Rettungsschirme, Schuldenpakt, Europäischer Stabilitätsmechanismus. In jenem Zwischenzustand, da man auf den Ausgang des Gipfels wartet, könnte man sich an das erinnern, was Europa im Kern ist.

Der deutsch-iranische Schriftsteller Navid Kermani hat es mit der Emphase dessen gesagt, der auch das Gegenmodell kennt: "Die Europäische Union ist mitsamt ihren Vorläufern die größte politische Errungenschaft auf diesem Kontinent im vergangenen Jahrhundert, wenn nicht der europäischen Geschichte. Sie hat nicht nur Völker befriedet, die sich in Hass und Kriegswut gegenüberstanden, sie hat dem Kontinent auch Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ökonomischen Wohlstand beschert. Europa ist nicht nur ein Friedensprojekt. Es ist ein Projekt der Freiheit. Es war die Verankerung in Europa, die die Demokratie in Deutschland erstmals gelingen ließ; es war der Druck aus Europa, der entscheidend zum Sturz der Diktaturen im Süden des Kontinents beigetragen hat - in Spanien, in Portugal, in Griechenland; es war die Aussicht, zu Europa zu gehören, die später die osteuropäischen Staaten . .. angestiftet hat, demokratische Reformen einzuleiten".

Demokratie und Rechtsstaat sind nicht unbedingt Voraussetzungen für Wohlstand, zumindest auf kürzere Sicht. Aber sie sind Voraussetzungen für Gerechtigkeit im Wohlstand, für sozialen Frieden. All das hat Europa; es sollte besser nicht verlorengehen. (Hans Rauscher, DER STANDARD, 29.6.2012)