"Innovation muss etwas sein, das man spürt, sie muss als Qualität und weniger als Prozess verstanden werden", sagt Harry Gatterer, Geschäftsführer des Zukunftsinstituts Österreich. Und er bezweifelt, dass eigene Innovationsabteilungen in Unternehmen optimale Rahmenbedingungen für die Entwicklung zukunftsträchtiger Ideen bieten können. Der Zukunftskongress am Donnerstag in Wien machte sich auf die Spur des Innovationsgeheimnisses.
Und wesentlich ist dabei für Gatterer eine andere Wahrnehmung von Zeit. " Zeit ist in unserer Vorstellung ein linearer Begriff. Die Vergangenheit liegt hinter uns, die Zukunft vor uns. Davon müssen wir uns lösen", sagt Gatterer. Denn Zukunft sei keine Richtung, sie umgebe uns bereits und dürfe auch nicht ausschließlich monochron verstanden werden. Der Eindruck, dass alles immer schneller werde, basiere auf diesen polychronen Zeiträumen, in denen vieles gleichzeitig wahrgenommen werde, daraus werde der Schluss einer schneller werdenden Zeit gezogen.
Das Prinzip des glücklichen Zufalls - die Zukunftsforscher nennen es Serendipity - nutzt eben diese Zeitvorstellung, in der nicht nur das gesehen werde, was direkt vor einem liege. Für viele Erfindungen war genau das ausschlaggebend. Denn es gehe nicht nur darum, Projektpläne Punkt für Punkt abzuarbeiten, sondern auch das zu sehen, was rundherum passiere. Veränderungen passieren nämlich an vielen Punkten, und in den Zwischenräumen könnte - durch Serendipity - Innovatives entstehen.
Qualität von Orten
"Dafür braucht es aber eine neue Qualität von Orten, die Konzentrations- und Entspannungsphasen zulässt", sagt der Zukunftsforscher. Unternehmen, die diese Orte zur Verfügung stellen, die Socializing aktiv in ihrer Unternehmenskultur integriert haben, seien nachweislich produktiver, ergänzt er.
Die Provokation des Zufalls brauche auch neue Formate wie beispielsweise Cloud-Computing, Open Innovation, Social Media oder Barcamps. Diese Begriffe werden immer stärker Bestandteile der Unternehmens- und Innovationskultur. Und hier gebe es, so Gatterer, noch viel Änderungsbedarf. Denn in den meisten Fällen sind diese offenen Ansätze nicht Compliance-tauglich. Die starren Regeln seien für eine Fortschrittskultur kontraproduktiv. "Innovation braucht Offenheit und Austausch", ergänzt er.
Die Aufgabe, der sich Unternehmen stellen müssen, ist, sich ein Stück weit von der Vorstellung der Linearität zu lösen und sich auf eine neue Vorstellung von Zeit einzulassen. Unsere Zeit ist durch den Zustand des Immer-nie-fertig-Seins oder - wie Tim O'Reilly, der Erfinder der Barcamps, es bezeichnete - des "permanenten beta" geprägt, sagt Gatterer.
Dem neuen Paradigma der Veränderung werde für die Zukunft wichtig sein, aus der eigenen Perspektive heraus zu erkennen, welche dieser Entwicklungen für das eigene Unternehmen eine Rolle spielt, und dann die jeweiligen Felder zu definieren, in denen man sich frei bewegen kann, in denen man sich auch einmal verirren darf, ohne die Angst zu haben, einen linearen Trend zu übersehen. (Gudrun Ostermann, DER STANDARD, 23./24.6.2012)