Es gibt familienpolitische Maßnahmen, auf deren Sinnhaftigkeit man sich relativ schnell einigen kann. Weniger Zwillinge und Drillinge dank neuer Regeln für die künstliche Befruchtung bei etwa gleichbleibender Erfolgsrate - wunderbar. Reproduktionsmedizin hat ihre gesundheitlichen und ethischen Grenzen, Horrorberichte über amerikanische Multi-Mamis belegen das.

Viel heikler ist die Frage, wo die gesellschaftlichen Grenzen gezogen werden sollen. In Österreich gibt es Gesetze, die gar nicht ins 21. Jahrhundert passen. Frauen, die per In-Vitro-Fertilisation schwanger werden wollen, müssen in einer heterosexuellen Beziehung leben. Punkt, aus. Gesundheitsminister Alois Stöger und seiner SPÖ ist das gar nicht recht. Aber man ist ja schließlich in einer Koalition mit der ÖVP, die sich gern zur Familienpartei stilisiert.

Als sich die Bioethikkommission im April für eine Öffnung der künstlichen Befruchtung für lesbische und alleinstehende Frauen aussprach, tat die Regierung also das, was man immer tut, wenn man nicht mehr weiterweiß: Sie gründete einen Arbeitskreis. Das Delegieren der Debatte wird allerdings nicht mehr lange funktionieren, steht doch im Herbst eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes darüber an, ob die Regelung dem Gleichheitsgrundsatz widerspricht.

Hält sich das Gericht an die Empfehlung der Bioethikkommission, dann öffnet sich wenige Monate vor der Nationalratswahl für die ÖVP eine Büchse der Pandora. Die Schwarzen müssen Farbe bekennen: Hängen sie dem Vater-Mutter-Kind-Ideal nach? Halten sie entgegen allen wissenschaftlichen Erkenntnissen an der fixen Idee fest, dass Kinder, die in anderen Konstellationen aufwachsen, irgendeinen Schaden davontragen? Versuchen sie weiterhin, Schwulen die Adoption zu verwehren, wenn Lesben auf künstlichem Wege schwanger werden dürfen?

Bis ein ÖVPler das Gegenteil beweist, muss man annehmen, dass die Antworten lauten: Ja, Ja und Ja. Und während es die Partei nicht schafft, über ihren Schatten zu springen, entfernt sie sich zunehmend von der Lebensrealität ihrer Wähler. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf, leben bunte Familien in nicht zeitgemäßen gesetzlichen Rahmenbedingungen. Längst wachsen Kinder bei homosexuellen Eltern, bei Alleinerziehern oder in Patchworkstrukturen auf. Das zu ignorieren ist nicht wertkonservativ; es ist schlicht und einfach weltfremd. (Andrea Heigl, DER STANDARD, 2.7.2012)