Augenarzt Aga Assegid in der mosambikanischen Variante eines OPs: ein Abstellraum, in dem kurzfristig zwei Liegen aufgestellt werden. Der Äthiopier operiert hier Patienten, die an grauem Star leiden. 

Grafik: DER STANDARD

Beira liegt im Nordosten Mosambiks.

Grafik: DER STANDARD

Vor drei Tagen musste Fanita Suspenze die Hacke niederlegen und ihr Feld verlassen, weil sie nichts mehr sehen konnte. Als Kind ist sie an der Lepra erkrankt, seither hat sie keine Zehen mehr, keine Finger und nur ein funktionierendes Auge. Vor einigen Wochen hatte sich auch das entzündet. "Es fühlt sich an, wie wenn jemand Sand hineingestreut hat", sagt sie.

Suspenze sitzt auf einer Strohmatte auf dem Boden des Spitals von Gorongosa in Mosambik, ein Bau aus niedrigen Baracken. Es ist heiß und riecht nach Maisbrei und Stall. Sie war zwei Tage unterwegs, erst zu Fuß, dann mit dem Bus, um die Fahrkarte zu bezahlen, hat sie ihre Schuhe verkauft. Um sie herum lungert ein Dutzend anderer Frauen. Sie alle sind gekommen, weil heute in Gorongosa eine Seltenheit in Mosambik erwartet wird: ein Augenarzt.

Aga Assegid stammt aus Äthiopien, dort arbeitete er in einer privaten Praxis für die Reichen. Irgendwann hatte er keine Lust mehr, einen Malaria-Patienten zu röntgen, nur damit eine weitere Untersuchung auf der Rechnung stand. Er heuerte bei der Hilfsorganisation Licht für die Welt an und kam nach Mosambik. Die NGO finanziert hier Ärzte und bildet Krankenpfleger aus.

Ein Augenarzt auf 1,5 Millionen Einwohner

Normalerweise arbeitet er im Spital in Beira, der zweitgrößten Stadt des Landes. Alle paar Wochen macht er sich auf zur Tour durch die Provinzen, im Radio wird dann durchgesagt, wo er in den nächsten Wochen ordinieren wird. Die Patienten kommen stets in Scharen: Wer nichts sieht, kann schlecht auf dem Feld arbeiten. Die allermeisten ihrer Leiden sind problemlos heilbar - nur machen muss es jemand.

In dem Land mit 23 Millionen Einwohnern gibt es gerade einmal 15 Augenärzte, acht davon arbeiten in der Hauptstadt Maputo. Bis 1995 herrschte hier Bürgerkrieg, noch heute machen Hilfszahlungen etwa die Hälfte der Staatseinnahmen aus.

Zwar gilt Mosambik als einer der Hoffnungsträger Afrikas: Tausende Menschen aus der einstigen Kolonialmacht Portugal ziehen hier derzeit her, weil es Arbeit gibt und die Wirtschaft rasant wächst. Die Rohstoffvorkommen sind enorm, es gibt Kohle, Öl und seltene Erden. Ein funktionierendes Gesundheitssystem gibt es aber nicht - was besonders übel ist in einem Land, in dem fast alle Bewohner von körperlicher Arbeit leben.

Straßen, Kanäle und Müllabfuhr

"Ohne Gesundheit gibt es keine Landwirtschaft, keine Ausbildung, gar nichts", sagt Dave Simango. Er ist Bürgermeister von Beira und Chef von einer der beiden Oppositionsparteien Mosambiks. In seiner 550. 000-Einwohner-Stadt baut Licht für die Welt gerade eine neue Augenklinik. Die meisten Menschen mögen Simango, weil er Straßen bauen ließ und Kanäle und eine Müllabfuhr organisierte. Die anderen sagen, das Geld für sein Haus mit Pool kam aus der Gemeindekassa.

"Die Regierung in Maputo ist korrupt. Sie kauft Mercedes als Dienstwagen, während unsere Leute an Krankheiten sterben, die heilbar sind", schimpft er. Ohne NGOs, glaubt Simango, werde es schwer fallen, ein Gesundheitssystem aufzubauen. Wenn Geld gespendet wird, sei es aber wichtig, dass nicht alles bei der Regierung landet, sondern direkt an Organisationen oder in Projekte fließt - sonst sei die Chance groß, dass es verschwindet.

Viele der Mediziner, die in Mosambiks öffentlichen Spitälern arbeiten, kommen aus Kuba, China oder Nordkorea, die ehemaligen sozialistischen Bruderstaaten schicken sie als Entwicklungshelfer. Es gibt keine Ambulanzen, die die Leute aus den Dörfern in die wenigen Spitäler bringen, und es gibt zu wenige Unis, die Medizinstudenten ausbilden. Jedes Jahr werden gerade einmal etwa 50 Ärzte fertig, viele, die eine Chance bekommen, gehen ins Ausland. Nur Assegid ist hergekommen.

20 Operationen am Tag

Wenn er auf dem Land unterwegs ist, operiert er täglich leicht 20 Patienten, meist entfernt er grauen Star. In Gorongosa gibt es keinen OP, dafür einen Raum, der sonst nur als Abstellkammer genutzt wird. Hier baut Assegid seine Liegen auf. Er spritzt Lokalanästhesien, schneidet Augäpfel auf und entfernt alte getrübte Linsen. Dann setzt er eine neue Kunststofflinse ein und näht das Auge wieder zu. Pro Patient dauert das 15 Minuten, am nächsten Tag können die Menschen wieder scharf sehen.

Bei Fanita Suspenze aber hilft keine Operation mehr. Zumindest Augentropfen gegen die Schmerzen und die Entzündung bekommt sie in Gorongosas Spital, damit ihr Auge nicht schlechter wird. Sie muss schließlich bald wieder auf ihrem Feld stehen. (Tobias Müller aus Beira, DER STANDARD, 29.6.2012)