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Scheinfirmen und Scheinanmeldungen wird der Kampf angesagt.

Foto: APA/Julian Stratenschulte

Wien - Sozialbetrug ist kein Kavaliersdelikt, sondern verursacht enorme volkswirtschaftliche Schäden bei der Finanz und der Sozialversicherung, die von den Steuer- und Beitragszahlern getragen werden müssen. "Bis zu einer Milliarde Euro kostet Sozialbetrug jährlich", sagte Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) am Dienstag bei einer Pressekonferenz in Wien. "Es geht hier um sehr viel Geld, und der Steuerzahler zahlt die Zeche", bekräftigte Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP). Durch intensivere Zusammenarbeit der Behörden soll der Sozialbetrug künftig stärker bekämpft werden.

Das Phänomen Sozialbetrug mittels eines Systems von Scheinfirmen und Scheinanmeldungen sieht Mikl-Leitner als Teil der organisierten Kriminalität. Rund um einen "Paten" entstehe ein verschachteltes Firmennetzwerk von vorwiegend GmbHs mit Schein-Geschäftsführern, die oft gar nichts von ihrer Geschäftsführertätigkeit wüssten. Diese Firmen seien auf kurzfristiges Bestehen ausgelegt und würden oft hunderte Mitarbeiter in kurzer Zeit anmelden, um auf verschiedenste Weise das Sozialsystem und die Mitarbeiter auszubeuten. Die "Pfuscher-Mafia" führe zu einer Wettbewerbsverzerrung, aber es gebe auch Verbindungen zur Rotlicht-Szene und zu anderen Formen der organisierten Kriminalität. Zehn "Tätergruppen" seien in Österreich aktiv. Gemeinsam mit den Bundesländern wolle man nun dem Problem den Kampf ansagen.

Taskforce

Bereits 2010 wurde eine eigene Taskforce "Merlin" gegründet. Eine neue Arbeitsgruppe, bestehend aus Experten des Sozial-, Finanz-, Gesundheits-, Innen- und Justizministeriums, der Sozialversicherung und der Sozialpartner soll das Projekt ab Mitte Juli fachlich begleiten, erläuterte Hundstorfer. Ab April 2012 ist bereits eine Baustellendatenbank zur Erleichterung der Kontrolltätigkeit im Bauwesen in Betrieb. Dadurch können neue Baustellen bzw. deren Mitarbeiter leichter erfasst und kontrolliert werden.

Nach der Konkursanmeldung derartiger Scheinfirmen gestalteten sich die Ermittlungen der Behörden oft schwierig, weil viel mit gefälschten Identitäten gearbeitet werde, erläuterte Rudolf Unterköfler, Leiter der Abteilung für Wirtschafts- und Finanzkriminalität im Bundeskriminalamt (BKA). Die eigentlichen Hintermänner würden als honorige Geschäftsleute auftreten, in Wahrheit aber die Fäden bei groß angelegten Sozialbetrugsmodellen ziehen. In einem einzigen Fall belaufe sich die Schadenssumme durch Sozialbetrug auf 28 Mio. Euro, da bei 30 "dubiosen Firmen" mit Scheingeschäftsführern zahlreiche Scheinanmeldungen gemacht worden seien. Der Sozialbetrug habe viele Erscheinungsformen: Auf öffentlichen Plätzen in Wien seien z. B. Anmeldungen bei der Sozialversicherung käuflich, gekaufte Arbeitsbestätigungen dienten zur Erschleichung von Aufenthaltstiteln. Mit dem Verkauf von Schein- und Deckungsrechnungen werde Schwarzgeld für Schwarzarbeiter geschaffen, mittels Umsatzsteuerkarussell geschehe Steuerbetrug.

Strafrechts-Universitätsprofessorin Susanne Reindl-Krauskopf hat in einer Studie Vorschläge zur effektiveren Bekämpfung des Sozialbetrugs erstellt. Nicht nur im Baugewerbe, sondern auch in anderen Branchen wie Gastronomie, Transport- und Taxigewerbe sowie in der Land- und Forstwirtschaft bei Erntehelfern komme es vermehrt zu derartigen Vorfällen. Die Behörden sollten ein Warnsystem entwickeln, um Verdachtsfälle vermögensloser Scheinfirmen früher zu entdecken. Statt Anmeldungen per Papier sollten Online-Meldesysteme mit kontrollierender Software eingeführt werden. Weiters sollten Gesetzeslücken rasch geschlossen werden. "Die Täter wissen sehr gut Bescheid und sind gut vernetzt", meinte sie. Die Behörden müssten ihr Know-how systematisch untereinander teilen, auch mehr Personal würde im Kampf gegen Sozialbetrug helfen. (APA, 26.6.2012)