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Anke K.: "Jetzt heißt es: Daumen drücken, damit ich gegen Abend auf dem OP-Tisch liege", smst sie vor ihrer Transplantation.

Foto: Corbis

Der 8. Mai 2012 ist ein sonniger, aber kühler Tag. Morgens um neun Uhr schickt Anke K. eine SMS an ihre engsten Vertrauten, eine SMS, auf die alle seit gut einem halben Jahr gewartet haben. "Noch ist nix fix, es werden meine Werte geprüft. Aber jetzt heißt es: Daumen drücken, damit ich gegen Abend auf dem OP-Tisch liege", schreibt sie. Und: "Melde mich." Damit schließt sie.

Zeit, um zu telefonieren, wird die 33-jährige Deutsche dann nicht mehr haben. Die Spenderniere, ihre Spenderniere, die eine Stunde zuvor im Wiener AKH gelandet ist, stellt sich nämlich als perfekt heraus. Die große Transplantationsmaschinerie kann starten.

Anke K. ist seit 20 Jahren zuckerkrank. Ihre Bauchspeicheldrüse produziert kein Insulin. Das hat ihre Nieren kaputtgemacht, und sie muss zweimal die Woche zur Dialyse. Wenn die Transplantation klappt, müsste sie nie wieder zur Blutwäsche. Weil Anke bei dieser Operation auch eine neue Bauchspeicheldrüse bekommen wird, wäre sie auch keine Diabetikerin mehr. Das ist ihre Hoffnung.

Anke K.s Krankenakte ist viele Hundert Seiten lang. Ihre Laufbahn als Patientin beginnt 1991. Da bekommt sie während eines Reitturniers unerträglichen Durst, mehrere Flaschen Wasser können ihn nicht stillen. Am Abend plötzlich sieht sie nichts mehr. Die Großmutter bringt sie zum Arzt. Ihr Blutzuckerwert liegt bei 600, normal wäre zwischen 65 und 100. Sie kommt in ein Krankenhaus. "Diabetes, Typ 1", sagt der Arzt: "Du wirst ein Leben lang Insulin spritzen müssen." Anke hat panische Panik vor Nadeln. "Daran wirst du dich gewöhnen", lautet die lapidare Antwort. Das ist ihr bis heute nie gelungen.

Die Eltern waren ihr keine Hilfe, sind es bis heute nicht. Die Verhältnisse seien "schwierig", sagt die 33-Jährige, gerne spricht sie nicht darüber. Anke und ihre Schwester wachsen bei der Großmutter auf. Die Schwester ist ihre wichtigste Bezugsperson - auch heute noch.

7.300 Tage seit der Diagnose

Seit ihrer Diagnose im Jahr 1991 sind rund 7300 Tage vergangen, 7300 Tage, an denen Anke K. diszipliniert hätte essen sollen, diszipliniert hätte leben sollen. Die Betonung liegt auf "hätte". Hat sie nämlich nicht, zumindest nicht immer. Sie musste immer wieder mit der Rettung in der Notaufnahme eingeliefert werden - ohnmächtig, weil unterzuckert. Mittlerweile ist sie stark sehbehindert, der Diabetes hat auch ihre Netzhaut angegriffen. Sie hat Magenschmerzen, einen viel zu hohen Blutdruck. Übelkeit, Schwitzen, Schwindel: Kaum ein Tag vergeht ohne Ausnahmezustand.

Nach Schätzungen der International Diabetes Federation haben rund 366 Millionen Menschen weltweit Diabetes, 2030 sollen es laut Hochrechnungen schon 552 Millionen sein. Allein in der EU leben heute 55 Millionen Zuckerkranke, 66 Millionen sind bis 2030 prognostiziert. Diejenigen, die es trifft, müssen sich wie Anke K. auf vollkommen neue Lebensbedingungen einrichten.

Diabetes mellitus (griechisch: "honigsüßer Durchfluss") ist eine Stoffwechselstörung, bei der entweder kein eigenes Insulin mehr gebildet wird (Typ-I-Diabetes), oder das an sich genügend vorhandene Insulin nicht ausreichend freigesetzt werden kann (Typ-II-Diabetes). Insulin spielt eine zentrale Rolle im Stoffwechsel des Menschen.

Die gute Nachricht für Menschen wie Anke K.: Insulin lässt sich durch tägliches Spritzen ausgleichen. Mit eiserner Disziplin lassen sich Spätfolgen vermeiden. Das lernt sie am ersten Tag ihrer Diabetesschulung. Mit 13 erfährt sie, wie sie ihren Körper von außen steuert. Messen, Essensmengen berechnen, Insulindosis abstimmen. Es gibt viele Verbote: Vollkorn statt Weißbrot, Gemüse statt Süßigkeiten. Wenn Fleisch, dann mager. Selbstgekochtes statt Fertiggerichten. Nichts Salziges. Nicht dick werden. "Trotzdem wollte ich weiter ein normaler Teenager sein", erinnert sie sich. Auf die Krankheit angesprochen zu werden oder - noch schlimmer - Ermahnungen gehen ihr auf die Nerven. Sie beschließt, ihre Krankheit zu verschweigen, "normal" zu leben. Diabetes tut nicht weh. Koma, Rettung, Notaufnahme. "Je mehr du rumschlampst, umso eher riskierst du Schäden", hört sie nach jedem Aufenthalt auf der Intensivstation.

Sie schafft trotz gesundheitlicher Probleme das Abitur, beginnt 2000 in München Biologie und Informatik zu studieren. "Immer wieder Entgleisungen", sagt sie leise und meint damit Blutzuckerwerte von 800 (normal sind höchstens 140). Diäten einhalten, nie mit anderen feiern, sei eben schwer für eine, die gerade 20 ist.

Sie schafft das Studium, beginnt als Informatikerin zu arbeiten. Sie liebt ihren Job, er lenkt sie ab. Die Jugendliche, die jede freie Minute im Reitstall verbracht hat und bei Turnieren erfolgreich war, entdeckt mit 26 Jahren das Bungee-Jumping. Ab 2004 ist sie jedes Wochenende zum Nervenkitzel im Kärntner Jauntal. Dort baut sie einen Freundeskreis auf. Dort fühlt sie sich willkommen. Als sie in Klagenfurt eine Stelle als Programmiererin findet, übersiedelt sie. "Das war eine Superzeit", sagt sie. Weniger super waren ihre Blutzuckerwerte, Krankenhausaufenthalte wurden zur Routine.

"Beim Bungee-Jumping gibt es zwei Sekunden, in denen ich nicht über mich nachdenken muss", erzählt sie mit müden wässrig-blauen Augen. Schwach wirkt sie im Dezember 2011. In Wien ist es bitterkalt, ihre Beine sind streichholzdünn, der Bauch ist aufgeschwemmt. Ihre Gesichtshaut ist fahl und gerötet zugleich. Aber so, wie sie dasteht im trostlosen Kunstlicht eines Ganges im Wiener AKH, um über sich und ihren kaputten Körper zu erzählen, beweist sie dennoch Haltung. Aufgeben ist nicht ihre Sache. Und das schon seit mehr als 20 Jahren.

"Ich schaffe keine zehn Tage ohne Rettung und Krankenhaus. Es ist zum Plärren", schreibt sie im Herbst 2011 auch an Peter. Er sei ihr "wichtigster Mensch", sagt Anke, als Freund im herkömmlichen Sinn will sie ihn aber nicht bezeichnen. Anke will nicht jammern, Lamentieren passt nicht zum Selbstverständnis der zierlichen blonden Frau, der ihre eigenen Unzulänglichkeiten jeden Tag mehr auf die Nerven gehen.

Ihre Verbindung zur Welt ist ein Laptop von Dell. Den kann sie inzwischen auch blind bedienen, sagt die IT-Spezialistin. Wer Anke K. per SMS, Facebook oder Mail kontaktiert, bekommt eine Rückmeldung, innerhalb von 24 Stunden. Mit dem Laptop hält sie auch Kontakt zu einer Handvoll Freunden, erzählt ihnen, was sie macht und wie es geht. Mal besser, mal schlechter, in ihren Mails ringt sie stets um die eigene gute Laune. Mit dem Laptop ist sie wieder auf Jobsuche: "Programmieren im Home-Office kann ich mir gut vorstellen", sagt sie. Für die Frührente sei sie zu jung. Ihr Arbeitgeber, der sie trotz Verschlechterung ihres Gesundheitszustands nie fallenließ, ging 2011 leider in Konkurs. Aber als Programmiererin, so die Online-Jobbörsen, sei sie am Arbeitsmarkt weiterhin begehrt. Anke will positiv bleiben.

Diabetische Retinopathie

Dass sie schlecht sieht, entdeckte sie im August 2010, als sie sich auf einen Bungee-Jump vorbereitet, in die Tiefe blickt und dort kaum mehr etwas erkennt. Die diabetische Retinopathie ist eine durch Diabetes mellitus hervorgerufene Erkrankung der Netzhaut, bei der kleine Blutgefäße im Auge geschädigt werden. Bei Typ-I-Diabetikern treten erste Veränderungen nach 10 bis 13 Jahren auf.

Als Anke K. das 2010 bemerkt, ist sie seit 19 Jahren zuckerkrank. Ihre Augen müssen gelasert werden. Auch das tut weh. Sie hat Fieber, Infektionen, leidet darunter, nicht zur Arbeit zu gehen. "Dann kam die Speiberei", wie sie es ausdrückt. Sie ist müde, hat Kopfschmerzen, zu Weihnachten 2010 schafft sie es kaum mehr die Treppen zu ihrer Wohnung hinauf. In Wolfsberg wird Nierenversagen diagnostiziert.

Die diabetische Nephropathie auch diabetische Glomerulosklerose, ist eine progressive Nierenerkrankung aufgrund einer Angiopathie der Kapillaren des Nierenkörperchens. Die Erkrankung ist progredient und kann, falls sie nicht behandelt wird, innerhalb von zwei bis drei Jahren nach dem Auftreten der ersten Veränderungen zum vollständigen Verlust der Nierenfunktion führen.

Versuche, die Restfunktion der Nieren zu aktivieren, scheitern. Anke K. bleibt wochenlang im Krankenhaus. Über einen permanenten Katheter am Hals werden vorläufig die Gifte aus dem Körper gefiltert. Ihre Kaliumwerte sind hoch, sie schwitzt, hat Schüttelfrost, einen widerlichen Geschmack in Mund und Nase, wie Ätzmittel. "Ich träume von Frischluft, aber meine Zimmernachbarn haben Angst vor Zugluft", schreibt sie sich ihren Zorn in Mails an Freunde von der Seele. Die Fenster im Krankenzimmer bleiben geschlossen.

Als Nierenkranke bekommt sie im Krankenhaus eine Ernährungsschulung. Was gut für Diabetiker ist, ist schlecht für Nieren, wird sie erfahren. Keine Milchprodukte, kein Fleisch, keine Eier, keine Hülsenfrüchte, keine Nüsse, Pilze und natürlich wenig Süßes. Übrig bleiben Reis und Hirse. Ihre Blutzuckerwerte spielen Achterbahn, ihr Blutdruck klettert permanent auf über 200. "Ich bin Lichtjahre von einem guten Zustand entfernt", tippt sie mit letzter Kraft in die Tasten, "an die Schmerzen gewöhnst du dich einfach nicht, und die Angst vor dem Stechen wird auch nie besser", schreibt sie an Peter. Ihre E-Mails werden zum Protokoll einer Krankheit, die sie immer enger ins Korsett nimmt.

Langsam zu viele Baustellen

Im März 2011 muss Anke K. dauerhaft an die Dialyse. Was gesunde Nieren im Laufe von 24 Stunden erledigen, muss bei der Hämodialyse in fünf Stunden passieren. Die normalen Blutgefäße halten da nicht stand. Anke erfährt, dass ihr ein Shunt, ein künstlicher Zugang in den Körper, gelegt werden muss. Eine Arterie und eine Vene am Arm sollen zusammengenäht werden. Die Operation hinterlässt Spuren, Verdickungen, die Anke hässlich findet. "Das ist nicht Ihr Hauptproblem", hört sie von den Behandlern. "Ich habe Angst vor der Shunt-Operation, ich sehe dann ja aus wie ein Zombie", schreibt sie verzweifelt, dieses Mal an ihre Schwester in Deutschland. Sie ist trotz Krankheit immer noch eitel, will in ihrem Leben noch T-Shirts tragen: "Habe die Befürchtung, dass die Ärzte hier nicht mit mir diskutieren werden und machen, was sie wollen."

Anke K. setzt sich durch. Der Shunt für die Blutwäsche wird an der Innenseite des Oberschenkels gelegt. Ab jetzt wird sie jeden zweiten Tag an der Maschine hängen. Dialysestationen arbeiten im Schichtbetrieb. Ausfallenlassen geht nicht, "obwohl der Horror vor dem Anstechen jedes Mal da ist", sagt sie. Die ersten zwei Stunden Blutwäsche vertreibt sie meist mit Lesen am Computer.

Bei der Hämodialyse wird das Blut über eine künstliche Membran außerhalb des Körpers geschickt, um es von Schadstoffen zu befreien. Diese Membran funktioniert wie ein Filter. Die Blutwäsche findet in einem Dialyse-Zentrum statt. Der Patient muss sich einem festen Behandlungsplan anpassen und meist dreimal pro Woche für jeweils vier bis fünf Stunden ins Behandlungszentrum kommen.

Während der Dialysen beginnt Anke stark zu schwitzen. Es folgen Übelkeit, Kopfweh und Augenstechen: "Am Ende ist es, als wärst du vom Traktor plattgewalzt", beschreibt sie das alle zwei Tage stattfindende Prozedere, das sie am Leben hält. Blutzuckerschwankungen, Magenschmerzen, Übelkeit, Schwäche: "Es sind langsam zu viele Baustellen in meinem Körper", tippt sie tapfer in den Computer und muss manchmal schmerzlich erkennen, dass auch die Ärzte in Kärnten selbst nicht wissen, wie es mit ihr weitergehen soll.

Der letzte Ausweg aus der Dialyse ist eine Nierentransplantation. Dafür muss Anke aber in eine Uni-Klinik. Sie entscheidet sich für Wien, lernt im Zuge eines ersten Gesprächs dort den AKH-Nephrologen Marcus Säemann kennen. Er ist Transplant-Arzt. Für sie wäre eine Doppeltransplantation - Niere und Bauchspeicheldrüse - die optimale Option, gibt Säemann der 33-Jährigen zu verstehen. Im AKH läuft dazu ein eigenes Programm. "Eine Nierentransplantation bedeutet ein Leben ohne ständige Spitalsaufenthalte", hört sie. Endlich wieder arbeiten können, Auto fahren. Genau das will Anke K. wieder können. Ob sie sich eine Transplantation vorstellen könne? Sie solle sich das überlegen.

Für Menschen mit einem nicht mehr zu behebenden Nierenversagen ist eine Transplantation meist die beste Behandlungsmethode. Sie erhalten eine "neue" Niere von einem Organspender, die alten verbleiben im Körper. Eine Spenderniere reicht aus, um alle Aufgaben zu übernehmen.

Spenderniere samt Bauchspeicheldrüse

Ankes Schwester kann ihr weder Niere noch Bauchspeicheldrüse spenden. Anke braucht beides. Weil sie jung, aber ihr Zustand schon schlecht ist, stehen ihre Chancen gut, innerhalb eines Jahres eine Spenderniere samt Bauchspeicheldrüse zu bekommen, erklärt ihr Säemann. Er gefällt ihr. "Der Oberprof hier hat guten Humor", mailt sie an die Schwester. Und: Er beantwortet Ankes Fragen. Säemann schlägt ihr eine automatische Insulinpumpe vor, um ihre schwankenden Blutzuckerwerte in den Griff zu bekommen. Erst zögert sie, dann sagt sie Ja. "Ich bin positiv überrascht. Sicher, ich hab jetzt das dumme Ding ständig an mir kleben und die ganze Verpflasterung und Verkabelung, aber immerhin sind die Zuckerwerte am ersten Tag schon besser als jemals zuvor", kann sie Peter zur Abwechslung einmal etwas Positives mailen. Dass sie die Pumpe über den PC steuern kann, findet sie toll, "du weißt, ich war schon immer ein Hightech-Girl". Zaghaft beginnt sie, zu den AKH-Ärzten Vertrauen zu fassen.

Anke K. geht es besser. Sie will nach Hause, organisiert sich ihre Dialyse im Krankenhaus Wolfsberg. Ihre vielen körperlichen Gebrechen sind für die Ärzte dort komplettes Neuland. Sie erkennt, dass "die in Wien, was meine Medikamente und die Dialyse-Einstellungen betrifft, ganz anderer Meinung als die Ärzte in Kärnten sind". Nachfragen in Wien wollen sie nicht. Als Patientin sitzt sie plötzlich zwischen den Stühlen: "Ich muss mich selbst studieren, um zu wissen, was das Richtige und Beste für mich ist." Gar nicht einfach: Ihr Blutdruck ist unbeherrschbar. Sie nimmt 47 Tabletten am Tag, die Wechsel- und Nebenwirkungen in ihrem Körper erzeugen.

Standardbehandlungen gibt es für Patientinnen wie Anke K. nicht mehr. So gesehen sind sie und ihre Ärzte Pioniere. Es geht ihr miserabel, in einer Situation der totalen Unsicherheit greift sie zum letzten Trumpf: ihrer Eigenverantwortung. Aus reinem Überlebenswillen wird sie zur mündigen Patientin, entscheidet selbst, was für sie das Beste ist. Sie lässt ihren Freundeskreis in Kärnten hinter sich, übersiedelt im März 2012 nach Wien, um nahe dem AKH auf eine Transplantation zu warten und bis dahin nach den neuesten Methoden behandelt zu werden. Über Internet findet sie ein WG-Zimmer drei U-Bahn-Stationen vom AKH entfernt. 350 Euro kann sie sich von ihrem Krankengeld knapp leisten. Sie wird selten dort sein, ihr Zustand ist zu schlecht, um aus dem Spital entlassen zu werden.

Ihr Arzt Marcus Säemann macht ihr bei seinen Visiten Mut, hat Verständnis für ihre anstrengenden Launen, ihre Angst und ihr Misstrauen. Immer wieder erzählt er von Patienten, die nach einer Doppeltransplantation von der Dialyse weggekommen sind, die sich nie mehr Insulin spritzen mussten. Sie fasst auch zu einer Zimmernachbarin Vertrauen, die bereits ihre vierte Niere hat, und der es gut damit geht.

Anke K. aber geht es schlechter. "Das Krankenhaus stresst mich, vielleicht ist mein Blutdruck deshalb so hoch", schreibt sie. Wechselnde Medikamente, Magenschmerzen. Sie würde gerne Sonne auf der Haut spüren, schafft es aber nicht nach draußen. Wenn ein Hubschrauber am Fenster vorbeifliegt und am AKH-Dach landet, stellt sie sich vor, es wären ihre Organe, die da gerade ankommen.

"Ich hab um Welten weniger Angst, hier aus dem Fenster zu springen, als mich zur Transplantation zu legen. Mein Köpfchen sagt mir, dass wird die größte Horrorgeschichte meines Lebens." Nicht jeden Tag sind die Ärzte zur Stelle, denen sie vertraut. Sie kämpft - mit sich und der Situation. Das macht Anke K. zunehmend zu einer unangenehmen Patientin. Sie flippt aus, hat Angst. Die 33-jährige Langzeitdiabetikerin ist am Rande ihrer Kräfte, ihr Körper wird immer mehr zur Baustelle: "Wenn die Ärzte nicht mehr weiterwissen, sagen sie, ich habe psychiatrische Probleme."

Am 8. Mai hängt Anke K. routinemäßig an der Dialysemaschine, als die Nachricht kommt, auf die sie wartet und vor der sie sich fürchtet: Eurotransplant hat die passenden Organe für sie, ab sofort verfügbar. Das heißt: In irgendeiner Klinik des internationalen Eurotransplant-Netzwerkes ist ein Mensch gestorben, der denselben Gewebetyp wie die 33-Jährige Deutsche hat. Und sie schreibt ihre SMS: "Noch ist nix fix, aber drückt mir die Daumen." Ein allerletzter Test im AKH bringt ihr das endgültige "Go". Ihre Schwester aus Deutschland steigt sofort in ein Flugzeug nach Wien. Anke will sie jetzt bei sich haben.

Wer ihr Spender ist, wird Anke K. nie erfahren, so sieht es das Reglement vor. Wer, wo, welches Organ bekommt, entscheidet ein transparentes Punktesystem, Gewebeübereinstimmung und Wartezeit sind die wichtigsten Kriterien. Am 8. 5. um 18 Uhr beginnt Anke K.s OP. Sie dauert siebeneinhalb Stunden. Am Tag darauf dann die gute Nachricht von ihrer Schwester. "Anke ist auf der Intensivstation, die Bauchspeicheldrüse funktioniert, die Niere produziert Harn."

Auch Säemann ist zuversichtlich. 180-mal war er 2011 im AKH Zeuge, dass transplantierte Nieren "anspringen", wie er es nennt. Eine Doppeltransplantation wie die von Anke wurde 2011 zwei Dutzend Mal österreichweit durchgeführt. Nur in 15 Prozent aller Fälle kam es zu Problemen, meist wegen der Abstoßung, doch die habe man medikamentös gut in Griff, so Säemann.

Aber Anke K. meldet sich lange nicht. Es gibt Probleme. Sie muss mehrmals notoperiert werden. Erst am 26. Juni kommt dann eine kurze SMS: "Mir geht es den Umständen entsprechend schon ganz gut. Habe mich wieder auf die Füße gestellt sozusagen", schreibt sie. Auf der Station 20 H im Wiener AKH sitzt sie aufrecht am Bettrand. Sie ist blass, hat unzählige Narben am Körper, sieht wie eine Kriegerin nach dem Kampf aus. Aber sie lächelt. "Meine neue Bauchspeicheldrüse funktioniert", sagt sie. Sweety hat sie sie getauft. Tweety, die Niere, musste aufgrund von Komplikationen wieder entfernt werden. Anke K. will jetzt zurück auf die Transplantationsliste, denn auch die Dialyse aus ihrem Leben zu verbannen war die Hoffnung. "Weiter Daumen drücken", bittet sie, "meine Geschichte geht in die Fortsetzung, obwohl das nicht der Plan war." (Karin Pollack, Album, DER STANDARD, 30.6.2012)