Natürlich lässt sich trefflich darüber streiten, was eigentlich "extrem" ist. Extremsportler selbst sehen ihr Tun oft weit weniger dramatisch, als es die mediale Vermittlung für die auf der Couch Gebliebenen transportiert.
Der Skifahrer und Alpinist Axel Naglich etwa - bekannt geworden durch die Erstbefahrung mit Skiern des knapp 5500 Meter hohen Mt. Saint Elias in Kanada - meint, dass die meisten seiner Unternehmungen "zu hundert Prozent safe" seien. Für ihn wäre ein Bankkredit mit einem höheren Risiko behaftet.
Die Mediziner der Gesellschaft für Orthopädisch-Traumatologische Sportmedizin (GOTS), die sich am Wochenende zu ihrem alljährlichen Kongress in Salzburg getroffen haben, sehen das naturgemäß etwas strenger als die Handelnden selbst. Das Annähern an die eigenen Grenzen, besondere technische, logistische, physische und psychische Herausforderungen sowie kalkuliertes Risikomanagement würden diese vermeintlichen Draufgänger auszeichnen, so die Definition der Mediziner. Und: Extremsportler wären selten in Verbänden und Vereinen organisiert, es gäbe also kaum standardisierte Trainings- oder Therapiepläne, ergänzt der Salzburger Unfallchirurg Gerhard Oberthaler im Standard-Gespräch.
Breitensport profitiert vom Extremsport
Trotzdem würden die Breitensportler von den Entwicklungen im Extremsport profitieren, hieß es beim GOTS-Treffen in Salzburg; auf Zeit gesehen, versteht sich. Beispielsweise im Bereich der Unfallprävention: Während früher auf Skipisten nur die Pudelmütze zu sehen war, sei heute der Helm allgegenwärtig, erläuterte der Wiener Sporttraumatologe Klaus Dann. Er prophezeit eine ähnliche Entwicklung bei den sogenannten "Neckbraces". Diese Schutzschalen für den Halsbereich - derzeit vor allem im Motorsport oder beim Mountainbike-Sport in Verwendung - könnten "in Kombination mit einem geeigneten Helmsystem drei von vier Verletzungen" vermeiden.
Große Hoffnungen setzen die Mediziner auch in Airbags für Motorradfahrer zum Schutz des Kopfes und der Hals-Brust-Wirbelsäule. Längerfristig würden diese mobilen - in der Bekleidung eingearbeiteten Airbags - auch bei Skispeedbewerben eingesetzt, sagt Dann. Ähnlich wie beim Lawinenairbag würden diese System irgendwann auch im Breitensport ihren Niederschlag finden.
Fortschritte melden die Sportärzte im Bereich der Biomedizin. Galten einst Knorpelschäden als nahezu unheilbar, wäre heute durch biotechnologisch hergestellte Knorpelzellen, die implantiert werden, die Gelenksfunktion bis zu 95 Prozent regenerierbar.
Regenerationszeiten
Allerdings brauchte dieses Gewebe eine gewisse "Reifungszeit", berichtete Stefan Nehrer vom Zentrum für Regenerative Medizin an der Universität Krems am Salzburger GOTS-Meeting. Ein Jahr mindestens wären Spitzenbelastungen absolut tabu. Eine Hoffnung für viele - auch abseits des Spitzensports: Diese regenerativen Behandlungsmethoden werden derzeit auch bei Meniskusverletzungen erforscht und würden auch schon klinisch eingesetzt.
Weniger optimistisch ist man, was die Heilung von Querschnittslähmungen betrifft. Diese ist für Ludwig Aigner von der Privatmedizinischen Uni in Salzburg trotz 30-jähriger Forschung noch nicht in Sicht. Allerdings sei es im Tierversuch gelungen, querschnittgelähmte Ratten wieder zu mobilisieren. Im Rückenmark befindliche, vom Gehirn losgelöst arbeitende Schaltkreise seien durch Medikamente stimulierbar. (Thomas Neuhold, DER STANDARD, 25.6.2012)