Donezk/Wien - Immer dann, wenn nicht berichtet, sondern nur orakelt werden kann, neigen Schreiber, Schreiberinnen und deren Mägde - die Musen - zur Poesie. Das gehört nicht nur bei den Titelisten der "Bild" zur Job-Description. Auch im Sport liest man gern Neugeschöpftes neben dem sonst so ermüdend Alterschöpften wie Torfolgen, Halbzeitständen oder gar Endresultaten.
Auch die Austria Presse Agentur hat Poeten entsandt, um die Gunst des ereignislosen Augenblicks zur Verdichtung aufs Wahre zu nützen. Cristiano Ronaldos Portugal will und werde, meldete man eiligst von Donzek nach Wien, "das Tiki-takanaccio" durchbrechen - ein Wort von überragender Einsichtigkeit für jeden, der den Spaniern zugesehen hat.
Popküsschen
Der Kollege vom deutschen Sport Informations Dienst konnte - und brauchte - es nicht lassen, gleich den Deutschlandbezug herzustellen. Herzstück des Tiki-takanaccio sei nämlich dieser unvergleichliche "Piquenbauer", der - das muss DER STANDARD jetzt den Popferneren unter den Lesern schon erzählen - mit einer Kolumbianerin namens Shakira liiert ist, die ihrem defensiven Gerard "Piquenbauer" Pique während der EM-Partien fleißig Kusshändchen zuwirft. Shakira singt ansonsten. 2010 tat sie das in Südafrika mit dem WM-Lied "Waka Waka", weshalb wir zwei Jahre später lesen dürfen, was "Piquenbauer" aktuell im Kopf hat: "Tiki-taka statt Waka Waka!" (Mag sein, Herbert Kickl bewirbt sich im Hinblick auf die nächsten FPÖ-Plakatgedichte beim sid um ein Praktikum.)
Barca-Verteidiger Pique, mit dem Vorwurf konfrontiert, er sei ein " Piquenbauer", konterte in raffinierter Bescheidenheit: "Dieser Spitzname ist vielleicht ein wenig zu viel des Guten. Beckenbauer ist einer der besten Spieler der Geschichte. Ich muss noch viel lernen, um sein Level zu erreichen."
Eines hat er jedenfalls schon gelernt: das dem Tiki-taka so nahe Spiel über die Bande. Die gegenüber dem deutschen Kaiser (auf den österreichischen kommen wir dann schon noch) gezeigte Bescheidenheit, dreht er anstandslos auch gegen Portugal. "Es wird kein Duell zwischen Cristiano Ronaldo und Gerard Pique. Wir spielen mit Spanien gegen Portugal, und die bessere Mannschaft wird gewinnen. Nicht der bessere Spieler in einem persönlichen Duell."
Detailentscheid
Ronaldo schlug noch auf dem Donezker Flughafen zurück: "Das Spiel wird in den Details entschieden werden", beharrte er, fast unverholen selbstbezüglich, "und ich hoffe, dass Portugal hier stärker sein wird."
Spaniens Trainer, Vicente del Bosque, bestätigt den Star von Real Madrid in der Selbstwahrnehmung: "Natürlich werden wir speziell ein Auge auf Ronaldo werfen." Der hat immerhin die letzten drei Treffer der Portugiesen erzielt. Del Bosque sagt aber auch: "Wir kennen den Gegner genau." Um dann freilich im Allgemeinen zu relativieren: "Er uns auch. Es gibt keine Geheimnisse."
Selbst Statistiken werden ganz offen debattiert auf der iberischen Halbinsel, wo Maulwürfe und andere Geheimnisverräter offenbar nur wenig gefürchtet sind. Die Hispanier verweisen gern darauf, dass sie die entscheidenden Partien gegen die Lusitanier stets hätten gewinnen können. Insgesamt laufen sie mit einer beeindruckenden Bilanz von 18 nicht verlorenen Pflichtspielen (ein Remis) ins Donezker Stadion.
Die Portugiesen dürfen allerdings zurückätzen: In einem Testspiel im Herbst 2010 hat man den Nachbarn mit 0:4 aus Lissabon sozusagen heimgewatscht. Ein Stachel, der auch noch im Fleisch des "Piquenbauer" sitzt: "Das tut immer noch weh, und wir haben es noch immer im Hinterkopf." Der sich allerdings doch ein wenig beruhigen lässt. Denn: Ronaldo hat damals nicht getroffen. Mehr noch: In seinen 94 Länderspielen traf er noch nie dreimal en suite.
Kaiserlich und königlich
Ach ja, der Kaiser! Ronaldo entstammt Funchal, Hauptstadt der schönen atlantischen Blumeninsel Madeira. Deren berühmtester Tote ist Österreich-Ungarns letzter Kaiser: Karl, aus jenem Haus Habsburg, das mit Spanien einst jenes Reich begründet hatte, in dem die Sonne nicht unterging.
Österreich ist also am Mittwoch in jedem Fall - wenn auch über fünf Ecken - eine Art Sieger. Zumal mit Wilhelm Habsburg-Lothringen - einer aus einer Nebenlinie - in Galizien ein allfällig künftiger König der Ukraine herangewachsen war. Er starb 1948. In einem Kiewer Gefängnis. Als angeblicher Spion. (Wolfgang Weisgram, DER STANDARD 27.6.2012)
Halbfinale I:
Portugal - Spanien
Mittwoch, 20.45 Uhr, Donezk, Donbass-Arena, SR Cüneyt Cakir/TUR
Portugal: 12 Patricio - 21 Pereira, 2 Alves, 3 Pepe, 5 Coentrao - 16 Meireles, 4 Veloso, 8 Moutinho - 17 Nani, 9 Almeida, 7 Ronaldo
Ersatz: 1 Eduardo, 22 Beto - 13 Costa, 14 Rolando, 19 Lopes, 15 Micael, 6 Custodio, 20 Viana, 11 Oliveira, 10 Quaresma, 18 Varela
Es fehlt: 23 Postiga (Muskelzerrung im Oberschenkel)
Spanien: 1 Casillas - 17 Arbeloa, 3 Pique, 15 Ramos, 18 Alba - 16 Busquets, 14 Alonso - 21 Silva, 8 Xavi, 6 Iniesta - 10 Fabregas
Ersatz: 12 Valdes, 23 Reina - 2 Albiol, 5 Juanfran, 4 Martinez, 13 Mata, 20 Cazorla, 22 Navas, 7 Pedro, 9 Torres, 11 Negredo, 19 Llorente