Bild nicht mehr verfügbar.

"Eine gemeinsame Obsorge macht nur dann Sinn, wenn es eine beiderseitige Übereinkunft gibt."

Foto: APA/Hochmuth

"Wir fordern einen automatisierten Papamonat", sagt die grüne Familiensprecherin Daniela Musiol. Das würde wesentlich zu Entspannung in Familien beitragen, meint Musiol. Ob Väter sich bewähren müssen, wie Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) vorschlägt, und wie sie die gemeinsame Obsorge regeln würde, sagte sie Katrin Burgstaller.

derStandard.at: Frauenministerin Heinisch-Hosek sagt, unerheiratete Väter müssten sich zuerst bewähren, bevor sie auch die Obsorge über ihre Kinder bekommen können. Wie sehen Sie das?

Musiol: Wenn beide Eltern gegenseitig anerkennen, dass beide für das Kind wichtig sind, so werden sie es - unter Umständen mit Unterstützung einer Schlichtungsstelle - schaffen, auch gemeinsame Obsorge zu leben. Hierfür ist natürlich notwendig zu klären, ob das Interesse an dem Kind auch als glaubwürdig wahrgenommen wird, und das ist wohl erst der Fall, wenn sich beide Elternteile, vor allem auch die Väter, umfassend, also auch im Alltag, engagieren.

derStandard.at: Es sieht so aus, als würde die SPÖ die Erhöhung der Familienbeihilfe auf 225 Euro zum Wahlkampfthema machen. Könnte die SPÖ der ÖVP damit schaden - in ihrer Positionierung als Familienpartei?

Musiol: Das könnte durchaus ein Versuch sein. Die SPÖ hat aber ein anderes Problem: Sie hat in den letzten Jahren bewiesen, dass es mit der sozialen Gerechtigkeit nicht so weit her ist. Sie hat zum Beispiel auch beim Familienentlastungspaket mitgemacht, bei dem unter anderem auch die Kinderbeihilfe rückgebaut wurde. In allen Ausschüssen setzen sei sich für die Familien ein, aber wenn es dann zum Abstimmen geht, schwenken sie auf ÖVP-Linien ein.

derStandard.at: ÖVP und SPÖ streiten sich auch über die Dauer des Betreuungsgeldbezuges. Die SPÖ würde gerne die Langvariante abschaffen, die ÖVP will diese beibehalten. Wofür sind die Grünen?

Musiol: Wir würden es vereinfachen, nur mehr eine Kindergeldvariante aufrechterhalten und die anderen Bezugsformen abschaffen. Diese wäre einkommensabhängig. Zudem würden wir den Bezug auf 12 + 6 Monate (davon je vier Monate in Teilzeit) aufteilen, damit die Betreuungsaufgabe ein Stück weit gerechter wird. Das wäre auch eine frauenpolitisch wichtige Angelegenheit. Im Pensionsalter müssen viele Frauen mit Bedauern feststellen, dass sie nicht entsprechend abgesichert sind.

derStandard.at: Die Langvariante ist die beliebteste Variante. Die ÖVP sagt, auch diese sei wichtig für die Wahlfreiheit.

Musiol: Die längste Variante fällt auseinander mit dem Kündigungsschutz für Mütter, das wissen viele Frauen nicht. Nach zwei Jahren sind die aus dem Kündigungsschutz draußen. Es passiert nicht selten, dass Mütter nach den 30 Monaten in den Job zurückkehren wollen, und dieser Job ist dann nicht mehr verfügbar.

Die ÖVP scheut sich davor, Rahmenbedingungen, sprich Kinderbetreuungsplätze zur Verfügung zu stellen. Deshalb hält sie diese Wahlfreiheit hoch, die de facto nicht existiert. Denn dazu müssten die Kinderbetreuungseinrichtungen und ihre Öffnungszeiten noch weiter ausgebaut werden. Es widerspricht nicht der Wahlfreiheit, wenn man das Kinderbetreuungsgeld nur für einen bestimmten Zeitraum stellt. Man könnte sich das Geld auch anders einteilen und länger zu Hause bleiben. 

derStandard.at: Nach Ihrem Modell müssten die Kinder mit eineinhalb in den Kindergarten gehen. Viele wollen aber ihre Kinder nicht so früh in Fremdbetreuung geben.

Musiol: Dass es sich bei den derzeitigen Bedingungen viele Eltern nicht vorstellen können, kann ich gut verstehen. Deshalb fordern wir parallel dazu, dass unsere elementarpädagogische Kinderbetreuungslandschaft qualitativ hochwertig ausgebaut wird. Das beginnt bei der akademischen Ausbildung der KindergartenpädagogInnen und einer entsprechenden Bezahlung und reicht hin bis zu einer adäquaten Ausstattung. 

derStandard.at: Ein weiterer Zankapfel ist der verpflichtende Papamonat. Die SPÖ ist dafür, die ÖVP setzt auf Wahlfreiheit und ihre wichtigste Klientel, die Wirtschaft, ist dagegen.  Wirtschaftskammer-Vertreter Martin Gleitsmann etwa lehnt ihn dezidiert ab, wie er im derStandard.at-Interview erklärte.

Musiol: Dass Gleitsmann als Vertreter einer Institution ideologisch gefärbte Dogmen aufstellt, die fernab der Realität sind, ärgert mich sehr. Beim Papamonat sieht er nicht, welche Idee dahintersteht. Es geht darum, die Beziehung zwischen Vater und Kind zu festigen. Andererseits sollen sie auch die Mütter unterstützen. Ich verstehe nicht, auf Basis welcher Realitäten er seine Ideen ableitet.

derStandard.at: Sie wollen die Väter zum Papamonat verpflichten?

Musiol: Ja, wir fordern einen automatisierten Papamonat. Innerhalb der ersten drei Monate muss der Vater diesen in Anspruch nehmen, Ausnahmeregelungen könnte es geben. Das würde eine wesentliche Entspannung für die Familien bringen. Für die Väter, die diesen von sich aus begehren, würden die Diskussionen mit den Chefs wegfallen. Der Papamonat hätte auch frauenpolitisch wichtige Konsequenzen. Personalchefs müssten berücksichtigen, dass auch Männer bei einer Geburt eines Kindes ausfallen können.

derStandard.at: Was, wenn die Väter nicht wollen?

Musiol: Es wird immer vermutet, dass die Väter nicht in den Papamonat gehen wollen. Ich glaube, die Generation der neuen Väter unter 40 würde gerne gehen. Aber für viele ist das aufgrund ihrer Arbeitssituation nicht möglich.

derStandard.at: Herr Gleitsmann sagt, die Väter sollen sich einfach Urlaub nehmen, wenn sie Kinder kriegen.

Musiol: Das eine ist Erholungsurlaub. Mit dem Papamonat soll die Situation einer Geburt aufgewertet werden. Es geht darum zu sagen, unserer Gesellschaft ist die Geburt eines Kindes so viel wert, dass wir Zeit zur Verfügung stellen, weil es uns wichtig ist, dass Väter eine Beziehung mit dem Kind eingehen können und die Mutter unterstützen. Hier geht es um die Haltung, die durch den Gesetzgeber ausgedrückt wird.

derStandard.at: Haben Sie in Ihrem Umfeld den Eindruck, dass Väter ihre Rolle als Elternteil gleichberechtigt wahrnehmen?

Musiol: Momentan ist das noch sehr individuell. Es hängt von den handelnden Personen ab und ihrer Bereitschaft, sich gegen den Widerstand von Unternehmen und trotz schwerer Rahmenbedingungen durchzusetzen. Das ist oft auch eine Frage, ob man sich das finanziell leisten kann. Viele haben Angst, ihren Job zu verlieren.

derStandard.at: Die ÖVP hat die Ankurbelung der Geburtenrate auf ihre familienpolitische Agenda gesetzt. Ist das eigentlich auch ein Anliegen der Grünen?

Musiol: Es müssen Bedingungen herrschen, unter denen Frauen und Männer gleichermaßen entscheiden können, ob sie ein Kind wollen oder nicht. Unter den derzeitigen Rahmenbedingungen können sich viele Frauen und Männer nicht vorstellen, Kinder zu bekommen.

derStandard.at: Derzeit befindet der Verfassungsgerichtshof in einer Session darüber, ob die automatische Obsorge für die Mutter bei unehelichen Kindern überhaupt verfassungskonform ist. Auch die Regierung hat das Thema auf ihrer Agenda.

Musiol: Hier sind der Politik Grenzen gesetzt. In diesem zwischenmenschlichen Bereich kann man nicht Gemeinsamkeit verordnen. Wir schlagen ein Modell vor, in dem die beiden Parteien von einer Schlichtungsstelle unterstützt werden. Wenn es zu keiner Lösung kommt, wie man die Elternschaft trotz Trennung leben soll, muss irgendwann das Gericht eine klare Entscheidung treffen.

derStandard.at: Wie hoch stehen die Chancen, dass der Verfassungsgerichtshof diese Regelung für verfassungswidrig befindet?

Musiol: Wenn die Obsorge automatisch den Frauen zugesprochen wird, ist das eine Usance, die sicher zu hinterfragen ist. Aber die Antwort darauf ist nicht, die Obsorge automatisch allen zu erteilen, egal welche Beziehungsgeschichte die Eltern haben. Das ist nicht zum Wohle der Kinder.

derStandard.at: Sie wollen, dass sich die Väter in der Kindeserziehung gleichberechtigt engagieren. Müsste man ihnen dann nicht auch die Obsorge für ihre Kinder zusprechen?

Musiol: Da spricht aus meiner Sicht nichts dagegen. Unserer Vorstellung nach soll es einen Weg geben, wie man die gemeinsame Obsorge unkompliziert im Einvernehmen beantragen kann. Aber es macht keinen Sinn, die gemeinsame Obsorge erzwingen zu wollen.

derStandard.at: Bisher braucht es die Zustimmung der Mutter eines unehelich geborenen Kindes, damit auch der Vater die Obsorge bekommt. Würden Sie das so beibehalten?

Musiol: Das ist bei unehelichen Paaren schwierig, weil es die verschiedensten Konstellationen gibt. Wenn Vater und Mutter zusammen sind, gibt es keinen Grund, warum sie anders behandelt werden als verheiratete Paare. Für Eltern, die nicht zusammen sind, gilt das, was auch für Trennungen gilt: Eine gemeinsame Obsorge macht nur dann Sinn, wenn es eine beiderseitige Übereinkunft gibt.

derStandard.at: Wenn der Verfassungsgerichtshof aber zu dem Schluss kommt, dass diese Regelung verfassungswidrig ist?

Musiol: Dann ist das zu akzeptieren und es werden entsprechende Regelungen getroffen werden müssen. (Katrin Burgstaller, derStandard.at, 28.6.2012)