Fuat Sanaç, Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft: "Jede Art von Diktat in der Religion ist verboten."

Foto: STANDARD/Corn

Das Islamgesetz ist 100 Jahre alt. Warum es reformiert gehört, wieso Beschneidung erlaubt sein muss und wie er zu den Muslimbrüdern und zur Kopftuchfrage steht, erzählte Fuat Sanaç, Chef der Islamischen Glaubensgemeinschaft, Peter Mayr und Petra Stuiber.

STANDARD: Das Landgericht Köln hat geurteilt, dass religiöse Beschneidungen strafbar sind. Was halten Sie davon?

Sanaç: Ich mische mich nicht in die Angelegenheiten eines anderen Staates. Aber ich kenne viele Buben aus christlichen Familien, die aus hygienischen Gründen beschnitten wurden.

STANDARD: Erwarten Sie einen "Beschneidungstourismus", wenn das in Deutschland unter Strafe steht?

Sanaç: Ich weiß nicht, ob dieser Spruch weiterhin dort bestehen kann, weil es ein Konflikt zwischen islamischer und westlicher Welt ist. Es geht ja nicht nur um Deutschland und Österreich. Das hat eine besonders starke Tradition bei den Muslimen. Ein Mann hat in seinem Leben zwei besondere Erlebnisse: Das eine ist die Beschneidung, die hoch gefeiert wird wie eine Hochzeit. Das Zweite ist dann die Hochzeit. Wie können also die Muslime das akzeptieren? Das ist eine zu große Einmischung in die Religion.

STANDARD:  Das Islamgesetz ist 100 Jahre alt. Sie selbst sagten vor kurzem, es sei nicht mehr zeitgemäß. Was wollen Sie reformieren?

Sanaç: Vor 100 Jahren haben die Muslime ja weder über den Betrieb von Schulen oder Kindergärten gesprochen noch über eigene Seelsorger im Spital. Wir müssen immer fragen, ob wir etwas dürfen. Wenn Rechte niedergeschrieben sind, gibt es keine Diskussion.

STANDARD: Wann soll das neue Gesetz fertig sein?

Sanaç: Ich hoffe, es kann Anfang 2013 in Kraft treten.

STANDARD: Bundespräsident Heinz Fischer sagte kürzlich, er sehe die "Islamophobiekurve abflachen". Sehen Sie das auch so?

Sanaç: Genau so. Nach 9/11 war das ganz stark, mittlerweile haben die Leute gesehen, was im Irak passiert ist und in Afghanistan, wer dahinter steckt, dass viele Leute getötet wurden. Andererseits sehen sie, dass es Terrorismus auch etwa in Deutschland oder in Norwegen gibt. Dass nicht die Muslime schuld sind.

STANDARD: Hat der Arabische Frühling Sympathiepunkte im Westen gebracht? Und könnte es sein, dass diese wieder schwinden, wenn die Muslimbrüder Wahlen gewinnen?

Sanaç: Der Arabische Frühling ist ja nichts Neues. Die Muslime kämpfen seit 100 Jahren für Freiheit, Demokratie und Gerechtigkeit. Die Diktaturen wurden ja vom Westen finanziert und gestützt. Man wird sehen, dass die Muslimbrüder demokratischer sind als alle anderen. Wer hat die Türkei dorthin gebracht binnen zehn Jahren, wo sie jetzt steht? Die AKP, Milli Görüs, das waren die damaligen Muslimbrüder. Heute ist die Türkei demokratisch, die Militärmacht ist zurückgedrängt.

STANDARD: Um auf Österreich und das Thema Islamophobie zurückzukommen: Glauben Sie, dass die FPÖ künftig aus Wahlkampfslogans wie "Daham statt Islam" verzichten wird?

Sanaç: Ich hoffe es. Denken Sie an Innsbruck vor wenigen Wochen. Da wurde dieses Plakat gegen Marokkaner affichiert, nach ein paar Tagen war es wieder weg. Strache wird sich überlegen müssen, dass er, wenn er wirklich Bundeskanzler werden möchte, das gesamte Volk umarmen muss. Es ist unwürdig, einen Unterschied aufgrund der Religion zu machen.

STANDARD: Ein immer wiederkehrender Kritikpunkt ist, dass in jenem Teil der Gesellschaft, der Migrationshintergrund hat, Parallelgesellschaften entstünden. Ist dieser Vorwurf gerechtfertigt?

Sanaç: Das ist nicht gerechtfertigt. Die Menschen, die hier herkamen, waren armselig. Sie waren sehr tüchtig, haben sich einiges geschaffen. Dann haben sie ihre Verwandten nachgeholt. Wo sollten die denn hingehen? Natürlich dorthin, wo sie schon jemanden haben. So ist eine gewisse Ghettoisierung entstanden. Und viele haben auch geglaubt, dass sie nicht hierbleiben. Daher haben sie nicht investiert in Österreich. Jetzt sind sie zum Teil sehr wohlhabend, kaufen sogar Häuser und bauen Villen am Stadtrand.

STANDARD: Es gibt Gerüchte, dass bestimmte Privatschulen von sehr konservativen Kreisen in Arabien unterstützt werden, wo man nicht so genau weiß, was da gelehrt wird.

Sanaç: Wer das sagt, hat keine Ahnung. Privatschulen sind Arbeitsplätze für die Lehrerschaft des Staates. Der Betrieb wird vom Verein getragen. Die Lehrer bestellt der Stadtschulrat, daher werden die Schüler auch nur das lernen, was man in den anderen Schulen auch lehrt. Die Katholiken oder die Protestanten haben auch Privatschulen, wo ist der Unterschied?

STANDARD: Wie viele Schulen braucht es noch?

Sanaç: Das hängt vom Bedarf ab. Im 10. und 20. Wiener Gemeindebezirk braucht es etwa Volksschulen. Das ist schon genehmigt, und die kommen nächstes Jahr.

STANDARD: Ihr Vorgänger, Anas Schakfeh, wollte auch mehr Moscheen. Wie sehen Sie das?

Sanaç: Das kann man doch nur nach dem Bedarf planen. Warum soll ich in Städten Moscheen bauen, wo wenige Muslime leben. Es geht nicht um Träume, das Leben läuft so, wie es laufen soll.

STANDARD: Imame sollen künftig in Österreich ausgebildet werden. Wie weit ist man da?

Sanaç: Wenn unsere Imame kritisiert werden, dass sie zum Beispiel nicht gut Deutsch sprechen, dann geben Sie uns die Möglichkeit, sie hier auszubilden. Das lief bei den islamischen Religionslehrern genauso. Wissen Sie, wie lange wir darauf warten mussten? 18 Jahre! Da wurden wir etwa beschimpft, dass wir Zeitungsverkäufer als Religionslehrer einstellten. Dabei war der besagte Mann Doktor der Theologie. Jetzt reden wir über die Imame, und wir werden wieder vertröstet. Wenn alles glattgeht, gibt es vielleicht in sechs Jahren eine entsprechende Fakultät auf der Uni. Warum so viel Zeit verstreichen lassen? Das verstehe ich nicht. Aber ich versuche optimistisch zu bleiben, dass das schneller geht.

STANDARD:  Ist es schwierig, Imame nach Österreich zu holen?

Sanaç: Die sind sehr zurückhaltend. Das betrifft ganz Europa. Warum? Sie müssen zurückkehren, haben kein Recht auf ein unbegrenztes Visum. Außerdem werden sie nicht gut bezahlt, weil die Vereine für ihren Lohn aufkommen. Dadurch sind sie natürlich Spielzeug der Gemeinden. Ihre rechtliche Situation gehört dringend verbessert.

STANDARD: Zum Thema Kopftuch sagten Sie einmal, dass Frauen es tragen sollten, dann wieder, es stehe jeder Frau frei. Was gilt jetzt?

Sanaç: Beides gilt. Es kommt auf die Fragestellung an. Wenn Sie mich fragen, ob Frauen nach dem Islam ein Kopftuch tragen müssen, sage ich Ja. Entscheiden werden aber die Menschen selbst. Im Islam gibt es einen Befehl, einen Vers: Im Glauben gibt es keinen Zwang. Ob eine Frau sich für das Kopftuch entscheidet oder nicht, man muss es respektieren.

STANDARD: Frauen stehen aber oft unter gesellschaftlichem Druck.

Sanaç: Jede Art von Druck ist unislamisch. Wir sind aber auch für die Rechte der Frauen, die Kopftuch tragen. Die dürfen auch nicht ausgeschlossen werden. Das erleben sie oft bei der Arbeitssuche. Das ist schlecht. Jede Art von Diktat in der Religion ist verboten.

STANDARD: Sie haben einmal gesagt, dass ein Mädchen ab der Pubertät nicht mit Buben schwimmen gehen soll. Das ist doch ein Diktat?

Sanaç: Darum geht es doch gar nicht. Ich bin sehr dafür, dass alle Menschen schwimmen lernen. Es geht um das Entblößen. Ein Körperanzug ist die Lösung. Das machen wir ja auch. Muss ein Mädchen unbedingt einen Bikini tragen? Das wäre auch Zwang. (Petra Stuiber/Peter Mayr, DER STANDARD, 29.6.2012)