Wie ist es so weit gekommen, dass der Mensch seine gesamte Zeit und damit seine Bewegungsfreiheit der Erwerbsarbeit geopfert hat? Warum gehen wir so unsorgsam mit diesem wertvollen Gut um und akzeptieren die weitgehende Beschlagnahme unserer Tage durch einen vorgegebenen Zeitplan? Diese Fragen hat sich David Schmidhofer gestellt und einen Entschluss gefasst: Vier Monate lang begab er sich mit seiner Frau und den vier Kindern auf Wanderschaft

Nur noch reisen, ohne Arbeit, ohne Schule und ohne mehr Geld auszugeben, als die Familienbeihilfe einbringt, das ist der Plan. Im Schuppen finden wir zwei alte Fahrradanhänger, einen für das Gepäck und einen für müde Kinder. Startpunkt ist die Donauinsel in Wien, Aufbruch im Juli 2011. Die ersten Monate wollen wir zu Fuß gehen.

Foto: David Schmidhofer

Wo man sich bettet, dort schläft man. Wir zelten im Wald, das ist billig und spannend. Absolute Stille, nur von wenigen Tierlauten unterbrochen, das leise Fließen der Donau im Hintergrund. Nächtliche Begegnungen mit Menschen gibt es keine. Gekocht wird mit einem kleinen Gaskocher. Die ersten zwei Monate wandert die Familie entlang der Donau in Richtung Westen.

Foto: David Schmidhofer

Schule, nein danke. In Österreich herrscht Unterrichtspflicht, keine Schulpflicht. Ein kurzer Brief an den Bezirksschulrat genügt für die Anmeldung zum Homeschooling. Lesen und Schreiben lernen die Kinder ohne Zwang nebenbei. Am Ende jedes Schuljahres muss eine Prüfung abgelegt werden. Die wichtigste Lektion für die Kinder ist in diesen Tagen aber, wie einfach und sorgenfrei ein Leben zu bewältigen ist - eine Erkenntnis, die vielen abhandengekommen ist und in Schulen nicht gelehrt wird.

Foto: David Schmidhofer

Wir gehen gemütlich, bleiben manchmal eine ganze Woche am gleichen Platz und sind nach zwei Monaten erst in Linz. Der Sommer ist vorbei, es wird immer kälter und die Alpen trennen uns noch vom wärmeren Süden. Wir nehmen den Zug nach Verona und stellen fest, dass die Poebene kaum Wald und keine guten Verstecke für die Nacht bietet. Der Verkehr ist auf Autos ausgerichtet, Radwege gibt es fast gar keine. Wir versuchen, auf kleine Nebenstraßen auszuweichen.

Foto: David Schmidhofer

Für das Schlafproblem finden wir eine Lösung. Auch in Italien gibt es in jedem Dorf eine Kirche. Die Pfarrer erweisen sich durchwegs als besonders offene Menschen und überlassen uns ihren Garten oder den Jugendraum zum Übernachten. Abends werden wir oft von neugierigen Familien zum Essen eingeladen. So vergeht ein Monat mit der Wanderschaft von einem Pfarrer zum nächsten - eine interessante Erfahrung.

Foto: David Schmidhofer

Schluss mit zu Fuß. Es ist Oktober und Norditalien wird uns zu kalt. Per Anhalter fahre ich nach Österreich, um unser Auto zu holen, denn wir wollen nach Sardinien, ins Valle di Luna. Hier leben Menschen weitgehend außerhalb der Annehmlichkeiten und Mühen der normalen Zivilisation. Im Herbst wird es still im Tal. Nur ein paar Althippies verstecken sich jetzt noch in den weit im Gelände verstreuten Behausungen. Mit ihrer Hilfe finden wir eine passende Höhle gleich neben einem Sandstrand. Der Weg zur nächsten Straße führt eine Dreiviertelstunde über felsiges Gelände.

Foto: David Schmidhofer

Das frühere militärische Sperrgebiet ist von Bebauung verschont geblieben. Die wenigen Dauerbewohner verwenden lose Steine und den im Sommer hinterlassenen Müll, um ihre Höhlen wind- und regendicht zu machen. Diese Höhle gehört Pepe, dem halboffiziellen Bürgermeister des Valle di Luna. Für ein Taschengeld von der Gemeinde sieht er hier ein wenig nach dem Rechten.

Foto: David Schmidhofer

Es ist November und der sechsjährige Peter verlangt nach seinen Freunden im Kindergarten. Die wollen wir ihm nicht vorenthalten und kehren nach Österreich zurück. Der Winter hat gerade angefangen, mich überkommt die Langeweile und ich schreibe mein Buch. Nach vier kalten Monaten in Österreich sind wir alle wieder reif für die Insel. Dem resoluten Betteln der Kinder nachgebend, fahren wir im März zurück nach Sardinien.

Foto: David Schmidhofer

Im Mai setzen wir nach Korsika über und treffen in Propriano auf eine Romagruppe, die uns auf ihrem Wagenplatz wohnen lässt. Sie kochen für uns mit, beschenken uns mit Kleidung und bieten uns einen Wohnwagen an - kostenlos. Im September müssen sie den Wagenplatz nach 50 Jahren räumen. Die Roma haben nie Eigentumsrechte an dem Grundstück erworben. Die Gemeinde will hier jetzt Strandappartements errichten lassen.

Foto: David Schmidhofer

"Dank sei der über alles zu preisenden Natur, dass sie uns das Notwendige leicht beschaffbar machte, das schwer zu Beschaffende aber nicht notwendig sein ließ." (Epikur)

Dieser Tage treffen wir zu Hause die letzten Vorbereitungen, um in Kürze wieder an der Donau weiterzugehen. Das Leben ist kurz, das Sterben gratis und die Arbeit freiwillig. Wir haben ein Lebensmodell gefunden und ziehen vielleicht noch ein paar Jahre als Nomaden herum. Vielleicht auch nicht. Warum sollten wir uns jetzt schon den Kopf darüber zerbrechen?

Foto: David Schmidhofer

David Schmidhofer
Reise in die Freiheit. Zu Fuß mit vier Kindern
Autumnus Verlag
76 Seiten, 7,90 Euro

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