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Wenn Nationalitäten bei Delikten genannt werden, ist das nicht im Konkreten diskriminierend, wirkt aber gleichwohl vorurteilsverstärkend.

Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Es ist eine mühsame Diskussion, und sie läuft in Europa seit Jahren. In Österreich ist sie, im Unterschied etwa zu Großbritannien oder auch Deutschland, noch nicht wirklich angekommen: Bisherige Anläufe, über die Nachteile einer ethnifizierten, also Nationalität und "Volkszugehörigkeit" in den Vordergrund rückenden Berichterstattung nachzudenken, wurden fast reflexartig abgelehnt.

Rasch war von "Zensur" die Rede, obwohl es vielmehr um ein Nachdenken über die Frage geht, wie in Medienberichten, in Zeitungen, Radio, Fernsehen und im Internet, verhindert werden kann, dass Ausländer als besondere Problemgruppen oder als Sicherheitsrisiko dargestellt werden. 

Masterarbeit zum Thema

Nun hat sich in Wien ein Student der Publizistik erneut des Themas angenommen. Im Rahmen seiner Masterarbeit will er KriminalitätsberichterstatterInnen österreichischer Medien befragen, wie sie es in ihrer Arbeit mit den ethnischen, nationalen Zuschreibungen halten. Zum Beispiel bei Berichten über Drogenkriminalität. Ist es nötig, ist es sinnvoll, die Staatsangehörigkeit einer Person zu erwähnen, die unter dem Verdacht festgenommen wurde, Drogen zu dealen? Oder auch, aus welchem Kontinent er/sie stammt? 

Tatsächlich kommen Nation oder Kontinent in Berichten zur Drogenkriminalität praktisch nur dann vor, wenn es sich um "nigerianische" oder andere "afrikanische Drogendealer" handelt. Das festigt in der Leserschaft die Ansicht, dass männliche Afrikaner in Österreich meist Drogendealer seien, obwohl dies nur für eine kleine Gruppe unter ihnen zutrifft. Die vielen anderen, die mit Drogen nichts am Hut haben, ärgern sich vielfach über wiederholte Anhaltungen durch PolizistInnen - aufgrund ihrer Hautfarbe, die sie zu lebenden Vorurteilsträgern macht.

"Osteuropäische Einbrecherbanden"

Weniger im Konkreten diskriminierend, aber gleichwohl vorurteilsverstärkend wirkt es, wenn die Nationalität von Einbruchsverdächtogen in Berichten erwähnt wird. Denn in der Praxis geschieht das nur, wenn es sich um Rumänen, Serben, Moldawier oder andere Osteuropäer handelt, bei österreichischen Verdächtigen nicht. Die Folge ist ein beachtliches Misstrauen gegen Osteuropäer, die von vielen Menschen für die meisten Eigentumsdelikte in Österreich verantwortlich gemacht werden.

Dem kriminalstatistischen Realitätscheck hält das nicht stand: Zwar treiben in Österreich durchaus auch Einbrechergruppen aus Osteuropa ihr Unwesen, aber der überwiegende Großteil der Eigentumsdelikte ist nach wie vor eigengemacht.

"Ehren"-Delikte mit muslimischem Hintergrund

Vorurteilsschürend sind detto Berichte über "Ehren"-Delikte und -Verbrechen von Staatsangehörigen aus Nationen mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit oder eingebürgerten Menschen mit einem solchen Hintergrund. Hier werden gleiche Sachverhalte höchst unterschiedlich interpretiert: Flippt ein Österreicher aus Eifersuchtsgründen aus und übt gegen Frau und Kind Gewalt, wird (zu Recht) über seine psychische Befindlichkeit spekuliert.

Handelt es sich um einen Türken - oder auch Tunesier, Ägypter, Afghanen -, lassen sich Boulevard und Stammtisch ausführlich über "kulturelle Hintergründe" der Tat aus. Das ist eine pauschale Sichtweise, die im Kampf um Selbstbestimmung für Frauen aus traditionell geprägten Familien kontraproduktiv sind, weil sie diese Familien zum Zusammenhalten und "Zumachen gehen Außen" verleitet.

Fluchtgefahr und U-Haft

Zusätzlich verstärkt wird der falsche Eindruck zuweilen auch durch Falschinterpretation kriminalstatistischer Erhebungen: Wird etwa auf den höheren Anteil ausländischer Untersuchungshäftlinge verwiesen, so wird unterschlagen, dass bei Personen ohne festen Wohnsitz in Österreich rascher als bei Hiesigen Fluchtgefahr angenommen wird - und Fluchtgefahr ist ein Grund, um eine Person in U-Haft zu nehmen.

Auch wird in Berichten über Ausländerkriminalität oft nicht präzise zwischen Anzeigen (die meist zu keinerlei behördlichen Erhebungen führen), Erhebungen (die nur zu einem kleinen Teil in eine Gerichtsverhandlung münden) und Verurteilungen unterschieden. Die Folge: Kriminalität wird vor allem den "Fremden" zugeschrieben.

Verzichtsempfehlungen keineswegs umgesetzt

Was die Nennung ethnischer Zuschreibungen und ausländischer Staatsangehörigkeiten in Medienberichten angeht, existieren seit den 1990er-Jahren Verzichtsempfehlungen diverser europäischer JournalistInnenorganisationen: etwa des Niederländischen Journalistenverbands (NVJ) aus 1993 und des Österreichischen Journalisten Clubs (ÖJC) gemeinsam mit der ORF-Minderheitenredaktion aus 1997.

Letzteres wurde in Österreich keineswegs umgesetzt, denn viele JournalistInnen betrachten das Weglassen der Nationalität als Unterschlagung wichtiger Informationen. Dabei geht es um eine Frage des gedeihlichen Zusammenlebens in einer Einwanderungsgesellschaft - und um Menschenrechte. (Irene Brickner, derStandard.at, 23.6.2012)