der Unternehmer. Mehr als eine Million Stück werden jährlich allein hierzulande verkauft. Davon steuern die Gebrüder Stitch 600 Paare pro Jahr bei.

Dass es so wenige sind, verwundert angesichts des durchdachten Marketings. Momentan seien größere Stückzahlen nicht möglich, meint Mike. Mittelfristig soll sich das ändern, finanzielle Hilfe kommt dabei von der Gemeinde Wien eigenen Kreativagentur "Departure". Sie unterstützt die 700.000 Euro schwere Expansion des Unternehmens mit 200.000 Euro. Nun müssen die Stitch-Eigner allerdings die Richtung vorgeben. Wo in Wien wird produziert? In welcher Form? Eigene Shops betreiben oder Shop-in-Shops in Modehäusern wie Peek und Cloppenburg. Fragen, auf die die Schneiderbrüder noch keine Antwort gefunden haben.

Gesamtkunstwerk mit Nierengürtel

Im Hosenlabor selbst merke ich von dieser ungewissen Zukunft nichts. Ruhig und gelassen wird gearbeitet, man hört kaum ein Wort. Nur hin und wieder den Schlag oder Luftstoß einer Maschine. Umziehen kann man sich im "Käfig", so nennen die Gebrüder ein hölzernes Gitternetz, das den Kundenbereich von den Werkbänken trennt. Als Mike meine Hose absteckt, muss ich schmunzeln. Die an mich anzupassende Jeans ist viel zu groß. Gefühlte eineinhalb Meter Hüfthöhe lassen mich auf den Fußenden stehen. Wenn Länge und Enge passen, kommen die Details. Zip oder Knöpfe, Monogramm und/oder Logos werden ausgewählt. Dabei kann man nicht nur die Garnfarbe, in der das Sujet gestickt wird, aussuchen, sondern auch die Schrift.

Die mannigfaltigen Auswahlmöglichkeiten überfordern mich. Umso mehr verwundert es, wie gelassen die anderen Kunden wirken. Auffällig ist, dass es nicht nur Junge oder Junggebliebene sind. Auch die Generation 50 Plus findet offenbar an den Maßjeans Gefallen. Ein Mann mit Metallbrille und kariertem Hemd gönnt sich seine dritte Stitch.

Für den Golden Ager darf es sogar die Velostitch werden, die Radfahrhose des Hauses. Sie macht als Nischenprodukt zwar nur jede zehnte Hose aus, hat aber in der Öffentlichkeit für Aufregung gesorgt. Eine Naht, die im Dunklen leuchtet und dabei den Schritt beim Pedaltritt verschont, der magnetische Hosenbeinclip und – zur Belüftung – Minireißverschlüsse am Oberschenkel. Zusätzlich besitzt sie einen angedeuteten Nierengürtel, damit man im Winter warm verpackt ist. Alles in allem ein Gesamtkunstwerk, das "oft gar nicht zum Radeln verwendet wird", gibt Mike schmunzelnd zu.

Mensch oder Maschine?

Dass es vielfach auch Anwälte oder Unternehmensberater sind, die bei Stitch einkaufen, liegt natürlich auch am Preis. Es gibt die Jeans ab 240 Euro aufwärts, die Velostitch mit Monogramm, "I love Vienna"-Schriftzug oder selbst designtem Logo kommt auf über 500 Euro. Wenn schon maßgeschneidert, dann gleich richtig, denke ich mir. Nur, will ich etwas anderes als die klassische Hintertasche? Müssen meine Nähte in verschiedenen Farben glänzen, rot-weiss-rot vom Fuß bis zur Hüfte? Ich bin zwar Radfahrer, in der Velostitch setzt bei mir aber das unbehagliche Terminator-Feeling ein – Mensch oder Maschine?

"So, du musst dich jetzt entscheiden!", scheint der Blick von Mike zu sagen. Ihm dauert mein Herzblatt-Moment schon zu lange. Schließlich lande ich beim "Schneidersitz", wie die Basisvariante heißt. Dunkelblau, dezente Waschungen. Einziges Extra: Meine Initialen. Haben will ich sie über der rechten Hosentasche.

Zehn Stunden Arbeit stecken in einer Hose. "Ist dein Bruder mit der Jeans zufrieden?", fragt Kundenberater Charly – braune Hornbrille, halblanges schwarzes Haar, buntes T-Shirt – einen Kunden. "Ich glaub schon", meint der eher unauffällig wirkende, schwarz gekleidete junge Mann. Was auf den ersten Blick verwirrt, hat bei Stitch System. Man kennt seine Kunden und lässt sie das auch wissen. Das beginnt eben schon bevor man das Geschäft betreten hat. Die erwähnte Gute-Nacht-SMS habe ich mehrmals durchgelesen.

Als ich fertig bin und den letzten Schluck dargereichten Makava-Eistees trinke, schweift mein Blick auf das Sofa, in dem ich eingangs Platz genommen habe. Ein Playboy-Magazin aus den 1970er Jahren liegt dort friedlich neben einer Uralt-Ausgabe des Pferdemagazins Wendy. In Sachen Inszenierung macht den Gebrüdern Stitch keiner was vor, denke ich mir. Und freue mich auf meine Hose. (Hermann Sussitz, 4.7.2012)