Die innen- und außenpolitisch schwer unter Druck stehende Regierung deutet vorgezogene Neuwahlen noch in diesem Jahr an.

 

Islamabad/Neu-Delhi - Nach Tagen des Chaos hat der Atomstaat Pakistan eine neue Führung. Der frühere Energie- und Wasserminister Raja Pervaiz Ashraf wurde am Freitag von Parlament zum Premierminister gewählt. Doch er dürfte ein eher kurzes Gastspiel an der Spitze des 178 Millionen Einwohner starken Landes geben: Die angeschlagene Regierungspartei PPP stellte vorgezogene Neuwahlen in Aussicht.

Damit scheint sie im Machtkampf mit der Justiz zu kapitulieren. Am Dienstag hatte das Oberste Gericht zunächst den bisherigen Regierungschef Yousuf Raza Gilani des Amtes enthoben, am Donnerstag hatte die Justiz dann die Kandidatur des PPP-Favoriten Makhdoom Shahabuddin vereitelt, indem sie Haftbefehl wegen eines Drogenskandals aus dem Jahr 2011 gegen ihn erließ.

In aller Eile hatte die PPP dann den 61-jährigen Ashraf als Ersatzkandidaten aus dem Hut gezaubert, doch auch das dürfte die politische Krise nicht beenden. Analysten glauben, dass die Justiz unter dem streitbaren Chefrichter Iftikhar Chaudhry, möglicherweise assistiert vom mächtigen Militär, die von der PPP geführte Regierung zu Fall bringen will. "Es ist nur noch eine Frage von Wochen oder Monaten", meinte der Analyst Talat Masood.

Auch der neue Premier ist bereits im Visier der Richter und alles andere als ein Saubermann. Bereits 2011 hatte er sein Amt wegen Korruption räumen müssen. Man wirft ihm vor, mit Schmiergeldern aus der Vermietung von Stromwerken Immobilien in London gekauft zu haben - das Volk gab ihm deshalb den Spitznamen "Raja Rental". Zudem werden ihm die Stromausfälle von bis zu 22 Stunden am Tag angelastet.

Die Zeitung Dawn meinte, der neue Premier werde "allgemein mit Inkompetenz und Korruption verbunden". Bei seiner Wahl dürften weniger seine Verdienste als seine Loyalität den Ausschlag gegeben haben: Er gilt als treuer Statthalter von Präsident Asif Ali Zardari, der auch Chef der PPP ist.

Rachefeldzug vermutet

Chefrichter Chaudhry wird von den einen als unerschrockener Kämpfer gegen die Korruption gefeiert. Andere vermuten dagegen einen persönlichen Rachefeldzug gegen Zardari, der Chaudhrys Wiederberufung zum Chefrichter 2009 verhindern wollte. Nicht wenige wähnen auch das Militär hinter den juristischen Attacken.

International ist Pakistan isoliert und im offenen Streit mit den USA. Die Wirtschaft ist kurz vor dem Kollaps. Seit Wochen protestieren Menschen gegen die Stromkrise, hunderte Fabriken stehen still, die Inflation liegt auf Rekordniveau. Während Regierung, Justiz und Militär sich in Machtkämpfen erschöpfen, überziehen Extremisten das Land mit Gewalt. (Christine Möllhoff/DER STANDARD, 23.6.2012)