Brigitte Kratzwald ist Mitautorin der Anthologie "Commons. Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat" und Mitherausgeberin des ebenfalls 2012 erschienenen Buches "Commons und Solidarische Ökomomie". Sie ist Sozialwissenschaftlerin und Commons-Aktivistin, bloggt auf kratzwald.wordpress.com und betreibt die Website commons.at.

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Im neuesten HerausgeberInnenwerk der deutschen Commons-Aktivistin Silke Helfrich sowie der Heinrich-Böll-Stiftung informieren knapp 90 AutorInnen aus 30 Ländern in Kurzbeiträgen über theoretische Grundlagen und praktische Umsetzungsformen des Commons-Paradigmas. Dem Commons-Gedanken verpflichtet, stellt der Bielefelder Verleger transcript das Buch auch zum freien Download zur Verfügung.

Silke Helfrich und Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.): Commons. Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat. Bielefeld: Transcript.

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Rio wurde vergangene Woche nicht nur von hochrangigen DiplomatInnen bevölkert. Parallel zum offiziellen Rio+20-Gipfel diskutierten AktivistInnen auf dem "People's Summit" (mehr dazu hier) über soziale und ökologische Gerechtigkeit. Das "Green Economy"-Konzept der Vereinten Nationen kam dabei nicht gut weg. Als Alternative zur Vermarktlichung von natürlichen Ressourcen wie Wäldern und Anbauflächen wurde das Commons-basierte Wirtschaften ins Spiel gebracht. Commons oder Gemeingüter sind überall: der Spaziergang im öffentlichen Park, die freie Software, der Blick auf Wikipedia oder das Glas sauberes Wasser. Ob ein Gut Ware oder Common ist, entscheiden seine NutzerInnen. Das behauptet zumindest ein neuer Sammelband: In "Commons. Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat" stellen AutorInnen aus der ganzen Welt innovative Ideen und lokale Projekte der globalen Praxis des gemeinschaftlichen Wirtschaftens vor.

Im Gespräch mit Augusta Dachs erzählt Brigitte Kratzwald, eine der österreichischen Ko-AutorInnen des Buches, warum Staat und Markt zwei Seiten derselben Medaille sind und welche Rolle die Genderperspektive in Commoning-Projekten spielt.

dieStandard.at: Conclusio der Rio+20-Konferenz ist die Bekräftigung des "Green Economy"-Konzeptes. Wo liegt das Problem?

Kratzwald: Das Problem bei der Green Economy ist, dass sie im Prinzip davon ausgeht, dass wir weitermachen können wie bisher. Man versucht, mit Marktinstrumenten ökologische Probleme zu lösen. Indem man der Natur ein Preisschild gibt, soll der Naturschutz wieder zu mehr Wachstum und Profit beitragen. Und das ist einfach eine Illusion.

dieStandard.at: Die beiden Paradigmen "Green Economy" und "Commons" könnten ja unterschiedlicher nicht sein. Warum ist die Commons-Perspektive sinnvoll?

Kratzwald: Der erste Punkt ist, dass es von Wachstum und Profit weggeht. Das Commons-Paradigma setzt an der Frage an, welche Ressourcen da sind und wie wir mit ihnen so umgehen können, dass die Bedürfnisse aller bestmöglich befriedigt werden. Der zweite Punkt ist: Wenn man diese Marktlösungen wählt, werden Ressourcen zu Privateigentum gemacht. Markt kann nur funktionieren, wenn die Dinge jemandem gehören. Man kann z.B. nur mit Zertifikaten handeln, die an natürliche Ressourcen gebunden sind, wenn jedes Stück Land, Gewässer oder Wald jemandem gehört. Und so wird Knappheit hergestellt.

Die Menschen in den Entwicklungsländern werden damit auch enteignet, weil dort bisher sehr viel Land noch gemeinschaftlich genutzt ist. Dieses Land wird dann so behandelt, als würde es niemandem gehören. Sehr häufig sind es dann die Regierungen, die diese Enteignungen vornehmen. Sie verkaufen Land an Konzerne oder Regierungen aus anderen Ländern. Die Käufer verwenden die erworbenen Ressourcen dann, um beispielsweise Geld aus den CO2-Fonds zu bekommen, oder auch um Bio-Treibstoffe anzubauen.

dieStandard.at: Das Bild vom Staat als regelnder Gegenmacht zu einem völlig unkontrollierten Markt wird in der Commons-Debatte grundsätzlich hinterfragt. Auch der Gegensatz von öffentlichen und privaten Gütern wird kritisch gesehen. Warum das?

Kratzwald: Aus der Commons-Perspektive muss die Frage nach dem Öffentlichen ja ganz neu gestellt werden. Was ist denn eigentlich das Öffentliche? Im Moment gehört das, was öffentlich ist, dem Staat. Wir wissen aber, dass der Staat im Moment wie ein Unternehmen geführt wird. Und gerade im Zuge dieser ganzen Sparprogramme werden Staaten dazu gezwungen, die öffentlichen Güter zu verkaufen. Die Kritik der Commons ist, dass die Staaten eigentlich die Verwalter dieser Güter sein sollten, diese Güter aber den Menschen gehören.

dieStandard.at: In der Anthologie "Commons - Jenseits von Markt und Staat" wird das Thema Gender kaum beleuchtet. Ist das völlig irrelevant in der Commons-Diskussion?

Kratzwald: Das Gender-Thema wird viel zu wenig diskutiert. Es gibt auch eine durchaus berechtigte Skepsis von Seiten feministischer Theoretikerinnen. Einerseits ist es so, dass Frauen, weil sie historisch stark mit den Commons betraut waren, oft die aktiveren Commoners sind. Durch die Einhegungen der Commons sind sie auch mehr betroffen und leiden mehr darunter, wenn das Ackerland oder Saatgut privatisiert wird. Sie sind daher in den Protesten auch stark vertreten. Auf der anderen Seite gibt es eben die Tendenz, dass staatliche Leistungen zurückgebaut werden und wieder mehr Reproduktionsarbeit im Privaten erbracht wird. Da besteht natürlich die Gefahr, dass man das Commons-Konzept nutzt, um den Frauen diese Arbeit zuzuschanzen.

dieStandard.at: Welche Erfahrungen haben Sie persönlich in Commons-Projekten gemacht?

Kratzwald: Wenn man nicht über Machtverhältnisse redet und behauptet, "bei uns gibt es so was nicht" - dann entstehen sie informell. Was die Geschlechterverhältnisse betrifft, so ist es momentan eindeutig so, dass in diesen freien Software- und Internetprojekten fast nur Männer drin sind, während zum Beispiel in den Gemeinschaftsgärten viel mehr Frauen aktiv sind. Wenn Menschen Commons machen, fangen sie eben in ihrer Lebenswelt an - und die ist im Moment geschlechtsspezifisch getrennt. Also da ist noch viel Arbeit zu leisten.

Auf der anderen Seite sehe ich aber doch, dass Gruppen, die sich intensiv mit der Problematik beschäftigen - vor allem junge Leute oder in der autonomen Szene. In den Volxküchen (gemeinschaftlich organisierte Küchen, die leistbares Essen für alle anbieten, Anm.) kochen zum Beispiel durchaus die Männer, während die Frauen die Website anlegen. In Wien gibt es etwa eine Gruppe, die Wikipedia-Einschulungen für Frauen macht, damit auch Frauen dort mehr Einträge machen. Da tut sich schon was.

dieStandard.at: Nun sind lokale Gemeinschaften - meist die Hauptakteure des "Commoning" - ja nicht per se herrschaftsfrei. Der Zugang zu Ressourcen hängt auch da stark von der jeweiligen sozialen Position, der Geschlechtszugehörigkeit, dem Alter, Ethnisierungsprozessen und so weiter ab. Wie geht man in der Debatte rund um die Commons damit um?

Kratzwald: Die Wirtschaftsnobelpreisträgerin Elinor Ostrom hat die Design-Prinzipien der Commons herausgearbeitet. Und ein Punkt, den sie betont ist, dass die Zugangs- und Nutzungsregeln, die sich Menschen aushandeln, zwar von der Tragfähigkeit der Ressource abhängen, aber auch von ihrer Kultur. Und in einer patriarchalen oder rassistischen Kultur gibt es halt dann auch patriarchale und rassistische Regeln. Ganz klar, allein die Idee der Commons enthebt uns nicht davon, dass wir auch darauf achten müssen. Gerade diese Idee des "wir machen unsere Regeln selber", ist natürlich auch anfällig für nationalistische oder rassistische Weltbilder.

dieStandard.at: Inwiefern können denn nun Commons Lösungen aus den Krisen des kapitalistischen Markfundamentalismus der Gegenwart bieten?

Kratzwald: Commons sind nicht die Lösung, aber der Perspektivenwechsel, der neue Lösungen möglich macht. Wir haben im Moment wirklich viele unterschiedliche Krisen, eine ökonomische und ökologische, eine Demokratiekrise. Wir haben auch immer mehr das Problem, dass der soziale Zusammenhalt zerbröckelt. Unter der Annahme, dass diese Krisen aus dem kapitalistischen System heraus entstehen, ist es nachvollziehbar, dass wir ein ganz anderes System brauchen.

Das Konzept der Commons verbindet sehr viele Dinge. Es wirft soziale und demokratiepolitische Fragen über die Neugestaltung von Teilhabe und gesellschaftlichem Zusammenleben auf. Es schafft Anregungen zum Umgang mit ökologischen Ressourcen. Ökonomisch fragt es nach Bedürfnisbefriedigung, nicht nach Wachstum. Letztlich ist es ein emanzipatorisches Konzept, denn es fordert, dass Menschen ihr Leben von unten selber in die Hand nehmen. Die Umsetzung ist dann sicher nochmal eine ganz andere Frage. (Augusta Dachs, dieStandard.at, 28.6.2012)